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Hirschhausens Hirnschmalz: Suff für alle?

Eckart von Hirschhausen

    Ein echtes Wundermittel für mich wäre:

  1. A) eine Tablette, die aus Wasser Kaffee macht.
  2. B) eine Tablette, die Kaffee in der Bahn trinkbar macht.
  3. C) eine Tablette, die nach dem Trinken den Durst löscht.
  4. D) eine Tablette, die ohne Alkohol die Erinnerungen an letzte Nacht löscht.

Wenn ich heute statt einer aktuellen Studie eine ­zitiere, die schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat, nicht wundern. Denn der Anlass, sie herauszusuchen, ist ein aktueller. Anfang Juli brachte ein Tesla-­Ingenieur ein Nahrungsergänzungsgedöns auf den Markt, das weltweit Schlagzeilen machte. Auch in Deutschland wurde diese Meldung wie blöd geklickt: "Koreaner erfindet Wundermittel gegen den Kater." Bei diesen Behauptungen gehen bei mir als Arzt und Wissenschaftsjournalist gleich mehrere Warnleuchten an.

Denn immer, wenn etwas zu schön klingt, um wahr zu sein, ist es meistens nicht wahr. Oder die Wahrheit nicht so schön. Bei jeder großspurigen Behauptung, erst recht, wenn ein massives kommerzielles Interesse dahintersteckt, lautet die zentrale Frage: Wo ist der Beweis? Es gibt bislang nur Erfahrungsberichte von Korea-Reisenden, denen Extrakte des Rosinenbaums angeblich über den Schmerz am nächsten Morgen hin­weg­halfen. Klassisch: Je exotischer das Gebräu, desto besser verkauft es sich im Westen. Feng-Shui ist in Deutschland auch weitaus populärer als in Asien.

Und es gibt Studien an Ratten, denen eine Menge Alkohol in die Vene gespritzt wurde – umgerechnet rund zwei Flaschen Wein. Sie waren dadurch so besoffen, dass sie sich nicht mehr vom Rücken auf den Bauch ­drehen konnten. Das wurde durch eine pflanzliche Substanz abgemildert. Na super. Aber wenn das Mittel so toll wirkt, warum hat es bislang niemand an Menschen getestet? Ein Abend auf dem Oktoberfest hätte genug Versuchspersonen generiert.

Auf der Homepage jedoch wird mit tollen Grafiken eines menschlichen Gehirns erklärt, wie die Substanz wirken soll. Und was noch ins Auge springt: der Bestell-Button. Wollen Sie sich zur Versuchsratte machen lassen? Warum werden nicht erst sauber kontrollierte ­Experimente an Menschen durchgeführt und danach solche marktschreierischen Kampagnen gestartet? Am originellsten finde ich die "Party-Packung" – gleich 120 Anti-Kater-Fläschchen bestellen und zum Helden werden! Für nur 360 Dollar.

Der zweite Grundsatz: Nur weil etwas aus Pflanzen ist, muss es nicht harmlos sein. Die giftigsten Substanzen auf der Welt sind "rein natürlich": Botox, Schimmel und Tabak. Drittens: Löst das vermeintliche Wundermittel das Problem? Nein. Ein Kater ist keine Krankheit, sondern ein Warnsignal des Körpers. Die Heilung besteht nicht darin, das Symptom zu bekämpfen, sondern die Ursache: zu viel Alkohol!

So einfach – und so schwierig. Denn Alkohol macht süchtig. Millionen Menschen in Deutschland schädigen damit ihren Körper, ihr Hirn, ihre Beziehungen und ihre Kinder. Über 10 000 Babys werden geboren mit ­irreparablen Schäden durch Alkohol in der Schwangerschaft. Da hilft auch kein Kräuterschuss mehr. Die Chinesen haben ein kluges Sprichwort: Hör auf zu trinken, bevor du glaubst, die anderen wollen dich singen hören! Denn die Leber wächst mit ihren Aufgaben.

Ich habe überhaupt nichts gegen ein Bier oder ein Glas Wein. Wenn es dabei bleibt. Der menschliche Körper ist schon ein Wunder und braucht keine weiteren "Wundermittel": Jesus konnte Wasser zu Wein verwandeln. Aber unser Körper ist in der Lage, über Nacht aus dem Wein wieder Wasser zu machen. Von ganz allein.

  • Quellen

Shen, Y. et al.: Dihydromyricetin as a Novel Anti-Alcohol Intoxication Medication. In: Journal of Neuroscience 32, S. 390–401, 2012

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