Unwahrscheinlich tödlich: Tod durch aufgewärmten Reis
Als Doktorandin in Glasgow bin ich einmal nur knapp dem Tod entkommen – den Eindruck hätte man zumindest gewinnen können, wenn man sich ansah, wie meine damaligen Kolleginnen und Kollegen auf mein Mittagessen reagierten. Ich hatte mir Reste eines Risottos vom Vortag zur Arbeit mitgenommen und sie in der Mikrowelle aufgewärmt. Das sollte ich aber keinesfalls essen, riet man mir. Aufgewärmter Reis sei nämlich giftig! Davon hatte ich noch nichts gehört, und ich hatte bis dahin bereits auch das eine oder andere aufgewärmte Reisgericht überlebt. Aber natürlich war ich neugierig, ob ich mit der Mahlzeit mein Leben riskierte. Bei der Recherche stellte sich zu meiner Überraschung heraus, dass vorgekochter Reis tatsächlich nicht ohne Tücken ist.
Im schlimmsten Fall kann er sogar eine zuvor gesunde Person das Leben kosten, wie ein Fallbericht 2021 im Fachblatt »BMJ Case Reports« dokumentiert. In Australien hatte die 40-jährige Frau gebratenen Reis zubereitet. Sie hatte ihn über Nacht auf dem Herd stehen lassen, bevor sie ihn in den Kühlschrank verfrachtete. Die Reste wärmte sie nach einer Woche nochmals auf und aß sie. Erste Symptome ließen nicht lange auf sich warten. Nach einer Stunde fing sie an zu schwitzen und wiederholt zu erbrechen, außerdem schmerzte ihr Magen. Etwas später fiel sie in Ohnmacht und dann in ein Koma. Ihre Ärztinnen und Ärzte taten ihr Bestes, um sie zu retten, doch die Frau hatte bereits eine Blutvergiftung. Sie erlitt ein Multiorganversagen und verstarb schließlich an einem Herzstillstand.
Sporen im Reis
Die Krankheit, die sie das Leben kostete, ging auf den Keim Bacillus cereus zurück. Seine Sporen kommen zwar überall in der Umwelt vor, Reis ist allerdings besonders belastet: Eine spanische Studie fand sie etwa in rund der Hälfte der Reisproben, eine US-amerikanische und eine malaysische Untersuchung gar in allen getesteten Reissorten. Wenn sie als Sporen überdauern, ruht der Stoffwechsel der Bakterien, sie sind dann sozusagen mikroskopisch kleine Winterschläfer. Ist ausreichend Wasser vorhanden und liegt die Temperatur in einem bestimmten Bereich – bei B. cereus reicht dieser von etwa 5 bis 55 Grad Celsius –, erwachen sie aus ihrem Dornröschenschlaf und beginnen sich zu vermehren.
Dabei stellen sie Stoffe her, die unserem Magen-Darm-Trakt nicht bekommen. Für die plötzlich einsetzenden Magenbeschwerden ist das vom Keim produzierte Peptid Cereulid verantwortlich, das als Brechmittel wirkt. Die Symptome beginnen, etwa 30 Minuten bis sechs Stunden nachdem man den belasteten Reis zu sich genommen hat. Während die Bakterien selbst bei Temperaturen über 65 Grad absterben, ist Cereulid hitzestabil. Es bleibt also auch dann gefährlich, wenn man die Speise vor dem Essen noch einmal komplett durcherhitzt.
Die durch B. cereus ausgelöste Lebensmittelvergiftung trägt den hübschen Namen »Fried Rice Syndrome« (übersetzt »Gebratener-Reis-Syndrom«). Sie ist zwar äußerst unangenehm, endet aber nur sehr selten tödlich. Menschen mit einem intakten Immunsystem erholen sich meist schnell und vollständig. In der Regel dauern die Beschwerden bei ihnen wenige Stunden bis Tage an. In schweren Fällen müssen Betroffene gelegentlich im Krankenhaus behandelt werden.
Das beinahe letzte Abendmahl
Etwas mehr Glück als die Australierin hatte eine Gruppe Angestellter einer österreichischen Almhütte: Der Koch unter ihnen, ein damals 25-jähriger Mann, hatte ihnen nach Feierabend frittierte Reisbällchen zubereitet. Den Reis, den er dazu verwendete, hatte er drei Tage zuvor in den Kühlschrank gestellt. Etwa 30 Minuten nach dem Essen hing die gesamte Belegschaft kübelnd über dem Klo, viele entwickelten auch Durchfall. Dieser geht auf weitere bakterielle Giftstoffe zurück, die vermutlich erst im Körper entstehen, wenn ein Mensch größere Mengen lebensfähiger Keime zu sich genommen hat. In ordentlich aufgewärmten Speisen findet man sie kaum, weil sie sich bei hohen Temperaturen zersetzen.
Den meisten Betroffenen ging es rasch besser. Der Koch erlitt jedoch ein akutes Leberversagen und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Er überlebte. Nach fünf Tagen auf der Intensivstation und weiteren drei auf der Normalstation verließ er die Klinik vollständig genesen. Die Ärztinnen und Ärzte um Philipp Eller, die den Fall 2022 beschrieben, testeten auch ein übrig gebliebenes Reisbällchen auf seinen B.-cereus- und Cereulid-Gehalt. Dabei fanden sie acht Millionen Bakterien pro Gramm Gewicht und eine der höchsten je gemessenen Konzentrationen von Cereulid in einem konsumierten Gericht.
Wie lässt sich ein solches Erlebnis also vermeiden? Abgesehen von dem Rat, den man mir gab – Reis niemals aufwärmen! –, gibt es eine einfache Lösung: das zubereitete Essen nicht über längere Zeit bei Zimmertemperatur stehen lassen. Sobald es nur noch handwarm ist, verfrachtet man es am besten gleich in den kalten Kühlschrank oder ins Gefrierfach. Bei den niedrigen Temperaturen kann sich B. cereus kaum vermehren und Toxine produzieren. Das Aufwärmen selbst ist ungefährlich, denn das Risiko geht einzig von den Keimen und den von ihnen hergestellten Stoffen aus. Erhitzt man den Reis noch einmal, sterben die Bakterien zwar ab, doch das Cereulid kann zurückbleiben und Erbrechen auslösen. Wer auf Nummer sicher gehen will, verlässt sich nicht auf die Kraft der Mikrowelle, sondern sorgt schon mit der richtigen Essenshygiene der Vermehrung krank machender Keime vor.
- Steckbrief: Bacillus cereus
Organismus: Bakterium
Vorkommen: im Boden allgegenwärtig; Reis ist sehr oft kontaminiert
Krankheitspotenzial: Auslöser von meist mild verlaufenden Lebensmittelvergiftungen
Häufigkeit: zwei bis zehn Krankheitsausbrüche pro Jahr in Deutschland (2009–2017) gemeldet, wahrscheinlich hohe Dunkelziffer
Besonderheiten: Sporen bildend; manche Stämme produzieren Giftstoffe, die Erbrechen oder Durchfall auslösen, manche können rote Blutkörperchen zerstören
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