Unwahrscheinlich tödlich: Die giftgrüne Tapete von Napoleon Bonaparte
Im Oktober 1815 empfing die Insel St. Helena einen prominenten, wenngleich widerwilligen Gast. Napoleon Bonaparte wurde nach seiner Niederlage in der Schlacht von Waterloo von den Alliierten auf das Eiland verbannt. Sein erstes Exildomizil auf der Mittelmeerinsel Elba war offensichtlich nicht weit genug von Frankreich entfernt gewesen, deshalb wollten die Briten diesmal keine Risiken eingehen. Sie schifften den vormaligen Kaiser der Franzosen also auf das kleine, isolierte Überseeterritorium mitten im Südatlantik, fast 2000 Kilometer vom nächsten Festland gelegen. Napoleons erzwungener Besuch sollte knapp sechs Jahre dauern und mit seinem Tod enden.
Der Verbannte selbst war überzeugt, dass man ihn auf St. Helena umbringen wollte. Das hielt er sogar in seinem Testament fest. »Ich sterbe vor meiner Zeit, ermordet von der englischen Oligarchie und ihrem beauftragten Attentäter«, schrieb Napoleon dort. Noch heute, mehr als 200 Jahre später, glauben viele Menschen an einen Auftragsmord im Namen der britischen Krone. Eine Arsenvergiftung habe den Verbannten demnach vorzeitig ins Grab getrieben.
Abseits solcher Spekulation gibt es die historisch gesicherten Daten: Napoleon starb mit 51 Jahren nach langer Krankheit. In seinen letzten Lebensmonaten hatte sich sein Gesundheitszustand rapide verschlechtert. Er war merklich geschwächt, hatte kaum noch Appetit und klagte über Magen-Darm-Beschwerden. Seine Autopsieberichte – es gibt mehrere, sowohl von seinem Leibarzt als auch von britischen Pathologen – beschreiben Gewebeschäden im Verdauungstrakt, die auf Magenkrebs in fortgeschrittenem Stadium hindeuten. Ein Geschwür hatte sich durch die Magenwand gefressen und ein Loch hinterlassen, durch das Verdauungssäfte in die Bauchhöhle fließen konnten. Napoleon war nicht der Erste in seiner Familie, der mit Magenleiden kämpfte: Sein Vater starb im Alter von 38 Jahren an einer vergleichbaren Komplikation.
Haare als Beweismittel
Fakt ist auch, dass sich im Kopfhaar von Napoleon zum Teil sehr hohe Konzentrationen von Arsen nachwiesen ließen. Das belegen einige Forschungsarbeiten, die mehrere erhaltene Strähnen des Exkaisers analysiert haben. Arsen ist ein Halbmetall, das in der Natur in elementarer Form sowie in unterschiedlichen Verbindungen vorkommt. Einige davon sind äußerst toxisch. Nimmt eine Person hohe Mengen zu sich, kann das ähnliche Beschwerden auslösen wie jene, die Napoleon in seiner letzten Lebensphase plagten: Erbrechen, Übelkeit, Koliken und Durchfall sowie innere Blutungen. Eine chronische Vergiftung kann zudem die Entstehung gewisser Krebsleiden begünstigen.
Wurde der Kaiser also tatsächlich vergiftet – und falls ja, von wem? Der erste Teil der Frage lässt sich relativ sicher mit Ja beantworten. Einerseits bekam Napoleon seinerzeit durchaus gebräuchliche Medikamente, die man heute wegen ihrer hohen Toxizität allenfalls nur noch sehr vorsichtig einsetzen würde. Dazu zählen etwa Brechweinstein, ein giftiges und Krebs förderndes Antimonpräparat, sowie das Quecksilbersalz Kalomel. Andererseits enthielt sein Haar derart hohe Arsenkonzentrationen, dass man gesundheitliche Auswirkungen durchaus annehmen kann. Wie genau das Halbmetall dort hinkam, ist allerdings bis heute nicht abschließend geklärt. Einige Indizien weisen auf einen ungewöhnlichen Verdächtigen hin: die Tapete im Exilheim des ehemaligen Kaisers.
