Sex matters: Reden wir über Sex!
»Wir würden so gern miteinander über Sex sprechen, aber irgendwie kriegen wir das allein nicht hin. Ich muss dazusagen, dass wir eigentlich kein Problem, keine Krise oder so haben. Wir haben Sex. Ich glaube, er ist okay, obwohl wir schon zehn Jahre zusammen sind. Wir können auch über Sexualität reden – allerdings eher allgemein oder wenn es um andere Menschen geht. Aber wir würden gern über unsere eigene Sexualität sprechen. Nur wie fangen wir das bloß an?« (Gianluca*, 38, und Nadine*, 39)
Als die beiden zu mir kamen, war ich gespannt. Da kam ein Paar, dem es zu Hause nicht gelungen war, über Sexualität zu reden – wie hatten die beiden sich dann bloß geeinigt, zu mir zu kommen? Die Antwort fand ich interessant: Den Bedarf zu formulieren sei das eine, über sich selbst zu reden etwas ganz anderes. Die Frage nach einem Termin bei mir hatten sie sachlich abgehandelt. Sie konnten sich auf einer abstrakten Ebene darüber unterhalten, wie schön es wäre, ins Gespräch über ihre eigene Sexualität zu kommen. Weil sie in dem Moment noch nichts von sich selbst preisgeben mussten. Es ging um etwas Organisatorisches. Die große Herausforderung war das Emotionale, das Persönliche.
Vielen Menschen fällt es unglaublich schwer, mit dem Partner oder der Partnerin über ihre eigenen Gefühle und sexuellen Bedürfnisse zu reden. Sie fürchten zum Beispiel, dass ein Wunsch mit einer Kritik gleichgesetzt wird. Dass die Frage nach Sextoys Unsicherheit auslösen könnte. Er oder sie könnte denken, ich finde unseren Sex langweilig! Also schweigen die Menschen lieber. Sie möchten die Person, die sie lieben, nicht verletzen. Das finde ich grundsätzlich schön und wertvoll. Dennoch braucht es in Beziehungen das Gespräch über die eigene Sexualität.
Reden über Sexualität schafft emotionale Nähe
Frisch Verliebte sprechen noch über Sex. Bei langjährigen Paaren erlebe ich sehr häufig, dass sie Beziehung und Sexualleben einfach laufen lassen. Jahre- oder jahrzehntelang. Es ist normal, dass wir uns dem Altbekannten nicht mehr mit dem gleichen Interesse widmen. Trotzdem sollten auch langjährige Paare die Bedürfnisse und Erwartungen des anderen kennen und sich darüber austauschen. Am besten nicht erst dann, wenn es ein Problem gibt. Denn solange es gut läuft, fällt es leichter, Hemmungen zu überwinden und Gemeinsamkeiten zu entdecken. Wie fühlen wir uns, und worauf haben wir beide Lust?
Die Vorstellung, sich gegenseitig die Wünsche von den Augen ablesen zu können, halte ich für Quatsch. Bei anderen Themen ist es selbstverständlich, darüber zu reden, wohin die Reise geht. Wollen wir Pauschalurlaub im Strandhotel machen oder mit dem Wohnwagen durch Norwegen fahren, wollen wir wandern gehen oder eine Städtereise machen? Und wenn wir unterschiedliche Vorlieben haben: Wie könnte ein Kompromiss aussehen? Je mehr man im Vorfeld redet, desto eher kommt etwas dabei heraus, womit sich beide wohlfühlen.
So ähnlich ist es auch mit Gesprächen über Sex. In einer US-Studie aus dem Jahr 2022 untersuchten die Forschenden, wie bei Paaren Gespräche über Sexualität und ihre Zufriedenheit damit korrelierten. Es zeigte sich, dass die zufriedenen Paare mehr über ihre Sexualität sprachen und sich das Sexualleben nach den Gesprächen weiter verbesserte.
In meiner Praxis erlebe ich das ähnlich: Menschen, die über Sexualität reden, haben erfüllenderen Sex und sind glücklicher. Denn Reden über Sexualität schafft emotionale Nähe. Diese wiederum schafft körperliche Nähe und Lust auf Sex.
Den Einstieg finden
Wie kommen wir also ins Gespräch? Mit dem Paar, das zu mir in die Praxis gekommen ist, habe ich überlegt, was eigentlich die größte Hürde ist. Beide hatten Sorge, wie ihre Worte ankommen würden. Würde der andere sofort denken, dass hinter ihren sexuellen Fantasien Unzufriedenheit steckt? Sie nahmen an, dass der Wunsch nach Veränderung mit Kritik gleichgesetzt werden könnte.
