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Sex matters: Der fatale »Ja-aber«-Reflex

Ein Streit wird nicht besser, wenn wir dem anderen die Schuld für unser Verhalten geben. Der Paartherapeut Carsten Müller rät beiden Seiten, Verantwortung zu übernehmen. Eine Kolumne.
Mann und Frau streiten am Küchentisch
Wer konstruktiv diskutieren will, sollte auf Vorwürfe verzichten. (Symbolbild)

»Gestern war wieder so ein Abend: Mein Mann und ich haben uns gestritten und angeschrien, und dann hat er auf dem Sofa geschlafen. Der Anlass war keine große Sache, aber im Streit hat er dann so blöde Sachen gesagt, dass ich richtig sauer wurde. Das passiert uns in letzter Zeit häufig. Die Stimmung zwischen uns ist dann unterirdisch, und das führt dazu, dass wir gar keinen Sex mehr haben, nicht mal mehr kuscheln oder uns küssen. Was machen wir falsch?« (Sheila*, 40, und Arndt*, 38)

Als dieses Paar in meine Beratung kam, war die dicke Luft förmlich greifbar: Bei mir im Raum steht ein Sofa. Arndt setzte sich in die eine Ecke. Sheila wartete kurz, setzte sich in die andere, stellte ihre Handtasche wie eine Mauer zwischen sich und Arndt und verschränkte die Arme. Alles klar, oder? Man muss kein Profi sein, um zu sehen: Das sind keine guten Voraussetzungen für entspannte Gespräche in einer Partnerschaft. Doch was genau war ihr Problem?

Streit kommt in jeder Beziehung vor. Zwei Menschen leben zusammen und müssen jeden Tag ihre Bedürfnisse aufeinander abstimmen. Manchmal sind die unterschiedlich. Manchmal sagen Menschen etwas, was verletzt. Vielleicht beschimpfen sie sich oder schreien sich an: »Immer geht es nur um dich«, »Bist du blöd?«, »Du gehst mir so auf die Nerven!«. Eine verbale Grenzüberschreitung, nicht schön, aber – so was kommt vor.

Und dann? Wenn es gut läuft, reden die Partner miteinander über ihren Streit. Sie schauen auf die Sachebene, finden heraus, worum es überhaupt ging. Das ist nicht leicht, doch viele Paare schaffen es. Und sie finden Kompromisse. Das ist gut.

Schwieriger wird es auf der emotionalen Ebene: wo es um Abwertungen, Verletzungen und Angriffe geht. Hier geraten wir oft in eine Streitspirale. Einer wirft dem anderen etwas vor. »Du hast gesagt …« – »Ja, aber du hast gesagt …« Dieses »Ja, aber« ist wie Hefe beim Kuchenbacken: zwei kleine Worte, die jeden Streit riesengroß aufgehen lassen. Nur dass am Ende nichts Genießbares dabei herauskommt.

Was war mit Arndt und Sheila passiert? Zuletzt Folgendes: Arndt hatte sich am Wochenende mit Freunden zu einer Rennradtour verabredet. Er hatte Sheila nicht gefragt, was sie sich fürs Wochenende wünscht, sondern ihr am Freitagabend einfach gesagt, dass er am nächsten Morgen früh losmüsse. Sheila war perplex: »Und was ist mit uns?« – Darauf Arndt: »Willst du mir verbieten, mit meinen Freunden Rad zu fahren?« – Sheila: »Willst du am Wochenende keine Zeit mit mir verbringen?« – Arndt: »Du schränkst mich total ein!« – Sheila, laut: »Dir geht es doch immer nur um dich!« Beide sind sauer, beide fühlen sich und ihre Bedürfnisse nicht gesehen. Arndt zieht für eine Nacht auf die Couch.

Wir alle finden gerne Gründe oder Ausreden für unser Verhalten

Und dann? Beide sagten, es sei ihnen wichtig, ihren Streit beizulegen. Sie würden immer darüber reden. Doch eigentlich sei ja der andere schuld. Sheila beschrieb es so: »Ja, ich habe geschrien. Aber das war nur, weil du mir sofort Vorwürfe gemacht hast!«

Wir alle finden gerne Gründe oder Ausreden für unser Verhalten. Ja, vielleicht habe ich Mist gebaut – aber nur, weil du vorher noch größeren Mist gebaut hast. So schieben wir die Verantwortung systematisch zurück. Hauptsache möglichst weit weg von uns selbst. Das führt zu nichts. So kommen Menschen emotional nicht zusammen. Sie fühlen sich mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen nicht wahrgenommen, nicht anerkannt.

Was wäre, wenn wir es schaffen würden, wirklich Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen? Das fängt damit an, das »Aber du …« wegzulassen. Es nicht sagen und auch nicht denken – also nicht nur runterschlucken. Sondern stattdessen von sich selbst sprechen.

Innehalten, Verantwortung übernehmen, Bedürfnisse klären

Sheila und Arndt waren bereit, es zu versuchen. Gemeinsam haben wir überlegt, wie das mit der Verantwortung konkret funktionieren könnte. Schritt eins: Wenn ein Streit eskaliert, tut es gut, innezuhalten. Es bringt nichts, in diesem hochemotionalen Zustand weiter zu streiten. Dann ist die Gefahr groß, in eine endlose Ja-aber-Spirale zu geraten und den Frust nur noch zu steigern.

Zweiter Schritt: in Ruhe über die emotionale Ebene des Streits sprechen, nach einer Stunde oder am nächsten Tag. Einer sagt, was ihn verletzt hat. Der andere hört zu und übernimmt Verantwortung: »Ja, das habe ich gesagt. Weil ich mich so geärgert habe. Ich verstehe, dass ich dich damit verletzt habe. Das tut mir leid.« Punkt, kein »aber«. So erkennt man die Gefühle des anderen an und übernimmt Verantwortung für das eigene Verhalten.

Was bleibt? Die Klärung der Sachebene. Bei Arndt und Sheila ging es um die Wochenendplanung. Ich bat beide, zwei Fragen auf einem Zettel zu beantworten: Was war ihnen selbst wichtig? Und was haben sie von ihrem Partner gehört? Für Sheila war es wichtig, Zeit mit Arndt zu verbringen. Sie hatte jedoch gehört, dass es ihm egal war und er sie nicht in seine Entscheidung einbezogen hatte. Arndt war es wichtig, Zeit mit Freunden zu verbringen. Er hatte gehört, dass Sheila das egoistisch fand. Beide hatten berechtigte Bedürfnisse. Der Streit entstand, weil sie vorher nicht darüber gesprochen hatten. Schnell fanden sie einen Kompromiss. Sie vereinbarten, die Wochenenden gemeinsam zu planen und dabei die Bedürfnisse des anderen zu berücksichtigen.

Für beide die wichtigste Erkenntnis: dass es hilfreich war, zuerst die emotionale Ebene zu klären und Verantwortung für eigene Fehler zu übernehmen. Dann ist der Blick auf die Sachebene klarer, und es kann weitergehen. Dafür brauchte es übrigens nur zwei Stunden. Und schon beim zweiten Treffen stand keine Handtasche mehr zwischen den beiden.

* Namen von der Redaktion geändert

Und nun sind Sie dran:

Kennen Sie den Ja-aber-Reflex? Wann ist er zuletzt aufgetreten? Die Diskussion kann sich um etwas ganz Banales gedreht haben. Stellen Sie sich vor, wie das Gespräch ohne »Ja, aber« verlaufen wäre. Wie könnten Sie stattdessen anders formulieren, nämlich so, dass Sie Verantwortung übernehmen?

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