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Unwahrscheinlich tödlich: Tod durch Dornbusch

Einst befiel die »Rosengärtner-Krankheit« vor allem Menschen, die mit Pflanzen arbeiteten. Doch mittlerweile gibt es eine gefährlichere Form, die durch Kontakt mit Tieren übertragen wird.
Dornige Akazienzweige mit nebelig-dunstigem Hintergrund
Über Kratzer an Dornen und Stacheln können mitunter gefährliche Keime in den Körper eindringen.
Eines ist sicher: Irgendwann geben wir alle den Löffel ab. Weniger absehbar ist das Wie. Denn es gibt eine schier unendliche Zahl an Wegen, die einen Menschen ins Grab bringen können – manche von ihnen außergewöhnlicher, verblüffender und bizarrer als andere. In der Kolumne »Unwahrscheinlich tödlich« stellen wir regelmäßig solche Fälle vor, von bissigen Menschen über giftige Reisbällchen bis hin zu lebensgefährlichem Sex.

Es war einmal ein Prinz, der sich tapfer durch eine Rosenhecke kämpfte, um eine Prinzessin zu retten. Blutig und zerkratzt kniete er neben ihrem Bett und küsste sie wach. Einige Tage nach der obligatorischen Trauung bemerkt er eine eigenartige Quaddel an seinem Körper – und zwar genau dort, wo ein Dorn ihn gestreift hatte. Er hat keine Schmerzen, also zuckt er mit den Schultern und sagt sich, »wird schon nichts Schlimmes sein«. Er ignoriert die Pustel. Sie verschwindet aber nicht, sondern wächst vielmehr. Nach und nach bricht die Haut um den Abszess herum auf und sondert ein milchiges Sekret ab. Die mittlerweile eklig anmutende Wunde tut zwar immer noch nicht weh, doch seiner Prinzessin reicht es. Sie schickt ihren Gatten zur Hofärztin. Die ist zum Glück eine Keimexpertin und identifiziert schnell den Übeltäter: Der Prinz hat sich bei der abenteuerlichen Rettung eine Sporotrichose zugezogen.

Die Geschichte ist zwar erfunden, die »Rosengärtner-Krankheit« aber leider nicht. Sie geht auf den Pilz Sporothrix schenckii zurück, der bisweilen in offene Wunden eindringt, etwa wenn sich jemand an einem Dorn verletzt oder einen Holzsplitter einzieht. Früher traf der Infekt vor allem Personen, die viel mit Pflanzen arbeiteten, darunter Gärtnerinnen, Forstwirte und in der Agrarwirtschaft tätige Menschen. Gelegentlich mit tödlichen Folgen, wie ein Beispiel aus Mexiko zeigt.

Gefahr im Busch

1992 kam ein damals 78-jähriger Mann mit einer 12 mal 15 Zentimeter großen Hautläsion im Gesicht in ein lokales Krankenhaus. Mehr als ein Jahr zuvor hatte ein Dornstrauch ihn an der Wange verletzt. Einige Tage später entstand eine Schwellung, die sich langsam ausbreitete. Die Ärztinnen und Ärzte vermuteten zuerst eine Leishmaniose – eine parasitäre Erkrankung, die in der Heimat des Mannes verbreitet war – und behandelten ihn entsprechend. Erst eine erneute Analyse von Hautabstrichen offenbarte S. schenckii als den wahren Verursacher. Da war es für den Patienten bereits zu spät, denn sein Zustand hatte sich in der Zwischenzeit maßgeblich verschlechtert. Untersuchungen zeigten, dass der Erreger in seinen Blutstrom gelangt war. Der Mann starb zwei Tage später, nach insgesamt 17 Tagen in der Klinik.

Solche systemischen, also den gesamten Körper betreffenden Infekte treten bei S. schenckii nur sehr selten auf. Meist löst der Pilz eine lokale Hautinfektion aus, die entweder von selbst abheilt oder sich gut mit pilzabtötenden Medikamenten behandeln lässt. Bis in die 1990er Jahre hinein waren schwere Krankheitsfälle die absolute Ausnahme und traten, wie in dem beschriebenen Fall, vor allem bei Menschen mit Vorerkrankungen auf. Der Mexikaner hatte etwa an Diabetes gelitten und war alkoholabhängig, was ihn Auswertungen zufolge anfälliger für die Pilzinfektion machte.

