Pränataldiagnostik : Streitbare Auslegung
Mit dem Gendiagnostikgesetz (GenDG) hat der Bundesgesetzgeber 2009 ein Instrument geschaffen, um der rasanten Entwicklung der Humangenomforschung zu begegnen. Das Gesetz zielt darauf ab, "die mit der Untersuchung menschlicher genetischer Eigenschaften verbundenen möglichen Gefahren von genetischer Diskriminierung zu verhindern", so die Gesetzesbegründung. Dem soll unter anderem die Beschränkung vorgeburtlicher genetischer Untersuchungen auf "medizinische Zwecke" dienen (§ 15).
Nach Ansicht von Hubert Hüppe, dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, ist der neu entwickelte Bluttest zur Früherkennung des Downsyndroms (Trisomie 21), der noch im Juli auf den Markt kommen soll, hiermit nicht vereinbar. Bei dem Test gehe es "fast ausschließlich um die Selektion von Menschen mit Downsyndrom". Der nichtinvasive Test kann über das Blut der Schwangeren nachweisen, ob das Ungeborene das Downsyndrom hat. Bislang muss dies über riskante Fruchtwasseruntersuchungen ermittelt werden, wenn Eltern darüber Bescheid wissen wollen.
Diese Rechtsauffassung Hüppes, die sich auf ein in der vergangenen Woche veröffentlichtes Gutachten des Bonner Juraprofessors Klaus Ferdinand Gärditz stützt, ist indes nicht zwingend. Ihr lässt sich zunächst entgegenhalten, dass Untersuchungen, mit denen die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines kindlichen Downsyndroms ermittelt werden soll (pränatale Risikoabklärung), nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ausdrücklich in den Anwendungsbereich von § 15 GenDG fallen sollten. Das ergibt sich aus der Gesetzesbegründung zu der Regelung, die insoweit beispielhaft den so genannten Triple-Test (auf Basis der Konzentration von drei Hormonen im Blut der Schwangeren: Sie sollen Auskunft über gesundheitliche Besonderheiten des Ungeborenen geben) oder die Ultraschallbestimmung der Nackenfalte nennt.
Das Professorengutachten argumentiert denn im Kern auch mit übergeordnetem Recht: der aus dem Benachteiligungsverbot des Artikels 3 Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes abzuleitenden staatlichen Sonderverantwortung für den Schutz von Menschen mit Behinderung. In deren Licht müsse das Gendiagnostikgesetz verfassungskonform begrenzt werden; nämlich dahingehend, dass Diagnosemethoden zur "gezielten Selektion" unzulässig seien.
Und in der Tat: Bereits heute fällt die Entscheidung ganz überwiegend gegen das Kind aus, wenn bei ihm vorgeburtlich das Downsyndrom diagnostiziert wird, was meist über Fruchtwasseruntersuchungen stattfindet. Gleichwohl ist der Schwangerschaftsabbruch kein Automatismus – auch empirisch nicht: Immerhin unterbleibt eine Abtreibung in rund zehn Prozent der Fälle. Das Argument, zwischen formal neutraler Diagnose und behindertenspezifischer Beeinträchtigung bestehe zumindest ein "typisierbarer Kausalzusammenhang", erscheint dagegen fragwürdig. Es negiert die Eigenständigkeit der Wissenserlangung, indem es die Feststellung einer Behinderung letztlich mit dem lebensbeendenden Eingriff gleichsetzt.
Davon unabhängig dürften sich die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten des Staats eher auf die Ausgestaltung des Abtreibungsrechts selbst richten. Eine – der Entscheidung über den Schwangerschaftsabbruch vorgelagerte – "Sicherstellung des Nichtwissens über genetische Risiken" dürfte das Grundgesetz nicht verlangen.
Das schließt freilich nicht aus, der Verfügung über die genetische Disposition Grenzen zu ziehen. Hierbei handelt es sich in erster Linie um eine politische Entscheidung, die dem Gesetzgeber obliegt. Angesichts der stürmischen Fortschritte in der Gendiagnostik hat die Debatte darüber, wo genau die Grenze verlaufen soll, bereits begonnen. So erarbeitet der Deutsche Ethikrat derzeit eine Stellungnahme zur humangenetischen Diagnostik. Dass diese Debatte für das Selbstverständnis unserer Gesellschaft fundamental ist, liegt auf der Hand. Ebenso allerdings auch, dass Gesetze den Erkenntnisprozess nur bedingt einhegen können.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben