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Unwahrscheinlich tödlich: Tod durch Fleischallergie

Einige Personen entwickeln im Lauf ihres Lebens eine Unverträglichkeit gegen Fleisch. Das wirkt sich nicht nur auf ihren Speiseplan aus: Betroffene sollten auch bestimmte Medikamente meiden.
Ein Stück medium rare Steak auf einer Gabel vor schwarzem Hintergrund
Eines ist sicher: Irgendwann geben wir alle den Löffel ab. Weniger absehbar ist das Wie. Denn es gibt eine schier unendliche Zahl an Wegen, die einen Menschen ins Grab bringen können – manche von ihnen außergewöhnlicher, verblüffender und bizarrer als andere. In der Kolumne »Unwahrscheinlich tödlich« stellen wir regelmäßig solche Fälle vor, von bissigen Menschen über giftige Reisbällchen bis hin zu lebensgefährlichem Sex.

Für einige Deutsche ist es sicher der Albtraum schlechthin. Oder zumindest das zweitschlimmste vorstellbare Ereignis, gleich nach einem Tempolimit auf der Autobahn: kein Schnitzel und kein Steak mehr! Insbesondere in Teilen der USA ist das für viele Menschen bereits Realität. Und zwar nicht, weil ein paar gemeine Vegetarier ihnen das Fleischessen verboten hätten. Betroffene vertragen die Speisen schlichtweg plötzlich nicht mehr. Ihre Körperabwehr hat gelernt, einen tierischen Mehrfachzucker als Gefahr zu erkennen und ihn zu bekämpfen. Dahinter steckt ebenfalls kein Plan »woker Aktivist*innen«, um den Veganismus zu etablieren (obgleich es sicher Verschwörungsthesen gibt, die dies behaupten). Die Allergie mit dem Namen Alpha-Gal-Syndrom geht vielmehr auf das Tun eines kleinen Blut saugenden Parasiten zurück – doch mehr dazu später.

Die fehlgeleitete Immunattacke, die den Betroffenen zum Problem wird, richtet sich gegen Galaktose-α-1,3-Galaktose, kurz Alpha-Gal. Erstmals auf die Unverträglichkeit aufmerksam wurden Fachleute nicht durch Berichte von Personen, die Fleisch verzehrt hatten, sondern durch ein Medikament. In den USA zeichnete sich nämlich ein bedenklicher Trend ab: In fünf Bundesstaaten im Osten des Landes entwickelten viel mehr Menschen als anderswo schwere Nebenwirkungen, nachdem sie mit Cetuximab behandelt worden waren. Das Antikörperpräparat war Anfang der 2000er Jahre zur Therapie von Dickdarmkrebs auf den Markt gekommen. Ein Team um Thomas Platts-Mills entdeckte 2008, dass die unerwünschte Reaktion auf das Alpha-Gal zurückging, das dem therapeutischen Antikörper anhaftet.

Abwehr attackiert Freund statt Feind

Im Jahr 2021 fand eine Behandlung mit dem Wirkstoff sogar ein tödliches Ende. Ein Mann in Japan, der unter fortgeschrittenem Darmkrebs litt, bekam eine Dosis Cetuximab verabreicht. Der Antikörper sollte sein Immunsystem dazu bringen, die Krebszellen ins Visier zu nehmen und zu zerstören. Es kam jedoch anders. Der Patient erlitt unmittelbar nach der Infusion einen anaphylaktischen Schock. Er wurde bewusstlos und verstarb wenig später infolge eines Herzstillstands. Die Ärztinnen und Ärzte testeten sein Blut auf mögliche Ursachen für die Komplikation. Dabei wiesen sie Antikörper nach, die auf das Alpha-Gal in Cetuximab reagiert hatten. Wegen der Sofortreaktion müssten sie bereits zuvor im Körper des Patienten gewesen sein. Dies bestätigte das Team mit vorab genommenen Blutproben. Es war also das bestehende Alpha-Gal-Syndrom, das die fatale Reaktion auslöste.

Doch wie sieht es mit der eigenartigen Häufung von Fällen im Osten der USA aus? Der Ursache dafür kam ebenfalls ein Team um Thomas Platts-Mills auf die Spur. Nachdem die Forschenden lokale Unterschiede bei Unverträglichkeiten auf Cetuximab beobachtet hatten, machten sie sich auf die Suche nach möglichen Auslösern. Dabei identifizierten sie eine bestimmte Zecke, die Amerikanische Waldlaus (Amblyomma americanum), als wahrscheinlichen Übeltäter.

