Kolumnen: Von der Iris
Iris und Morpheus
Was für ein wunderbarer Kitsch! Die nackende Dame ist Iris, die geflügelte Botin der Götter und Personifikation des Regenbogens. Der Herr ist Morpheus, die Personifikation des Schlafes. Würd' er nur die Augen aufmachen, dann hätt' er was zu gucken, der Morpheus. Aber der Schatten des Mantels über dem Rücken der Iris fällt ihm gerade auf die Lider, so dass er wahrscheinlich weiterschlafen wird. Sein Pech. Wir wachen Männer aber haben an der Iris etwas zum Schauen und die wachen Damen am schlafenden Morpheus. Unser Glück.
Warum der Morpheus, warum die Iris auf diesem Bild als Nackedeis daherkommen, ist ja klar. Dem prüden 19. Jahrhundert war jeder mythologische Vorwand recht, um unbekleidete Damen und Herren in Szene zu setzen. Vom nackten Morpheus will ich aber hier zunächst nicht schreiben. Wohl aber von der nackten Iris. Denn der relative Grad ihrer Nacktheit, die Frage, ob sie einen Mantel trägt oder nicht – das hat mit ihrer Farbigkeit zu tun. Mit der Farbigkeit der Iris des Auges freilich, mit der Buntheit der Regenbogenhaut, die ihren Namen von der Regenbogenbotin hat. Von den Augenfarben will ich also weiter unten berichten und von der Schönheit der Iris. Erst mal aber noch etwas anderes.
Die Iris und ihr Püppchen, nebst einer adaptativen onomatopoietischen Eselsbrücke (siehe Fußnote 1)
Die Iris, die Regenbogenhaut, beschattet die Retina, so wie die Göttin dort droben den Morpheus. Die Iris ist – herzlos gesprochen – eine variable Lochblende. Die Weite ihrer Öffnung, der Pupille, reguliert den Lichteinfall ins Auge. Die Pupilla, die Öffnung in der Iris, heißt übrigens wörtlich: das "Püppchen" – weil man sich selbst, wenn man seinem Gegenüber ins Auge blickt, püppchenklein darin spiegelt. Die gewölbte Cornea vor der Pupille wirkt verkleinernd wie ein konvexer Spiegel. Wenn Ihnen das "Püppchen" zu verspielt ist, können Sie auch – ganz prosaisch und wiederum herzlos – "Sehloch" zu dieser Öffnung sagen.
Klar, das Sehloch ist im Hellen eng, im Dunklen weit, das ist einfach. Adaptation nennt man diese Anpassung an die Lichtverhältnisse. Aber wenn man kein Graecum hat, dann kann es mit den Fachbegriffen für die Verengung – Miosis – und die Erweiterung – Mydriasis – der Pupille schon Verwirrung geben. Miosis kommt vom selben Wortstamm wie die Meiosis, ein Wort, das Sie vielleicht aus der Zellbiologie kennen: die Zellteilung, die mit einer Verminderung der Chromosomenzahl einhergeht. Miosis ist ergo die Verringerung des Lichteinfalles oder die Verengung der Pupille. Mydriasis kommt vom "amydros", das heißt "duster". Also Erweiterung der Pupille. Als Eselsbrücke ist das natürlich ganz unbrauchbar, weswegen man sich seit von alters her die Sache von den Lippen abliest. Sagen Sie mal "MiOOOsis" – dabei formen Sie beim "O" die Lippen zu einer hübschen, kleinen Schnute, einem engen Kussmäulchen. Und dann sagen Sie mal "MydriAAAsis" – und reißen beim "A" dem Mund so richtig weit auf. Voilà: die adaptive onomatopoietische Eselsbrücke.
Die verschiedenen Nacktheitsgrade der Iris und die Augenfarben
Klar: Die Iris heißt Regenbogenhaut, weil sie bunt ist. Nur – warum ist sie bunt? Wir Menschen – ja: Säugetiere im Allgemeinen – sind ja ansonsten von einer geradezu erschreckenden Farblosigkeit (vergleichen Sie uns im Geiste mal mit einem Vogel oder einem Fisch). Nur Schattierungen von gelb zu rot zu braun, ansonsten "shades of grey". Die Iriden sind das Bunteste an uns. Wieso?