Genau das ist oft ein großes Hemmnis. Deswegen haben wir einen kleinen Umweg gewählt. Ich habe beide gebeten, Fragen zu sammeln. Was würden sie gerne vom anderen wissen? Zu Hause hat jeder für sich überlegt. Ist es wichtig, wer die Initiative ergreift? Welche Sexualpraktiken mögen wir beide? Wann und wie häufig ist Blümchensex okay? Wie viel körperliche Nähe brauchen wir?
Die Antworten haben wir nicht in meiner Praxis gesucht, sondern nur überlegt, welchen Rahmen das Paar für ein Gespräch braucht. Die beiden wollten dabei ungestört sein und genug Zeit haben, deshalb sollte ihre Tochter bereits im Bett sein. Ich kann nur empfehlen, sich zu einem Gespräch über Sex wie zu einem Date zu verabreden. So können sich beide darauf einstellen.
Beim Einstieg ins Gespräch brauchen manche eine kleine Starthilfe. Das kann ein Film sein oder eine Serie, die das Thema aufwirft. Oder einfach etwas, was die Stimmung entspannt. Das Paar, das bei mir in der Beratung war, hat sich zum Kochen verabredet und währenddessen geredet. Ein Gespräch fällt leichter, wenn man dabei noch etwas anderes tut. Weil man sich zwischendurch auch mal mit etwas anderem beschäftigen kann.
- Die Kolumne »Sex matters«
Was ist guter Sex? Was hält mich davon ab? Und wie schaffe ich es, meine Vorstellungen umzusetzen? Diesen und weiteren Fragen widmet sich der Sexual- und Paartherapeut Carsten Müller in dieser Kolumne (hier in Bild und Ton). Seit 2013 berät er in seiner Duisburger Praxis zu Fragen rund um Sexualität und Partnerschaft. Auch Sie möchten ein Thema für die Kolumne vorschlagen? Dann schreiben Sie eine E-Mail an: Liebe@spektrum.de
- Wer kann weiterhelfen?
Die Kolumne soll dazu anregen, über eigene Bedürfnisse und Grenzen nachzudenken. Sie ersetzt weder eine ärztliche Beratung noch das persönliche Gespräch mit einem Therapeuten. Wenn man allein nicht weiterweiß, kann es helfen, mit jemandem zu sprechen, der sich auskennt. Im deutschsprachigen Raum gibt es zahlreiche Therapie- und Beratungsangebote – hier eine Auswahl:
Eine Übersicht über Beratungsstellen geben die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und die Organisation pro familia. Mit Sextra bieten Teams von pro familia Beratung per Onlineformular und Mail. Therapeutenlisten – geordnet nach Name oder Postleitzahl – führen etwa die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung, die Deutsche Gesellschaft für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft sowie das Institut für Sexualtherapie. Jugendliche finden Hilfe auf sexundso.de.
Meinem Klientenpaar wurde im Gespräch bewusst, dass es eigentlich nur um Feinjustierungen ging. Er wünschte sich, dass sie ihn öfter einfach so umarmt. Die körperliche Verbundenheit im Alltag war ihm zu kurz gekommen. Das war etwas, was sie gut hören konnte. Außerdem ging es ums Vorspiel. Sie hatte Lust, sich dafür mehr Zeit zu nehmen. Und er hatte den Gedanken, ihr Unterwäsche zu kaufen. Vor allem aber stellten beide fest, dass sie mit ihrem Sexualleben ziemlich zufrieden waren.
Wäre es also wirklich nötig gewesen, das Gespräch zu suchen? Ich sage: unbedingt. Es verbindet. Es gibt die Chance, Gemeinsamkeiten zu schätzen. Einander zu vermitteln: Wir wollen zusammen glücklich bleiben. Denn es geht nicht immer darum, alles neu zu erfinden. Ein Gespräch über Sexualität darf auch einfach nur ein riesengroßer Schulterklopfer für die Beziehung sein.
Und nun sind Sie dran: Das Gespräch eröffnen
Hier kommen fünf allgemeine Aussagen, die als Einstiegshilfe dienen können. Fragen Sie Ihren Partner oder Ihre Partnerin: Wie siehst du das?
- »Mit dem Sex klappt es nur, wenn es auch im Alltag läuft.«
- »Wer viel Erfahrung hat, ist gut im Bett.«
- »Bilder oder Filme verstärken die Lust aufeinander.«
- »Beim Sex darf man auch mal lachen.«
- »Streit kann das alte Feuer wieder entfachen.«
* Namen von der Redaktion geändert
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