Ohne Kratzer abgekratzt

Seit etwa 30 Jahren breitet sich von Rio de Janeiro aus eine neue, gefährlichere Art von Sporothrix aus, die Fachleute Sporothrix brasiliensis tauften. Die Ansteckung erfolgt dabei nicht mehr vorrangig über Pflanzen, sondern über Tiere, vor allem über Kontakt mit infizierten Katzen. Häufig erkranken sie auch selbst und entwickeln sichtbare Wunden. Es sind zumeist ihre Kratzer oder Bisse, die Menschen zum Verhängnis werden – mit den bereits beschriebenen Folgen, also Hautveränderungen und gelegentlich systemischen Infekten. Wirklich brenzlig wird es jedoch, wenn Sporen von Sporothrix brasiliensis in die Lunge von Personen gelangen und sich dort festsetzen. Dazu müssen infizierte Katzen einen nicht einmal angreifen. Offenbar reicht es aus, dass sie sich in der Nähe aufhalten.

Das lässt zumindest der Fall einer brasilianischen Frau vermuten, die Ende 2016 an einer Sporotrichose verstorben war. Vor ihrer Erkrankung hatte sie in einem Kunsthandwerkgeschäft gearbeitet und sich dort täglich für ein Mittagsschläfchen in einen Raum zurückgezogen. Hier hielten sich regelmäßig Streuner auf, die von der Belegschaft gefüttert wurden. Gebissen oder gekratzt wurde sie von keinem der Tiere, gab die Patientin an. Als sie ins Spital kam, klagte sie über Atemwegsbeschwerden, die schon einige Monate angehalten hatten. Sie war generell in guter körperlicher Verfassung, doch ein Lungenscan zeigte krankhafte Veränderungen im Organ. Auf Grund eines Abstrichs hatte das Behandlungsteam den Verdacht, dass es sich um eine Pilzerkrankung handelt. Die Frau bekam ein Medikament gegen den Pilzinfekt, zusammen mit einem Kortisolpräparat, das ihr das Atmen erleichtern sollte. Fünf Tage später nahm die Sauerstoffsättigung in ihrem Blut ab und sie entwickelte eine Blutvergiftung. Trotz künstlicher Beatmung und Dialyse erholte sie sich nicht mehr. Sie starb 15 Tage nach Beginn der Therapie.

Aus ihren Bronchien hatten die Ärztinnen und Ärzte S. brasiliensis isoliert. Vor 2010 waren laut der Fallbeschreibung in der Fachliteratur weniger als 100 lungengängige Sporotrichosen beschrieben worden. Bis 2020 stieg diese Zahl gemäß einer Analyse allein in Brasilien auf über 200 Fälle an. Im Vergleich zu den zehn Jahren bis 2010 hatten sich die Sporotrichosefälle zwischen 2011 und 2020 mehr als verdoppelt. Ein Großteil dieser Infekte dürfte auf S. brasiliensis zurückgehen.

Die Krankheit breitet sich langsam im ganzen Land aus. Die oben beschriebene Patientin lebte etwa in einer Stadt, die fast 2000 Kilometer von Rio de Janeiro entfernt liegt. In mehreren weiteren Erdteilen, darunter auch in Großbritannien, traten bereits vereinzelte Fälle auf. Jene in Europa gingen ebenfalls auf eine brasilianische Katze zurück.

In ihrer Beschreibung weisen die Studienautorinnen und -autoren darauf hin, dass infizierte Tiere den Keim in andere Länder einschleppen könnten und er sich so über Brasilien hinaus ausbreiten könnte. Es ist also damit zu rechnen, dass die Ansteckungen in Zukunft auch außerhalb Südamerikas zunehmen werden. Ein Schutz gegen die Erkrankung existiert aktuell nicht. Deshalb ist es umso wichtiger, die Symptome zu kennen und ernst zu nehmen. Denn schwere Verläufe lassen sich im Regelfall vermeiden, wenn man die Infektion rechtzeitig behandelt.

  • Steckbrief: Sporotrichose
    Keim im Fokus | Elektronenmikroskopische Aufnahme von Sporothrix

    Auslöser: Pilze des Genus Sporothrix, vor allem Sporothrix schenckii und Sporothrix brasiliensis

    Vorkommen:Sporothrix schenckii kommt als Fäulniskeim vor allem in sich zersetzendem organischem Material vor, etwa in Grünschnitt und im Boden; Sporothrix brasiliensis gedeiht ebenfalls im Boden – der Keim befällt aber auch Tiere (insbesondere Katzen), die ihn dann auf Menschen übertragen können

    Krankheitspotenzial: Erreger von meist lokal begrenzten Hautinfekten; bei seltenen, schwereren Fällen sind Lunge, Gehirn oder der gesamte Körper betroffen

    Häufigkeit: keine genauen Zahlen; Häufung in tropischen und subtropischen Gebieten, in Mitteleuropa eher selten

    Besonderheiten: seit einigen Jahren Zunahme von (schweren) Fällen, ausgehend von Sporothrix brasiliensis

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