Unwahrscheinlich tödlich: Tod durch Violinspinne
Als Mensch mit ausgeprägter Spinnenangst lese ich Meldungen zu grausigen Spinnenbissen mit einer morbiden Faszination. »Kenne deinen Feind«, das ist vermutlich der Impuls dahinter. Deshalb gingen die vor Kurzem zirkulierenden Nachrichten über den tödlichen Angriff einer Violinspinne in Italien natürlich nicht spurlos an mir vorbei.
Was war geschehen? Ein 52-jähriger Carabiniere war in der Nacht zum 13. Juli 2024 verstorben, berichtete unter anderem RaiNews – weil ihn, so die Annahme, eine Violinspinne (Loxosceles rufescens) gebissen hatte. Nachdem er am 7. Juli draußen gearbeitet hatte, bemerkte er eine Rötung an seinem Fußknöchel. Was ihn dort verletzt hatte, hatte er wohl nicht gesehen. Wenige Tage später ging es dem Mann so schlecht, dass er sich in einem Krankenhaus in Palermo behandeln ließ. Die Ärztinnen und Ärzte konnten ihn nicht mehr retten. Er erlag nach zwei weiteren Tagen den Folgen seiner Verletzung.
Achtbeinige Killerin?
Zahlreiche Medien nennen die Violinspinne dabei als Todesbringerin. Mir ist bei der Recherche keine gesicherte Information untergekommen, die diesen Zusammenhang so eindeutig belegt. Die Spinne ist aber in der Region verbreitet, und offensichtlich passten die Beschwerden des Mannes zu denen, die man üblicherweise nach ihrem Biss beobachtet: eine gerötete und geschwollene Hautstelle mit kleiner Wunde, um die herum Gewebe abstirbt, was mit Schmerzen, Fieber und Übelkeit einhergehen kann. In den seltenen tödlichen Fällen zerstört das Spinnengift nicht nur Zellen in der Haut, sondern gelangt in tiefere Schichten. Dort greift es Blutzellen, Fett-, Muskel- und weiteres Gewebe an. Mitunter bedingt das schwere Organschäden, die innerhalb weniger Tage zum Tod führen können. Es ist relativ typisch für Violinspinnen, zuzubeißen, ohne dass ihr Opfer es bemerkt. Die Giftinjektion ist vielen Fällen schmerzlos und führt 12 bis 24 Stunden später zu ersten Problemen.
Ein Bericht aus der süditalienischen Provinz Kalabrien, den die behandelnden Ärzte und Ärztinnen 2016 veröffentlichten, befasst sich mit einem ähnlichen Verdachtsfall. Das damalige Opfer war eine 65-jährige Frau. Sie hatte allerdings das Tier gesehen, das sie am Vorabend in ihrem Keller gebissen hatte. Ihre Beschreibung passte zur Violinspinne, zudem waren auch Häuser in ihrer Nachbarschaft befallen. Ihre Wunde hatte sie zunächst noch wenig alarmiert. Deshalb ging sie nach dem Biss wie gewohnt ins Bett. Erst am folgenden Morgen suchte sie die Notaufnahme auf, weil ihre Hand schmerzhaft angeschwollen und ihre Körpertemperatur erhöht war. Während sie dort wartete, verschlechterte sich ihr Zustand. Bei der Untersuchung hatte das Gewebe um die Bissstelle schon deutlichen Schaden genommen und ihr gesamter Arm wurde nicht mehr ausreichend durchblutet. Teile ihres Muskelgewebes und ihrer Blutzellen waren bereits dabei, sich aufzulösen. Trotz intensivmedizinischer Behandlung konnte das Team die Patientin nicht retten.
Eine spätere Analyse lässt an der anfänglichen Diagnose »Tod durch Spinnenbiss« Zweifel aufkommen. Die Frau litt nämlich zusätzlich an einer Infektion, die ein tödliches toxisches Schocksyndrom auslösen kann. Die verantwortlichen Bakterien werden normalerweise nicht von Arachniden übertragen. Die Ansteckung erfolgte also sehr wahrscheinlich unabhängig von der Begegnung mit dem Achtbeiner. Die genaue Todesursache bleibt deshalb ungeklärt.
Schüchterne Gesellin
Dass Violinspinnenbisse im Körper ernsthaften Schaden anrichten können, ist generell gut belegt. Nichtsdestoweniger geht kein allzu großes Risiko von den Tieren aus, die eine Körperlänge von bis zu neun Millimetern haben. Zum einen verläuft die Mehrheit der Zwischenfälle glimpflich. Es kommt zwar um die Bissstelle herum häufig zu kleinen Nekrosen, also dem lokalen Absterben von Gewebe. Sie heilen aber meist innerhalb einiger Tage bis Wochen von selbst ab. Verantwortlich für solche Schäden sind Enzyme im Spinnengift, die Teile der Zellmembranen angreifen und abbauen. Je nach Konzentration des Toxins – in den Drüsen der Achtbeiner können unterschiedliche Mengen gespeichert sein und beim Angriff muss nicht der gesamte Vorrat injiziert werden – sind die Effekte mal milder und mal heftiger ausgeprägt. Zum anderen sind Violinspinnen generell friedsame Wesen, die nur dann zubeißen, wenn sie sich in ernster Gefahr sehen. Oft verstecken sich die Tiere in dunklen, wenig frequentierten Ecken. Zusammenstöße mit Menschen sind deshalb eher selten.
