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Lobes Digitalfabrik: Vier Zukunftsszenarien für den Postkapitalismus

In einer Welt voller Roboter könnte der Mensch sich in die Hängematte legen und die Maschinen für sich arbeiten lassen. Doch das wird wohl eine Utopie bleiben.
Ein Teenager an einer vierspurigen Straße

Die Automatisierung schreitet immer schneller voran. Die US-Anwaltskanzlei Baker & Hostetler hat einen "Robo-Anwalt" eingestellt, der juristische Fachliteratur auswertet und Gesetzesänderungen beobachtet. Der japanische Lebensversicherer Fukoku Mutual Life Insurance plant, 30 Prozent seiner Mitarbeiter in der Abteilung Schadensbemessung durch eine künstliche Intelligenz zu ersetzen. Und Apples Auftragsfertiger Foxconn kündigte jüngst an, dass Fabriken in China künftig komplett automatisiert und alle menschlichen Mitarbeiter durch Roboter ersetzt werden.

Dabei wird die Debatte um derlei Vorgänge erstaunlich einfältig geführt. Die einen Experten sagen, die Automatisierung werde die Hälfte aller Arbeitsplätze vernichten. Die anderen entgegnen nüchtern, der Saldo falle am Ende positiv aus. Was aber sind die gesellschaftlichen Implikationen dieser industriellen Revolution?

Der Journalist Peter Frase, Redakteur beim linken Magazin "Jacobin", entwickelt in seinem Buch "Four Futures" vier Zukunftsszenarien für das Leben im Postkapitalismus.

Erstens: Kommunismus unter Gleichheit und Überfluss. Maschinen erwirtschaften unseren Wohlstand, der Mensch kann sich seinen Leidenschaften widmen, Ressourcen lassen sich dank 3-D-Druck beliebig oft reproduzieren.

Zweitens: Ein Rentierstaatsmodell unter Hierarchie und materiellem Überfluss, bei dem eine kleine Clique von Plutokraten den Mehrwert der Maschinen abschöpft.

Drittens: Sozialismus unter dem Vorzeichen von (politischer) Gleichheit und materieller Knappheit – die Maschinen sind vergemeinschaftet, die Ressourcen jedoch endlich.

Und schließlich viertens: Exterminismus unter Hierarchie und Knappheit. Frase zeichnet das dystopische Bild einer herrschenden Elite, die das Wissen über die Maschinen monopolisiert und den geringen Wohlstand in einem "Kommunismus der Wenigen" unter sich aufteilt.

Es scheint ein Triumph des Neoliberalismus zu sein, wenn der Mensch für die Arbeitslosigkeit nicht den Markt oder die Politik verantwortlich macht, sondern seine mangelnde Fitness

"Die größte Gefahr, die aus der Automatisierung der Produktion resultiert, ist, dass die überwiegende Mehrheit der Arbeiter aus Sicht der herrschenden Klasse überflüssig wird", warnt Frase. "Und eine Welt, in der die herrschende Klasse nicht mehr länger auf die Ausbeutung von Arbeit angewiesen ist, ist eine Welt, in der die Armen eine Gefahr und ein Hindernis darstellen." Die zentrale Frage, die der Autor aufwirft, lautet: Wem gehören die Roboter? Wie sollen die Automatisierungsgewinne verteilt werden?

Damit verbunden ist auch eine Machtfrage. Die industrielle Reservearmee ("Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will"), auf welche die Produktionsmittelbesitzer in der ersten industriellen Revolution angewiesen waren und die als Druckmittel der Gewerkschaft eingesetzt werden konnte, wird durch die Automatisierung überflüssig. Wer braucht noch Anwälte der Arbeit, wenn es kaum noch Arbeit gibt? Die Frage ist, was Arbeit im 21. Jahrhundert überhaupt bedeutet und was in einer Post-Arbeitsgesellschaft an deren Stelle treten soll. Arbeit gilt als Sinn stiftende Instanz der Moderne, deren "zwei Gesichter" (Bourdieu) einerseits die Lohnabhängigkeit, andererseits die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung kennzeichnet.

Kann man es schon Arbeit nennen, wenn man laut einer Studie der Risikokapitalgeber Kleiner Perkins Caufield & Byers (KPCB) 5,6 Stunden am Tag mit digitalen Medien wie Facebook und Instagram verbringt und mit der Generierung von Daten zum gigantischen Marktwert der Techkonzerne beiträgt? Oder, anders gewendet: Kann man von Freizeit sprechen, wenn uns eine App vorschreibt, 10 000 Schritte am Tag zu gehen oder einen bestimmten Fitnesslevel zu erreichen? Die Arbeit an der Selbstoptimierung ist selbst zur Arbeit geworden.

Der italienische Publizist Giorgio Griziotti beschreibt in seinem neuen, demnächst auch auf Englisch erscheinenden Buch "Neurocapitalismo", wie wir nach der industriellen Revolution in die Phase des "kognitiven und biokognitiven Kapitalismus" eintreten. Kennzeichen dieses Kapitalismus sei, dass Fabriken nicht mehr die Produktionsstätten sind, auch nicht mehr die Büros des Dienstleistungssektors, sondern der menschliche Körper und das Gehirn.

Es scheint ein Triumph des Neoliberalismus zu sein, dass der Mensch immer mehr wie eine Maschine operiert, dass er sich einredet, "funktionieren" zu müssen, dass er zunächst unter Dampf, dann unter Strom stand und sich nun als fortschrittsmattes Wesen nach einem Reset sehnt und für die Arbeitslosigkeit nicht den Markt oder die Politik, sondern seine mangelnde Fitness verantwortlich macht. Man protestiert nicht, sondern feilt an seinem Trainingsplan.

Dass die Gesamtheit der Maschinen in ein genossenschaftliches System überführt wird, wie es die Bewegung des vollautomatisierten Luxuskommunismus in London fordert, erscheint angesichts der Profitinteressen von Internetkonzernen wie Facebook oder Google eine Utopie. Vielleicht wird ja nicht Freizeit, sondern Arbeit dereinst zum Luxus werden.

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