Die fabelhafte Welt der Mathematik: Die Mathematik des Zodiac-Killers
Am 20. Dezember 1968 hatten die 16-jährige Betty Lou Jensen und der 17-jährige David Arthur Faraday ihr erstes Date. Faraday holte Jensen mit dem Auto seiner Mutter ab, sie besuchten zunächst eine Freundin, besorgten sich anschließend Essen bei einem Drive-in-Restaurant und fuhren gegen 22 Uhr zu einem abgelegenen Wasserwerk in der Nähe der kalifornischen Stadt Benicia – ein Ort, der öfter von Liebespaaren aufgesucht wurde. Was wie eine kitschige Liebesgeschichte beginnt, nimmt allerdings ein tragisches Ende: Gegen 23 Uhr fand eine Anwohnerin die Leichen des jungen Paars: Faraday wurde mit einem Kopfschuss getötet, Jensen, die offenbar hatte fliehen wollen, wies fünf Schüsse im Rücken auf.
True-Crime-Fans kennen diese Geschichte. Dabei handelt es sich um den ersten nachgewiesenen Mord des »Zodiac-Killers«, der in den 1960er und 1970er Jahren in der kalifornischen Bay Area wütete. Ihm werden mindestens drei weitere Morde zugeschrieben: Er griff zwei weitere junge Paare an, von denen jeweils die Frauen starben, die zwei Männer konnten verletzt entkommen. Das fünfte Todesopfer war ein Taxifahrer, den der Täter nach einer Fahrt durch San Francisco erschoss. Auch wenn inzwischen als gesichert gilt, dass eine einzige männliche Person diese drei Fälle zu verantworten hat, ist ihre Identität bis heute ungeklärt.
Das ist umso erstaunlicher, als der so genannte Zodiac-Killer zahlreiche Hinweise hinterlassen hat: Er schickte mehr als 20 Briefe, teilweise in Form von Postkarten, an Lokalzeitungen. In diesen bekannte er sich zu den Morden – und um seine Behauptungen zu stützen, nannte er Details zu den Tathergängen, die der Öffentlichkeit unbekannt waren. In einem der Briefe gab er sogar an, bereits 37 Personen getötet zu haben, was sich bisher jedoch nicht nachweisen ließ.
Einige der versendeten Briefe waren mit seltsamen Zeichen verschlüsselt, die an Tierkreiszeichen (englisch: zodiac) erinnern, was schließlich zur Bezeichnung »Zodiac-Killer« führte. Seit mehr als 50 Jahren haben sich zahlreiche Ermittlerinnen, Mathematiker und rätselbegeisterte Personen den Kopf über die seltsamen Chiffren zerbrochen. Den letzten Durchbruch erzielten die Softwareentwickler David Oranchak und Jarl van Eycke zusammen mit dem Mathematiker Sam Blake von der University of Melbourne in Australien im Jahr 2020, als sie endlich den letzten längeren chiffrierten Brief des Zodiac-Killers knacken konnten. Damit haben sie eines der letzten großen Rätsel um den Fall gelöst – doch wer der Täter ist, bleibt weiterhin offen.
Ein Täter gibt sich zu erkennen … zumindest fast
Nach den Morden an Jensen und Faraday sowie an Darlene Elizabeth Ferrin (die Frau des zweiten Liebespaars, das in Vallejo angeschossen wurde), schickte der mutmaßliche Mörder drei identische Briefe an die Redaktionen der Lokalzeitungen »San Francisco Chronicle«, »Vallejo Times-Herald« und »San Francisco Examiner«. Im Text befanden sich Details zu den Tathergängen, was die Identität des Mörders bestätigte. Angefügt war jeweils ein verschlüsselter Text: Jede Redaktion erhielt ein Drittel der insgesamt 408 Symbole umfassenden, chiffrierten Gesamtschrift. Der Zodiac-Killer drohte mit weiteren Morden, falls die Zeitungen die Briefe nicht veröffentlichten.
Insgesamt verwendete er 55 verschiedene Zeichen im verschlüsselten Text. Damit war sofort klar, dass er keine einfache Substitutionschiffre verwendet hatte, bei der jedem Buchstaben exakt ein Symbol zugeordnet wird. Der Täter hatte eine homophone Verschlüsselung benutzt, bei der jedem Buchstaben gleich mehrere Symbole entsprechen. Das soll eine Häufigkeitsanalyse verhindern, bei der man die statistische Häufigkeit von Buchstaben in einem Text mit dem Auftreten der Symbole vergleicht.
