Wie genau sind die Klimadaten?: Verwirrspiel um die globale Mitteltemperatur
Laut NASA war das Jahr 2017 um 0,90 ± 0,05 Grad Celsius wärmer als der Mittelwert im Zeitraum von 1951 bis 1980. Alle Klimadatenzentren geben die global gemittelte Oberflächentemperatur in der Regel als eine solche Abweichung von einer Basisperiode an. Der Grund dafür ist, dass sich die Veränderungen der globalen Temperatur wesentlich präziser messen lassen (auf ein zehntel Grad genau) als ihr Absolutwert (der nur auf rund ein Grad genau bekannt ist). Und bei den Auswirkungen der globalen Erwärmung auf Mensch und Natur kommt es allein auf diese Veränderung an. Daher zielt das Pariser Klimaabkommen auch nicht darauf ab, die globale Temperatur auf, sagen wir, maximal 16 Grad zu begrenzen, sondern darauf, die Erwärmung deutlich unter 2 Grad zu halten: Es gibt eine 2-Grad-Grenze und keine 16-Grad-Grenze.
Wem das unmittelbar einleuchtet, der braucht hier nicht weiterzulesen. Doch viele "Klimaskeptiker" scheinen an diesem Punkt ziemlich verwirrt zu sein. Deshalb möchte ich hier – wie in einem früheren Beitrag versprochen – noch einmal Licht ins Dunkel bringen, auch um dies nicht immerzu aufs Neue bei den Leserkommentaren erklären zu müssen.
Die globalen Daten der oberflächennahen Temperaturen stammen von Wetterstationen an Land sowie von Schiffs-, Bojen- und Satellitenmessungen für die Ozeane. Die Institute in mehreren Ländern, die die Entwicklung der globalen Temperatur verfolgen, nutzen dabei eine etwas unterschiedliche Datenbasis und unterschiedliche Verfahren, um einige Datenlücken zu füllen (besonders relevant: die Arktis), die Datenqualität zu kontrollieren und bestimmte Artefakte wie städtische Wärmeinseln zu beseitigen. Ihre Ergebnisse stimmen dabei in hohem Maß überein, siehe Abbildung 1.
Warum sind Differenzen genauer als Absolutwerte?
Wohl jeder Wissenschaftler ist damit vertraut, dass man in vielen Fällen Differenzen beziehungsweise Veränderungen einfacher beziehungsweise genauer messen kann als Absolutwerte. Um bei Paris zu bleiben: Gehe ich auf dem Eiffelturm eine Treppenstufe hinauf, kann ich leicht mit einem Lineal messen, wie viel höher ich dann stehe – wie viele Meter über dem Erdboden ich insgesamt bin, lässt sich schon schwerer feststellen.
Bei der globalen Mitteltemperatur entsteht das Problem bei der Mittelwertbildung. Jede Wetterstation misst natürlich den Absolutwert der Temperatur, also zum Beispiel 13,1 Grad oder minus 5,4 Grad. Das Problem: Temperaturen variieren durch die geografischen Gegebenheiten sehr stark von Ort zu Ort. Schon 100 Meter Höhenunterschied machen im Mittel 0,6 Grad Temperaturunterschied aus. Eine Wetterstation im Gebirge liefert daher nur einen für einen kleinen Umkreis gültigen Messwert. Es gibt bei Weitem nicht genug Wetterstationen, um alle lokalen Temperaturunterschiede gut zu erfassen. Die dadurch entstehende Ungenauigkeit im Ergebnis wird gründlich analysiert und mit angegeben – wie es immer in der Wissenschaft getan werden sollte und wie es jeder Physikstudent im ersten Semester lernt. So wissen wir, dass die globale Mitteltemperatur im Zeitraum von 1961 bis 1990 14,0 ± 0,5 Grad Celsius betragen hat. Sie ist also nur innerhalb einer Unsicherheitsspanne von etwa einem Grad bekannt.
Die klimatischen Veränderungen der Temperatur kann man dagegen viel genauer bestimmen: schon für die Monatsmittelwerte der globalen Temperatur auf plus oder minus einige hundertstel Grad genau. Das liegt einfach daran, dass Abweichungen der Monatsmitteltemperatur großräumig korreliert sind: wie Datenanalysen ergeben haben, über einen Radius von mehr als 1000 Kilometern. Mit anderen Worten: War es ein besonders milder Februar in Davos, dann galt dies höchstwahrscheinlich nicht nur in diesem Tal, sondern auch auf den benachbarten Bergen und weit darüber hinaus in den Alpen. Und zwar obwohl die Absolutwerte der Temperatur sich dort drastisch unterscheiden. Angesichts des Korrelationsradius von rund 1000 Kilometern reicht die vorhandene Dichte der Wetterstationen gut aus (mit wenigen Ausnahmen wie in der Arktis), um die Veränderungen der globalen Temperatur präzise zu erfassen.
Die Badezimmerwaage
Fassen wir zusammen: Wir können also sagen, dass die globale Temperatur im Zeitraum von 1961 bis 1990 im Mittel 14,0 ± 0,5 Grad Celsius betragen hat und dass sie im Jahr 2017 um 0,80 ± 0,05 Grad über der Temperatur dieser Basisperiode lag. Falsch wäre dagegen, den Wert von 2017 mit 14,80 ± 0,05 Grad anzugeben – denn hier wird die kleine Unsicherheitsmarge, die nur für die Anomalie gilt, mit dem Absolutwert verbunden, der viel ungenauer ist.