Um das zu erklären, müsste man sich ein wenig mit der mikroskopischen Anatomie der Iris beschäftigen. Sie besteht nämlich, wie man im obigen Bild sieht, aus zwei Blättern. Auf ihrer Rückseite liegt ein dunkler Mantel, ein stark pigmentiertes Epithel – das im Übrigen der Pigmentschicht der Retina entspricht, es ist dessen Fortsetzung. Man nennt diese Schicht ergo auch Pars iridica retinae, der "Retinateil der Iris". Der eigentliche "Körper" der Iris, das dicke vordere Irisblatt oder Stroma iridis, besteht aus einem lockeren Bindegewebe. Im Stroma iridis sieht man auch vereinzelt schwarze Flecken. Das sind ebenfalls pigmentierte Zellen, die in wechselnder Dichte das Stroma besiedeln. Und auf diese beiden Pigmentansammlungen – in dem dichten Zellmantel auf der Rückseite und die verstreuten Zellen im Stroma – kommt es bei der Augenfarbe an.
Das schwarz-braune Pigment, das man in dem mikroskopischen Bild sehen kann, ist Melanin. Es ist – mal abgesehen vom roten Blutfarbstoff und der gelb-grünen Galle – so ziemlich das einzige Pigment, das wir Menschen in größerer Menge besitzen. Es färbt auch Haut und Haare und ist für unsere generell wenig farbenfrohe schwarz-weiß-grau-gelb-bräunliche Erscheinung verantwortlich. Es absorbiert vor allem kurzwelliges violettes und blaues Licht.
Hinten auf der Iris liegt also fast immer eine Schicht aus dunkelbraunem Pigment. Schon damit die Iris das tun kann, was sie soll: nämlich undurchsichtig sein, so dass das Licht nur durch die Pupille fällt. Wenn diese Pigmentschicht aber fehlt, wenn die Rückseite der Iris also nackend und unbemäntelt ist, weil der Körper überhaupt kein Melanin zu bilden vermag (wenn es also auch in der Pigmentschicht der Retina und überall fehlt: Albinismus) – dann sieht man das Rot des Blutes in der Retina aus den Pupillen herausleuchten. Und natürlich haben Albinos dann auch ein Adaptationsproblem: Es kommt unter Umständen zu viel Licht ins Auge, die Sehschärfe leidet. Überbelichtung würde der Fotograf sagen.
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Oh, diese blauen Augen! An Melanin mangelt es dieser Dame nicht, sonst hätte sie keine braunen Haare. Die Pigmentschicht der Retina und auf der Rückseite der Iris ist auch intakt. Aber in ihrem Iris-Stroma ist nur ganz wenig Melanin. Aber kein blauer Farbstoff, wir haben nämlich keinen.
Wieso ist dann die Iris blau?
Die Erklärung für die Bläue ähnelt der, mit der man sich die blaue Farbe des Himmels erklärt, der ja auch keine blauen Pigmente enthält. Es handelt sich um den so genannten "Faraday-Tyndall-Effekt", ein Stück aus der Physik, aus der Optik. In eigentlich farblosen kolloidalen Lösungen (ein Kolloid ist eine Flüssigkeit, in der winzige Teilchen fein verteilt sind, und alle unsere Zellen und Gewebe sind eigentlich solche "Kolloide"), aber auch in Gasen, in denen winzige Schwebeteile sind (also zum Beispiel in unserer Atmosphäre), wird kurzwelliges (also blaues) Licht stärker gestreut und reflektiert als langwelliges. Das Licht fällt also auf die Iris, das langwellige rote Licht dringt tief ein, wird hinten im Pigment absorbiert, aber das blaue Licht wird schon vorher, auf seinem Weg durch das farblose, kolloidale Stroma der Iris, gestreut und reflektiert. Voilà: blaue Augen.