Dennoch benötigten der Lehrer Donald Harden und seine Frau bloß etwa 20 Stunden, um den 408-Zeichen-Text zu knacken. Sie hatten angenommen, dass der Mörder seine Nachricht mit »I« (ich) beginnen würde und der Text die Worte »kill« oder »killing« enthält – und lagen damit richtig.
Es gibt nämlich auch Methoden, um homophone Chiffren zu knacken: Einzelne Buchstaben lassen sich zwar durch eine Häufigkeitsanalyse nicht ermitteln, aber Kombinationen von zwei oder drei Buchstaben kann man in solchen Texten schlecht verbergen. Deshalb durchsuchen Codeknacker den chiffrierten Text nach Wiederholungen von aufeinander folgenden Symbolen. In diesem Fall hielten Harden und seine Frau nach Wiederholungen Ausschau, die der Zeichenfolge »LL« wie in »kill« entsprechen könnten.
Der entschlüsselte Text enthielt folgende Nachricht (hier die übersetzte Version): »Ich töte gern Menschen, weil es so viel Spaß macht. Viel mehr Spaß, als Tiere im Wald zu töten, weil Menschen zu jagen viel gefährlicher ist als die Jagd auf irgendein Wildtier. Es ist das Aufregendste, was ich je erlebt habe. Viel besser als ein Mädchen zu bumsen, und das Allerbeste ist, wenn ich sterbe, werde ich im Paradies wiedergeboren, und die, die ich getötet habe, sind dann meine Sklaven. Ich werde euch nicht meinen Namen verraten, weil ihr dann versucht mich zu hindern, noch mehr Sklaven für das Leben nach dem Tod zu sammeln.«
Im November 1969, nachdem er zwei weitere Personen, Cecelia Ann Shepard in Napa County und den Taxifahrer Paul Lee Stine, getötet hatte, schickte er einen weiteren verschlüsselten Text an den »San Francisco Chronicle«, der aus 340 Symbolen bestand. Doch anders als beim vorigen Brief fand sich keine Methode, ihn zu entziffern. Tatsächlich dauerte es 51 Jahre, bis zwei Programmierer und ein Mathematiker ihn mit Hilfe von Entschlüsselungssoftware gemeinsam knacken konnten.
Der Zodiac-Killer verschickte in den folgenden Jahren weitere Briefe. In einem findet sich zum Beispiel der Satz »Mein Name ist:«, gefolgt von 13 Symbolen, die bis heute nicht entschlüsselt wurden. Diese Nachricht sei schlicht »zu kurz, um eine eindeutige Lösung zu haben«, sagte der Mathematiker Sam Blake im »Discover Magazine«. Dieser Teil wird sich wahrscheinlich niemals knacken lassen. 1974 endete die Korrespondenz des Zodiac-Killers abrupt. Bis heute ist unklar, woran das liegt – genauso ist immer noch unbekannt, wer sich hinter dem Killer verbirgt.
Deshalb versuchten sich allerlei Personen jahrelang an dem chiffrierten Text aus 340 Symbolen – vielleicht enthielt dieser ja einen entscheidenden Hinweis. Doch alle Versuche scheiterten. Der Text war kürzer als die erste verschlüsselte Nachricht und enthielt mehr Symbole. Zudem hatte der Zodiac-Killer offenbar nicht nur eine homophone Verschlüsselung genutzt, sondern auch Transpositionen. Das heißt, er hat zunächst die Buchstaben durch Symbole (wobei verschiedene Symbole dem gleichen Buchstaben entsprechen können) ersetzt und anschließend die Symbole umgeordnet. »Es gibt hocheffiziente Programme zum Lösen homophoner Substitutionschiffren«, schreibt Blake auf dem Blog von Wolfram. Doch die Substitution, also die Vertauschungen der Symbole, stellte ein Problem dar.