Ein Alltagsbeispiel: Sie haben eine einfache alte Waage mit Sprungfeder. Da die Härte der Federn in der Produktion um ±5 Prozent streut, gibt der Hersteller an, dass die Waage auf ±5 Prozent genau misst. Sie wiegen sich, und die Waage zeigt 80,0 Kilogramm. Jetzt wissen Sie, dass Sie 80 ± 4 Kilogramm wiegen, also irgendwas zwischen 76 und 84 Kilogramm. Drei Monate später wiegen Sie sich wieder, und die Waage zeigt 82,0 Kilogramm.
Richtig ist: Sie haben um 2,0 Kilogramm ± 5 Prozent, also um 2,0 ± 0,1 Kilogramm zugenommen. Sie können das auf 100 Gramm genau feststellen, obwohl Sie Ihr absolutes Gewicht nur auf 4 Kilogramm genau kennen. Ganz analog zum Problem mit der absoluten Temperatur.
Falsch ist: Sie wiegen jetzt 82,0 ± 0,1 Kilogramm. (Genauso falsch, wie die Temperatur in 2016 mit 14,83 Grad Celsius anzugeben.)
Nutzlos ist die Aussage, dass Sie vorher 80 ± 4 Kilogramm wogen und jetzt 82 ± 4 Kilogramm, weil eine solche Angabe bedeutet, dass Sie angesichts der 4 Kilogramm Unsicherheit nicht einmal wissen, ob Sie nun zu- oder abgenommen haben. Sie verschweigt, wie genau Sie die Differenz kennen.
Jetzt wiegen Sie sich am selben Tag, an dem Ihre Waage 82,0 Kilogramm angezeigt hat, bei Ihrem Arzt. Dessen Waage zeigt aber nur 79,5 Kilo.
Dumm wäre, wenn Sie daraus folgern, dass Sie in den letzten drei Monaten gar nicht zugenommen haben. Richtig ist die Folgerung, dass die Waage des Arztes anders (vermutlich genauer) kalibriert ist als Ihre alte Badezimmerwaage.
Leider haben sich auch manche Forscherkollegen – einem Bedürfnis der Medien nachgebend, die Temperaturanomalien "zu kompliziert" finden – dazu hinreißen lassen, derart scheingenaue Angaben zu machen. So sagte offenbar die US-Behörde NOAA den Medien, die globale Temperatur habe 2016 58,69 Grad Fahrenheit betragen (das sind 14,83 Grad Celsius). Solche Absolutwerte mit ihrer Scheingenauigkeit führen dann zu Widersprüchen, wenn man sie mit Temperaturangaben anderer Jahre vergleicht, die einen anderen Basiswert verwenden. Das ist natürlich verwirrend – und ein gefundenes Fressen für "Klimaskeptiker".
Verwirrspiel mit Absolutwerten
Diese treiben die Verwirrung noch wesentlich weiter, da sie nicht an Messwerten und Wissenschaft interessiert, sondern vor allem Gegner von Klimaschutzpolitik sind. Deshalb versuchen sie, mit einem Verwirrspiel um absolute Temperaturen das Klimaschutzziel ad absurdum zu führen, obwohl sich dieses gar nicht auf eine absolute Temperatur bezieht, sondern nur auf die Begrenzung der Temperaturveränderung. So soll laut dem Pariser Abkommen die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Temperaturniveau begrenzt werden – möglichst sogar auf 1,5 Grad (siehe meinen Beitrag über das deutsche Emissionsbudget).
Dieses Verwirrspiel wird seit vielen Jahren von einer kleinen Splittergruppe betrieben, die sich "Klimamanifest von Heiligenroth" nennt und zum Beispiel entsprechende Youtube-Videos erstellt. Ein typisches Beispiel für diese Taktik zeigt der in Abbildung 3 wiedergegebene Leserbrief aus der Nordwestzeitung vom November 2017. Der Autor bedient sich hier einer dreisten und leicht nachprüfbaren Lüge: nämlich dass wir behauptet hätten, die "ideale" globale Temperatur betrage 15 Grad Celsius. Das ist natürlich Unsinn, und da das entsprechende 2. Kapitel unseres Buches online ist, kann sich jeder leicht überzeugen, dass dergleichen nicht in unserem Buch steht.
Eine ideale Temperatur unseres Planeten gibt es nicht – ideal für uns Menschen ist vielmehr ein stabiles Klima, weil wir stark an die Klimabedingungen der vorangegangenen Jahrhunderte angepasst sind. Die gesamte Infrastruktur unserer Zivilisation ist darauf gebaut. Starke Veränderungen des Klimas – egal ob zum Kälteren oder Wärmeren – machen uns Probleme. Das beginnt schon damit, dass viele unserer Städte dort gebaut sind, wo in den vergangenen Jahrhunderten die Küstenlinie gewesen ist. Beschleunigt sich der Anstieg des Meeresspiegels weiter, wird es immer häufiger zu Sturmfluten wie durch Hurrikan Sandy kommen, der 2012 die New Yorker U-Bahn flutete. Wir siedeln auch nicht in großer Zahl dort, wo es dafür schon immer zu trocken war. Trocknet aber jetzt der Mittelmeerraum weiter aus, wird es massive Probleme geben.
Und natürlich ist es ohnehin abwegig, Klimaschutz nur deshalb in Frage zu stellen, weil man nicht sagen kann, ob die globale Temperatur nun von 13 auf 14 Grad Celsius oder von 14 auf 15 Grad Celsius gestiegen ist. Die Wirkung der völlig unbestrittenen globalen Erwärmung um 1 Grad Celsius auf die Natur bleibt ja in beiden Fällen dieselbe. Natur und Mensch spüren die Erwärmung direkt vor Ort; Ungenauigkeiten bei der globalen Mittelwertbildung lassen sie völlig kalt.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.