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Sprache: Verursacht Sprache wirklich Gewalt?

Nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und weiteren Mordanschlägen in der jüngsten Vergangenheit wurde in Kommentaren und Stellungnahmen immer wieder behauptet, dass hier Sprache in Gewalt umgeschlagen sei. Dies ist einerseits naheliegend vor dem Hintergrund dessen, was wir über die Täter und ihre Äußerungen wissen. Was aber sagt die Wissenschaft dazu?
Eine offene Hand und eine geballte Faust vor schwarzem Hintergrund.

»Dem Mund, der Hassparolen brüllt, folgt die Faust«, schrieb der Dichter Durs Grünbein schon im Januar in der »Zeit«. Die Wirkung von Sprache ist auch in der Wissenschaft ein Thema mit langer Tradition. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist die Ebene der Handlung für die Sprachwissenschaft eine feste Bezugsgröße. In der Folge von Ludwig Wittgenstein »entdeckte« der britische Philosoph John Austin den performativen Sprechakt, mit dem eine reale Handlung vollzogen wird: »Ich taufe dich …«, »Sie werden verurteilt zu …«.

John Searle baute dies zur Sprechakttheorie aus, der zufolge mit jeder Äußerung eine – meistens kommunikative – Handlung vollzogen wird: Informieren, Fragen, Drohen, Versprechen und so weiter. Mit dem Konzept der indirekten Sprechakte weitete er das Feld des Handlungsbezugs von Sprache weiter aus. Durch sie können die mentalen Zustände eines Hörers erklärt werden, der auf Grund einer Äußerung eine Handlung vollzieht, die nicht direkt in der Aussage angelegt ist. Eine Antwort auf die Frage nach der Wirkung von Sprache bietet diese für die Linguistik des 20. Jahrhunderts so zentrale Theorie jedoch nicht.

Was Worte mit uns machen

Einer der Vorläufer der modernen Sprachwissenschaft in der Antike, die Rhetorik, versuchte als Erfahrungswissenschaft die Wirkung von Sprache methodisch in den Griff zu bekommen. Neben der Gerichtsrede und der Lobrede bildete die politische Rede die dritte Grundform dieser Gattung, und diese zielte darauf ab, vom Redner gewünschte Handlungsintentionen bei den Zuhörern hervorzurufen. Die praktische politische Rhetorik verfolgt dieses Ziel bis heute – die Auswüchse der politischen Rhetorik als Propaganda sind uns allen im Ohr. Das wirklich mit Sicherheit in einer gewünschten Weise wirkende rhetorische Mittel gibt es jedoch nicht. Das liegt daran, dass zu viele Einflüsse beteiligt sind, als dass man mit Sicherheit sagen könnte, was einen Menschen zu einer bestimmten Handlung oder Meinung bewegt.

Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs versuchte Carl Hovland die Wirkung politischer Propaganda experimentell zu erforschen, um dadurch die Rhetorik auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen. Diese Forschungen basierten auf dem Stimulus-Response-Modell der behavioristischen Psychologie und legten eine Fülle von Faktoren offen, die die politische Meinungsbildung beeinflussen. Allerdings fanden sie keine Generalisierungen, die eine eindeutige Bewertung der verwendeten sprachlichen oder visuellen rhetorischen Mittel zuließen. Auch Paul Lazarsfeld, der Begründer der empirischen Sozialforschung, untersuchte in jener Zeit die Wirkung der Medien auf die Ausbildung von Entscheidungen. Für Wahlentscheidungen stellt er fest, dass Medien weniger zu einer Veränderung von Entscheidung führen, sondern eher zu einer Verstärkung bereits getroffener Entscheidungen. Diese Erkenntnis scheint sich derzeit in Hinsicht auf soziale Medien bestätigen zu lassen.