Biss zum Vegetarier

In ihrer 2011 veröffentlichten Studie stützen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen diesen Schluss auf eine Reihe von Beobachtungen. Erstens schienen der Allergie in der Regel mehrere Zeckenbisse vorauszugehen. Betroffene selbst berichteten dem Team, dass der Fleischkonsum ihnen früher keine Probleme bereitet hatte. Erst nach der Begegnung mit den Blutsaugern hätte sich das geändert. Darüber hinaus ist die Amerikanische Waldlaus im Südosten der USA beheimatet und ihr Verbreitungsgebiet überlappt sich stark mit der Region, in der man verstärkt Cetuximab-Unverträglichkeiten beobachtet hatte. Zu guter Letzt hatte das Team Blutproben von drei Menschen analysiert, und zwar bevor und nachdem sie mehrmals von Zecken gestochen worden waren. Zwei von ihnen entwickelten eine Fleischallergie. Bei beiden stiegen die Alpha-Gal-Antikörperwerte nach einem der Stiche an.

Die Verbindung mit der Amerikanischen Waldlaus ist mittlerweile gut belegt. Weitere Zeckenarten stehen ebenfalls im Verdacht, das Syndrom auszulösen, darunter der Gemeine Holzbock(Ixodes ricinus), der auch im deutschsprachigen Raum verbreitet ist. Ein derartiger Übertragungsweg ist bislang für keine andere Allergie beschrieben.

Klein, aber oh, oh! | Ein Stich der Amerikanischen Waldlaus, einer Zecke im Südosten der USA, kann das Alpha-Gal-Syndrom auslösen.

Neben dem Krebsmedikament Cetuximab gibt es noch weitere medizinische Behandlungen, die Fleischallergikern Probleme bereiten. Eine deutsche Patientin erlitt etwa einen anaphylaktischen Schock, nachdem sie eine Infusion mit Blutplasmaersatz erhalten hatte. Dieser enthielt Gelatine – ein Tierprodukt, das man vor allem aus dem Bindegewebe von Schweinen und Rindern gewinnt. Der Gerinnungshemmer Heparin, der meist aus Schweinedärmen isoliert wird, kann ebenfalls heftige Beschwerden auslösen. Ein besonderes Problemfeld könnten künftig Xenotransplantationen darstellen. Organe von Schweinen kämen für Betroffene nicht in Frage, denn ihr Körper würde sie wahrscheinlich abstoßen.

Wie viele Menschen mit einem Alpha-Gal-Syndrom leben, ist schwer abzuschätzen. Fachleute gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Allein in den Vereinigten Staaten dürften laut der US-Gesundheitsbehörde Center for Disease Control and Prevention 450 000 Personen betroffen sein. In Deutschland sind nur wenige Fälle nachgewiesen. Die Allergie ist hier zu Lande noch kaum bekannt und deshalb vermutlich in den meisten Fällen nicht diagnostiziert. Wenn Ihnen also das Kotelett immer schwer im Magen liegt oder Ihre Haut regelmäßig nach der Currywurst mit juckenden Pusteln übersäht ist, sollten Sie der Möglichkeit ins Auge blicken, dass dies am Fleisch liegen könnte – und dass eine Ernährungsumstellung Ihnen möglicherweise Linderung brächte.

Lebensmittel und das Alpha-Gal-Syndrom

Verbotene Früchtchen | Das Tierprodukt Gelatine ist in vielen Fruchtgummis und ähnlichen Süßwaren enthalten. Ihr Verzehr kann bei Menschen mit Alpha-Gal-Syndrom Allergiebeschwerden auslösen.

Menschen mit Alpha-Gal-Syndrom vertragen kein rotes Fleisch wie Rind, Schwein und Lamm. Auch Innereien, gelatinehaltige Süßspeisen oder Milch können bei ihnen Symptome auslösen. Meistens entwickeln sie nach deren Konsum eine Nesselsucht beziehungsweise einen juckenden Ausschlag. Dazu gesellen sich häufig Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Gelegentlich kommt es zu Schwellungen des Mundraums und der Atemwege, Kurzatmigkeit sowie Schwindel. Lebensbedrohliche Immunreaktionen infolge einer Mahlzeit sind äußerst selten. Ein tödlicher Ausgang ist bislang nicht dokumentiert.

Die Symptome setzen in der Regel nicht sofort ein, sondern erst nach etwa zwei bis sechs Stunden. Warum das so ist, wird noch erforscht. Wegen der Verzögerung werden die Beschwerden allerdings häufig nicht gleich mit dem Fleischkonsum in Verbindung gebracht. Die Allergie wird daher wohl in vielen Fällen gar nicht oder erst spät erkannt.

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