Trendfarbe: Giftiges Grün
Im 19. Jahrhundert eroberten giftgrüne Pigmente die modischen Farbpaletten im Sturm. Ihre Strahlkraft hatte jedoch eine dunkle Seite: Hinter den neu entdeckten Farbstoffen Scheeles Grün und Schweinfurter Grün steckten Kupfer-Arsen-Salze, die chemisch nur mäßig stabil waren. Bestimmte Umweltbedingungen, etwa hohe Luftfeuchtigkeit und Schimmelbefall, beschleunigten ihre Zersetzung. In der Folge entstand unter anderem gasförmiger Arsenwasserstoff, der sich in schlecht belüfteten Innenräumen ansammeln konnte. Das setzte damals nicht nur Malerinnen und Maler einer ungesunden Menge Giftgas aus, sondern ebenso große Teile der Bevölkerung. Denn Grün war vielerorts im Trend. Menschen trugen Textilien, saßen auf Polstermöbeln und umgaben sich mit Tapeten, die mit den Farbstoffen Scheeles oder Schweinfurter Grün koloriert waren. Arsenvergiftungen waren eine häufige Konsequenz und zahlreiche Menschen starben an den Folgen.
Hier kommt Napoleons Wandverkleidung ins Spiel. Bereits 1982 wiesen die Briten David Jones und Kenneth Ledingham arsenhaltige, grüne Pigmente in einem Stück Tapete nach, das aus dem damaligen Salon von Napoleons Residenz Longwood House auf St. Helena stammte. Das ist derselbe Raum, in dem der Exkaiser verstarb. Die Arsenkonzentration, so schrieben sie in ihrer Arbeit, war hoch genug, um die Gesundheit des Franzosen zu schädigen und zu seiner Krankheit beizutragen. Zu allem Überfluss lag das Anwesen in einer besonders feuchten und kühlen Gegend der sowieso regnerischen Atlantikinsel, und nur einige Räumlichkeiten befanden sich in einem mehr oder minder bewohnbaren Zustand. Nässe und Schimmel könnten den Tapeten zu- und Arsengase aus den Pigmenten freigesetzt haben. Deren Menge reichte jedoch sicherlich nicht aus, um akut tödliche Dosen in der Raumluft zu erreichen.
Eine toxische Epoche
Weitere die Briten entlastende Indizien lieferte 2008 ein Team um Adalberto Piazzoli von der Università degli Studi di Pavia. Die Fachleute analysierten Haare von Napoleon aus drei Phasen – seiner Kindheit, seinem ersten Exil auf der Insel Elba und der Zeit nach seinem Ableben. Zusätzlich untersuchten sie eine Locke seiner Gattin Josephine und mehrere Strähnen seines Sohns Napoleon II. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Napoleon zeitlebens immer wieder ungesunden Mengen an Arsen ausgesetzt gewesen war, wenngleich die entsprechenden Werte auf St. Helena nochmals anstiegen. Doch auch in den Haaren des Sohns und – in geringerem Ausmaß – von Josephine fanden die Fachleute erhöhte Konzentrationen. Im Licht dieser Ergebnisse erscheint eine absichtliche Vergiftung eher unwahrscheinlich.
Das schließt nicht aus, dass Arsen indirekt zu Napoleons Tod beitrug. Diese These lässt sich heute, mehr als 200 Jahre nach seinem Ableben, natürlich schwer testen. Wie genau die Schäden in seinem Körper zu Stande gekommen waren – ob ungünstige Erbfaktoren die Tumoren wuchern ließen beziehungsweise in welchem Ausmaß Arsen die Krebsentstehung begünstigte –, wird also vermutlich nie zweifelsfrei geklärt werden. Doch eines zeichnet sich aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen ab: Höchstwahrscheinlich steckt kein Arsen-Mord im Stile einer Agatha-Christie-Geschichte hinter dem Tod des ehemaligen Kaisers.
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