Springers Einwürfe: Unterwegs in eine Welt ohne Hunger
Tag für Tag leiden 690 Millionen Menschen an gesundheitsschädlichem Nahrungsmangel. Um ihr Elend nachhaltig zu beenden, gilt es, die Wurzeln dieser andauernden Katastrophe aufzudecken. Gewiss, lokale Konflikte oder gar echte Kriege erzeugen zusätzliches Elend, und allzu oft versickern Hilfsgelder in den großen Taschen korrupter Regime. Doch das sind nur die medienwirksamen Auswüchse eines weltumspannenden Grundübels, das endlich nach Aufklärung verlangt.
Welche Erfolge hat die einschlägige Forschung bisher erzielt? Vermag sie zu ergründen, woher die chronische Fehlallokation der Nahrung kommt? Denn bekanntermaßen reicht die global erzeugte Menge an sich aus, heutzutage jeden Menschen satt zu machen. Vor allem: Was hat man an konkreten Strategien gegen den Welthunger anzubieten?
Tatsächlich hat ein internationales Konsortium namens Ceres 2030 diese Fragen untersucht und in dreijähriger Arbeit mehr als 100 000 Fachpublikationen betrachtet. Das Ergebnis wurde just wenige Tage veröffentlicht, nachdem das World Food Programme der Vereinten Nationen als Träger des Friedensnobelpreises 2020 feststand.
Finanziert wurde Ceres 2030 von der Bill & Melinda Gates Foundation und dem deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Zahl 2030 im Namen nimmt Bezug auf eines der wichtigsten der 17 von den UN erklärten »Ziele für nachhaltige Entwicklung« (Sustainable Development Goals): den Hunger bis 2030 aus der Welt zu schaffen.
Ceres 2030 beurteilt die bisherige Hungerforschung äußerst kritisch: Nur ein winziger Bruchteil aller untersuchten Artikel wage es, praktische Vorschläge zu machen; die überwältigende Mehrheit erweise sich als unfähig, insbesondere den Kleinbauern und deren Familien weiterzuhelfen – obwohl zwei Drittel der Hungernden auf dem Land leben, und obwohl von den 570 Millionen Bauernhöfen auf der Welt 475 Millionen Gehöfte kleiner als zwei Hektar sind.
Viele Analysen erhärten bloß die wenig originelle Erkenntnis, dass Kleinhäusler von der Bildung von Selbsthilfegruppen und Kooperativen profitieren. Allerdings befassen sich die allermeisten der von Ceres 2030 untersuchten Studien überhaupt nicht mit den Problemen von Kleinbauern.
Warum ist das so? Zum Teil wohl deshalb, weil sich die Finanzierung der einschlägigen Forschung in den vier vergangenen Jahrzehnten vom universitären in den privaten Sektor verschoben hat. Mehr als die Hälfte der Forschungsgelder stammt heutzutage von Konzernen, die ihr Geld mit der Landwirtschaft machen – und das lieber mit großflächigen Agrarbetrieben, die ordentlich Saatgut, Dünger und Maschinen bestellen.
Zudem ist es einer akademischen Karriere nicht unbedingt förderlich, wenn man sich auf die Existenzsorgen ländlicher Kleinproduzenten spezialisiert. Die Universitäten sind bei der Jagd nach Drittmitteln und Staatsgeldern wenig erpicht auf Projekte, die eher abseitig anmuten.
Hinzu kommt die Vorliebe der Fachredaktionen und -verlage für vermeintlich »große« Themen, wie die Informatikerin Jaron Porciello von der Cornell University in Ithaca (US-Bundesstaat New York) – Kodirektorin von Ceres 2030 – konstatiert: Die Erforschung der Probleme kleiner Bauern gelte als zu wenig weltbewegend.
Dieses Vorurteil ist, wie Ceres 2030 nachweist, grundverkehrt. Die meisten Bauern auf der Welt treiben Kleinwirtschaft. Darum entscheidet ihr Wohlergehen über Hunger oder Sattheit – nicht nur der eigenen Familie, sondern aller Kunden, die mit der überschüssigen Ernte zufrieden gestellt werden.
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