Freistetters Formelwelt: Wie man Primzahlen auf Linie bringt
Der Mathematiker Stanisław Ulam ist vor allem als führender Mitarbeiter bei der Entwicklung der ersten Atombombe während des Manhattan-Projekts bekannt. Doch neben dieser sehr konkreten Anwendung hat er sich auch intensiv mit reiner Mathematik beschäftigt. Zum Beispiel mit folgender Funktion:
Die Erklärung dazu fängt mit Langweile an. Nicht mit der klischeehaften Langeweile, die viele Menschen zu überkommen scheint, wenn sie auf mathematische Gleichungen stoßen. Sondern die sehr nachvollziehbare Langeweile, die während langer Sitzungen oder Vorträge auftreten kann. Das ging, so lautet zumindest die Erzählung, auch Stanisław Ulam so, als er 1963 einem Vortrag auf einer wissenschaftlichen Konferenz zuhören musste, der seine Aufmerksamkeit aber nicht halten konnte. Also begann Ulam, auf seinem Notizblock herumzukritzeln. Er schrieb die natürlichen Zahlen auf – und zwar in Spiralform: In der Mitte stand die Eins, dann folgten gegen den Uhrzeigersinn spiralförmig die restlichen Zahlen. Darin markierte er alle Primzahlen und war erstaunt, ein Muster zu entdecken. Überraschend viele Primzahlen waren entlang von Linien zu finden, die diagonal durch das Bild liefen.
Wie sind die Primzahlen verteilt?
Aus der Kritzelei eines gelangweilten Mathematikers war plötzlich eine potenziell spannende Entdeckung geworden. Ulam nutzte einen der ersten elektronischen Computer (den 1957 gebauten MANIAC II), um sein Diagramm um mehrere zehntausend Zahlen zu erweitern. 1964 und 1967 veröffentlichte er zwei Fachartikel dazu. Dem Mathematiker war schnell klar geworden, dass die Diagonalen in seiner Spirale mit älteren Entdeckungen zusammenhängen. Schon Leonhard Euler hatte im 18. Jahrhundert herausgefunden, dass der Ausdruck n2 + n + 17 für alle natürlichen Zahlen n zwischen 0 und 15 eine Primzahl liefert, die man auch in Ulams Diagonalen findet. Nimmt man stattdessen den Ausdruck n2 − n + 41, bekommt man sogar noch mehr Primzahlen (ebenfalls eine Entdeckung von Euler): Startet man die Spirale nicht mit 1, sondern mit 41 im Zentrum, dann erhält man eine durchgehende Diagonale, die aus 40 Primzahlen besteht.
Allgemein lassen sich Diagonalen in Ulams Spirale mit der allerersten Formel beschreiben. Es ist offensichtlich, dass die Funktion nicht für jede beliebige Kombination von a, b, c und n (die alle ganzzahlige Werte haben) eine Primzahl liefert. Wäre das so, hätte man damit eine der größten offenen Fragen in der Mathematik gelöst: nämlich die Verteilung der Primzahlen. Die Spirale von Ulam zeigt jedoch, dass es bestimmte Kombinationen von a, b und c gibt, für die man mit der Funktion f(n) deutlich mehr Primzahlen berechnen kann als für andere Kombinationen.
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Ulam selbst fand ein paar dieser Kombinationen; andere Mathematikerinnen und Mathematiker haben sich ebenfalls immer wieder mit den Ulam-Spiralen (wie sie mittlerweile genannt werden) beschäftigt. Eine abschließende Erklärung für das Muster in den Spiralen gibt es aber noch immer nicht.
Stanisław Ulam war nicht der Erste, der auf ein Phänomen dieser Art gestoßen ist. Schon 1932 arrangierte der US-amerikanische Herpetologe Laurence Klauber die natürlichen Zahlen in Form eines Dreiecks, mit der 1 an der Spitze. Markiert man dort die Primzahlen, dann liegen sie auch hier sehr oft auf diagonalen und vertikalen Linien. Herpetologie ist übrigens kein mathematisches Fachgebiet, sondern die Wissenschaft von Amphibien und Reptilien – Klauber war einer der führenden Experten, was Klapperschlangen angeht. Nicht unbedingt die Art der Forschung, bei der mit Erkenntnissen über Primzahlen zu rechnen ist, aber die Kreativität ist in dieser Hinsicht ein wenig wie die Liebe: Sie sieht, frei nach Shakespeare, mit dem Gemüt und nicht mit den Augen – und trifft Mathematiker und Klapperschlangenforscher gleichermaßen.
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