Eine unerwartete Wendung
Als Australien 2020 im Zuge der Corona-Pandemie eine Ausgangssperre verhängte, hatte Blake endlich Zeit, sich einem Problem zu widmen, das ihn schon lange interessierte. Er stieß auf die Videos des Softwareentwicklers David Oranchak, der sich seit 2006 mit den verschlüsselten Texten des Zodiac-Killers beschäftigte. Vor allem der 340-Symbole-Brief (kurz: 340Z) hatte es Oranchak angetan: »Die Chiffre hat mich wirklich angezogen, weil ich wusste, dass sie ungelöst war«, sagte Oranchak gegenüber »Virginia Tech Engineer«.
In einem seiner Videos erklärte Oranchak, dass ein möglicher Lösungsweg darin besteht, erst von Hand die richtige Transposition (Umordnung) zu finden und dann den umgeordneten Text mit Hilfe eines Computerprogramms, das homophone Chiffren löst, zu entschlüsseln. Blakes Interesse war sofort geweckt. »Diese Chiffre gilt als einer der heiligen Grale der Kryptografie«, schreibt Blake.
Ganz neu war der Gedanke nicht. Der Fall des Zodiac-Killers ist so berühmt, dass sich bereits viele daran versucht haben. Und tatsächlich zum Teil schnell auf Teillösungen stießen: Indem die Symbole umgeordnet und dann durch Entschlüsselungssoftware gejagt wurden, ergaben sich Texte mit viel Kauderwelsch, aber auch sinnvollen Wörtern darin. Doch Oranchak warnt: »Wer sich auf Teillösungen versteift, tappt leicht in die Falle.« Denn echte Worte entstehen schnell durch Zufall. Eine echte Lösung zu einem verschlüsselten Text muss einer strengen Ordnung gehorchen: Schließlich folgt eine Person meist einem festen Schema, um einen Text zu chiffrieren – insbesondere wenn sie, wie der Zodiac-Killer, zum Verschlüsseln nicht auf Computer zurückgreift.
Oranchak erklärte in seinem Video, dass eine bestimmte Transposition von 340Z interessante Eigenschaften aufweist. Dafür müsste man jedes 19. Symbol im chiffrierten Text zusammenführen. Die neue Reihenfolge lautet dann wie folgt: Symbol 1, Symbol 20, Symbol 39, …, Symbol 2, Symbol 21, Symbol 40, und so weiter. Die Auffälligkeit war folgende: Während im Original bloß 25 Symbolpaare mehrfach auftauchen, gibt es in der umgeordneten Version 37 Symbolpaare, die mehr als einmal auftreten. Da Buchstabenpaare in homophon verschlüsselten Texten gehäuft auftreten, müsste der Text möglichst viele solche Symbolpaare enthalten.
Doch auch wenn die von Oranchak beschriebene 19er-Transposition viel versprechend aussah, konnten Computerprogramme den umgeordneten Text nicht entschlüsseln. Blake beschloss daher, nach anderen aussichtsreichen Transpositionen zu suchen, die viele Symbolpaare hervorbringen. Er nahm Kontakt mit Oranchak auf, wodurch sich eine fruchtbare Zusammenarbeit entwickelte.
Teile und herrsche
Allerdings führten alle Versuche in eine Sackgasse. Irgendwann kamen Blake und Oranchak auf die Idee, dass der Zodiac-Killer den Text unterteilt und für jeden Teil eine andere Verschlüsselung gewählt haben könnte. Schließlich hatte der Mörder das bei seiner ersten längeren verschlüsselten Nachricht, die er an drei Nachrichtenredaktionen geschickt hatte, auch getan.
Insgesamt gingen Oranchak und Blake 650 000 verschiedene Transpositionen durch, bei denen sie den Text zudem auf verschiedene Arten unterteilt hatten: mal in waagerechte, mal in senkrechte Schnipsel und mal in beide. Alle Ergebnisse jagten sie anschließend durch eine Entschlüsselungssoftware namens »AZdecrypt«. Eine Lösung schien dabei besonders viel versprechend: Das Ergebnis enthält im oberen Teil des Textes unter anderem die aufeinander folgenden englischen Worte »hope you are trying to catch me«. Doch dazwischen verbarg sich noch Kauderwelsch – vor allem in den späteren Teilen des Textes.