Die Art stammt ursprünglich vermutlich aus Marokko. Von hier breitete sie sich in umliegende Länder mit warmem, trockenem Klima aus. Ihr heutiger Lebensraum erstreckt sich über Nordafrika, Spanien, Portugal, Italien bis hin zum östlichen Mittelmeerraum. Außerdem scheint die Violinspinne über Handelsrouten bereits in mehrere asiatische und amerikanische Länder sowie nach Australien gelangt zu sein. Ihre Bisse haben Fachleute auch außerhalb von Italien nachgewiesen, zum Beispiel auf den Balearen. In Deutschland gibt es bisher keine gemeldeten Sichtungen von Violinspinnen. Hier zu Lande kann man die von diesen Tieren ausgehende Gefahr also als praktisch nicht existent bezeichnen.
Ähnliche Krankheitsverläufe beobachtet man nach Bissen verwandter Spinnenarten in Amerika, zu denen die Chilenische Einsiedlerspinne (Loxosceles laeta) und die Braune Einsiedlerspinne (Loxosceles reclusa) zählen. Wie die Violinspinne sind die beiden nachtaktiv und eher menschenscheu. Da sie sich gern in Gebäuden einnisten, kommt es gelegentlich zu Begegnungen mit Menschen. Betroffen sind vor allem schlafende Personen, wenn sich die Spinne zuvor ins Bett verirrt hat und man sie versehentlich beinahe erdrückt. Oder solche, die sich gerade ein Kleidungsstück anziehen, in dem sich ein Exemplar versteckt hat. Das, was ich aus Arachnophobie sowieso praktiziere, ist also keinesfalls falsch: Bettwäsche, Kleidung und Handtücher vor jeder Verwendung ausschütteln, damit man dort ruhende Mitbewohner sanft aufweckt. Und sie danach behutsam aus dem Wohnraum entfernen kann.
- Steckbrief: Die Violinspinne
Vorkommen: Violinspinnen (Loxosceles rufescens) sind im gesamten Mittelmeerraum verbreitet. Als »blinde Passagiere« auf Handelsschiffen haben sie sich zudem in mehreren Ländern außerhalb ihres ursprünglichen Lebensraums angesiedelt. Die eng mit ihnen verwandte Chilenische Einsiedlerspinne (Loxosceles laeta) und die Braune Einsiedlerspinne (Loxosceles reclusa) kommen in Südamerika und im Südosten der Vereinigten Staaten vor. In Deutschland ist bisher keine Population dieser Arten nachgewiesen.
Gift: Mit ihren Beißwerkzeugen können die oben genannten Arten die menschliche Haut durchdringen und ihr Gift injizieren. Dieses besteht aus zahlreichen Komponenten. Hauptsächlich für die Giftwirkung verantwortlich ist das Enzym Sphingomyelinase D. Dieses spaltet Sphingomyeline auf, die zu den wesentlichen Bestandteilen der Zellmembran zählen. So schädigt es die Außenschicht der Zelle, was dazu führt, dass diese abstirbt. Das Enzym kommt bei den Einsiedlerspinnen in unterschiedlichen Konzentrationen und Varianten vor. Das Gift der chilenischen Art wird als das gefährlichste angesehen.
Krankheitsverlauf nach dem Biss: Der Biss ist schmerzlos; in den meisten Fällen bemerken Menschen ihn erst 12 bis 24 Stunden später, wenn die ersten Symptome einsetzen. Fast immer kommt es nur zu kleinen, lokalen Irritationen. Wenn ausreichend Gift in die Wunde gelangt, kann jedoch der so genannte Loxoscelismus entstehen, der von nekrotischen Gewebsschäden gekennzeichnet ist. Diese sind entweder lokal begrenzt und verheilen meist von selbst, oder das Spinnengift löst ein systemisches Syndrom aus, weil es fernab der Haut in weitere Körperteile eingedrungen ist und dort Zellen absterben lässt. Letztere Variante endet im schlimmsten Fall tödlich.
Häufigkeit: Es gibt bloß einige wenige nachgewiesene Fälle von schweren Verläufen nach Bissen von Violinspinnen. Der Zusammenhang ist jedoch auch schwer zu belegen, denn: Die schmerzlosen Bisse werden üblicherweise erst Stunden später bemerkt, und nur selten gelingt es Betroffenen dann, die Ursache zu identifizieren. Die Diagnose wird meist anhand der Symptome gestellt. Dabei kommt es mitunter zu Verwechslungen mit ähnlich verlaufenden Erkrankungen.
Behandlung: In Fällen von lokal begrenztem Loxoscelismus beschränkt sich die Behandlung meist auf die Reinigung der Wunde. Bei systemischen Verläufen werden Betroffene intensivmedizinisch betreut. Dabei können unterschiedliche immunmodulierende Medikamente zum Einsatz kommen, um die Effekte der Vergiftung einzudämmen. Manchmal ist eine mechanische Beatmung oder der Einsatz von Herz-Lungen-Maschinen nötig. Zudem kommen Bluttransfusionen und Infusionen zum Einsatz.
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