In den 1950er und 1960er Jahren differenzierte sich die Medienwirkungsforschung in verschiedene Richtungen aus, wobei gerade für die sprachliche Dimension in neuerer Zeit die Framing-Theorie besondere Bedeutung erlangte. Diese gibt es in unterschiedlichen Varianten. In der kognitivistischen Medienwirkungsforschung nach Georg Lakoff besteht ein enger Zusammenhang mit der Verwendung sprachlicher Metaphern. Diese prägen die Wahrnehmung eines bestimmten Gegenstandsbereichs und legen bestimmte Deutungen, Bewertungen und Schlussfolgerungen nahe. Wenn ein Politiker etwa als »Volksverräter« bezeichnet wird, wie es im Fall von Walter Lübcke geschehen ist, dann werden die Deutung »Straftäter«, die Bewertung »negativ« und die Schlussfolgerung »Maßnahmen gegen einen solchen Menschen ergreifen« aktiviert.

Die Macht des Framings

Inwieweit ein solches Framing tatsächlich zu konkreten Handlungen führt, ist Gegenstand vieler sozialpsychologischer Untersuchungen – Daniel Kahneman referiert in seinem Buch »Schnelles Denken, langsames Denken« eine Vielzahl von derartigen Einflüssen auf Handlungsentscheidungen. Kausale Rückschlüsse auf die Gründe für eine Entscheidung lassen diese allerdings nicht zu, sondern zeigen allenfalls statistische Zusammenhänge auf.

In einem Übersichtsartikel für die Konrad-Adenauer-Stiftung haben erst kürzlich Anna Sophie Kümpel und Diana Rieger aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive Ursachen und Wirkung »inziviler« Kommunikation in sozialen Medien betrachtet. Sie verweisen auf Studien, nach denen die Konfrontation mit herabwürdigenden, beleidigenden oder diffamierenden Äußerungen einen Zuwachs an »negativen Emotionen und Wutgefühlen« bewirkt – und es sogar einen Zusammenhang mit aggressivem Verhalten zu geben scheint.

Eine solche Konfrontation macht wahrscheinlicher, dass auch das eigene Kommunikationsverhalten inziviler wird. Für eine ganze Reihe weiterer Facetten der Wirkung inziviler Onlinekommunikation, etwa bezüglich spezifischer Personengruppen, zeigen Untersuchungen die allgemeine gesellschaftliche Problematik der sprachlichen Enthemmung auf. Allerdings bleiben bei den konkreten Erscheinungsformen Ursache und Wirkung unklar.

Die siebte Sprachfunktion

Inzwischen gibt es auch Analysen, mit welchen Ansätzen man am effektivsten gegen inzivile Onlinekommunikation vorgeht. So erweisen sich laut Kümpel und Rieger Moderation, Gegenrede, Gegenbotschaften und die Förderung von Medienkompetenz als einzige Möglichkeiten, inziviler Kommunikation entgegenzutreten und ihre schädliche Wirkung auf die Gemeinschaft einzudämmen.

In Laurent Binets satirischem Roman »Die siebte Sprachfunktion« von 2015 kreist die Handlung um eine geheimnisvolle Eigenschaft von Sprache, deren Beherrschung einem Menschen uneingeschränkte rhetorische Macht über andere Menschen verleiht. Neben den bekannten sechs Funktionen von Sprache, die Roman Jakobson 1960 in seinem Kommunikationsmodell beschrieben hat, ist die siebte Funktion nur einem kleinen Kreis von Eingeweihten zugänglich. Das macht sie so begehrt, dass Menschen dafür reihenweise Morde begehen. Diese im Roman beschriebene siebte Sprachfunktion wird in der Realität wohl nie gefunden werden – für Politiker vielleicht bedauerlich, aber ein Glück für uns alle.

Stattdessen liefern Rhetorik, Linguistik und Kommunikationswissenschaft allenfalls Anhaltspunkte für sprachliche Wirkung. Hassrede, Verleumdungen und andere Formen inzivilen Kommunizierens in den sozialen Medien haben zwar nachweislich Auswirkungen – aber welche? Die Effekte dieser sprachlichen Enthemmung im Einzelnen – welche Handlungen sie ganz konkret auslöst – entzieht sich auch zukünftig der Vorhersage.

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