»Heureka! Nach 51 Jahren hatten wir einen Teil der Z340 entschlüsselt«Sam Blake, Mathematiker
Zu dieser Lösung hatte eine waagerechte Aufteilung in drei Teile geführt, mit einer einfachen Substitution: Man startet mit dem ersten Symbol in der Nachricht, geht dann eine Reihe nach unten und zwei Symbole nach rechts. Dieses Symbol ist dann das zweite, das gelesen werden muss. So fährt man immer weiter fort: eine Zeile nach unten, zwei Schritte nach rechts, um das dritte Symbol zu erhalten, und so weiter. Dieses simple Schema schien der Schlüssel zu sein. »Es ist anzumerken, dass Z340 im Jahr 1969 erstellt wurde und daher fast sicher mit Bleistift und Papier konstruiert wurde«, schreibt Blake. Demnach ergibt es Sinn, dass der Zodiac-Killer die Symbole nach einem recht simplen Schema umgeordnet hatte.
Als Blake und Oranchak den ersten Teil der Textes mit der genannten Substitution umgeordnet und mit AZdecrypt entziffert hatten, ergab sich ihnen der erste Teil der Nachricht im Klartext. »Heureka! Nach 51 Jahren hatten wir einen Teil der Z340 entschlüsselt. Das war ein ganz besonderer Moment«, schreibt Blake.
Doch sie mussten noch die restlichen Abschnitte entschlüsseln. Wie sich herausstellte, funktionierte der Schlüssel zur homophonen Chiffre, der sich für den ersten Teil des Textes ergeben hatte, auch für den letzten, sehr kurzen Abschnitt – ohne die Symbole umzuordnen. Es offenbarten sich ein paar Wörter, bei denen man nur ein paar Silben umstellen musste.
Blieb also noch der zweite Teil des Textes. Als Blake und Oranchak die gleiche Transposition wie im ersten Fall benutzten, sah das entzifferte Ergebnis zwar viel versprechend aus, war von einem klar lesbaren Text aber noch weit entfernt. Deshalb wandten sich Blake und Oranchak an den Programmierer Jarl Van Eycke, der die Entschlüsselungssoftware AZdecrypt entwickelt hatte.
Van Eycke stellte unter anderem fest, dass bestimmte Teile der Nachricht von links nach rechts gelesen werden mussten. Am Ende gelang es den drei Männern, den gesamten chiffrierten Text des Zodiac-Killers nach 51 Jahren zu entschlüsseln. »Es war wahrscheinlich ziemlich einfach für ihn«, sagte Oranchak. »Die Umkehrung ist allerdings komplizierter, weil man herausfinden muss: Wie kann man den Text so anordnen, wie er vorher war?«
Das letzte große Rätsel ist geknackt
Leider gab die chiffrierte Nachricht nicht die Identität des Täters preis. Sie lautet: »Ich hoffe, dass ihr bei euren Versuchen, mich zu fassen, viel Freude habt. Das in der Fernsehshow war ich nicht – was einen Punkt von mir aufwirft: Ich habe keine Angst vor der Gaskammer, weil diese mich noch schneller ins Paradies befördern wird, weil ich nun genügend Sklaven habe, die für mich arbeiten, wo keiner sonst welche hat, wenn er im Paradies ankommt, so dass sie alle Angst vor dem Tod haben. Ich habe keine Angst, weil ich weiß, dass mein Leben nach dem Tod im Paradies ein einfaches sein wird.«
In dem Text nahm der Zodiac-Killer Bezug auf den Anruf einer Person in einer live ausgestrahlten Fernsehshow. Der Anrufer behauptete damals, der Zodiac-Killer zu sein, und sagte, er wolle nicht in der Gaskammer enden. Als Oranchak die betreffenden Zeilen las, »da wusste ich – oh mein Gott, das ist es«, sagte er.
Das war ein großer Durchbruch, vor allem für Oranchak, der seit 2006 an der chiffrierten Nachricht gearbeitet hatte. Die Identität des Zodiac-Killers wurde dadurch nicht enthüllt. Doch das hatten Blake, Oranchak und Van Eycke nach eigenen Angaben auch nicht erwartet. Oranchak betrachtet die 14 Jahre Arbeit, die er dem Thema gewidmet hat, nicht als eine lange Reise in die dunkle Innenwelt eines Mannes, sondern in die unendliche Welt der Kryptografie selbst. »Die Forschung wird immer besser, wenn es große Ziele wie 340Z gibt, weil es die Leute motiviert, bessere Wege für die Kryptografie zu finden«, sagte Oranchak.
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