Wenn jetzt im Stroma der Iris etwas mehr Melanin ist (das ja bevorzugt kurzwelliges Licht absorbiert, siehe oben), dann kommt zum einen schon weniger reflektierbares Licht im Stroma der Iris an, zum andern wird das gestreute und reflektierte blaue Licht zum Teil auch gleich wieder absorbiert. Die Wellenlänge des reflektierten Lichtes verschiebt sich zu etwas längeren Wellen: grüne Augen, die gemeinhin auch weniger hell strahlen als blaue.
Endlich, wenn das Stroma ganz voller Melanin ist: Dann wird fast sämtliches kurzwellige Licht absorbiert, die Iris wird nicht nur braun, sondern auch viel dunkler, weil kaum noch Licht reflektiert wird.
Das ist die gängige Erklärung.
So ganz eingängig finde ich sie aber nicht. Zwar stimmt es, dass die Stromata der Iriden bei blauäugigen Menschen relativ weniger Melanin enthalten. Aber wenn die Bläue der Iris auf den "Faraday-Tyndall-Effekt" zurückgeht – wieso sind dann nicht auch die Iriden, ja, die ganzen Augen von Albinos blau?
Ich weiß es wirklich nicht.
Bittersüßes Finale mit Ovid
Was trieb eigentlich die Iris an Morpheus' dustere Schlafstatt? Nun – sie hatte ihm eine Botschaft der Göttermutter Hera zu überbringen. Morpheus muss dann also doch irgendwann aufgewacht sein und erhielt den Auftrag, jemand anderem im Traum zu erscheinen. Das ist nämlich Morpheus' Spezialität: Er macht seine Kunden nicht nur schlafen, er kann ihnen im Traum auch in allen möglichen Gestalten erscheinen.
Und jetzt erzählt Ovid in den "Metamorphosen" eine Geschichte, die ist so wunderbar, so todtraurig und so schön, dass ich sie nacherzählen muss. Darf ich? Sie können die folgenden zwei Absätze auch überspringen – am Ende kommen wir dann wieder zur Anatomie der Iris zurück.
Es waren einmal zwei Liebende, die Alkyone und der Keyx, die waren so glücklich miteinander, dass ihre Liebe sogar den Neid der Götter erregte. Eines Tages ging der Keyx auf eine Seereise – und ertrank bei einem Schiffbruch im Sturm. Mann und Maus, Schiff und Mannschaft – vom Meer verschluckt. Vermutlich hatten da die olympischen Götter die Finger drin. Alkyone war verzweifelt – keine Nachricht von ihrem Geliebten. Endlose Gebete, flehende Bitten an Hera, die Göttermutter, ihr doch ihren Mann wiederzugeben. Vielleicht hatte Hera ein schlechtes Gewissen. Und so schickte sie, anstatt der Alkyone selbst die schreckliche Wahrheit zu offenbaren, die Iris zu Morpheus, der wiederum den Auftrag erhielt, der Alkyone im Traum zu erscheinen und vom Tod ihres Mannes zu künden. Morpheus – Entschuldigung, das muss mal gesagt werden – erwies sich als ein echtes psychologisches Trampeltier. Er hätte der armen Alkyone die Sache ja auch schonend beibringen können. Aber was tat er? Einen Alb inszenieren. Er erschien ihr im Traum als die sprechende Wasserleiche des Keyx selbst, die der Alkyone vom Tod des Geliebten kündete. Grauslich. Und weil die olympischen Götter – darin den Menschen nicht unähnlich – zu maßloser Grausamkeit neigen, setzten sie sogar noch einen drauf. Alkyone, die schweißgebadet aus dem Alb erwachte und noch im Morgengrauen einen Strandspaziergang machte, findet dort, im Treibgut – die echte Wasserleiche des Keyx.
Maßlos, sinnlos, grausam, rabenschwarz. Und von daher genau der richtige Vorspann für das, was jetzt passiert – "random acts of kindness and senseless deeds of beauty", wie die Angelsachsen sagen würden. Irgendeiner der Götter hat ein Einsehen und erbarmt sich. Während noch Alkyone auf die Leiche ihres Mannes zustürzt, während noch die Wellen um den leblosen Keyx schwappen, wird sie in einen farbenfunkelnden Eisvogel verwandelt, er aber wieder lebendig und zu einer weißen Möve. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann turteln die beiden heute noch, selbst über die Artgrenze hinweg (siehe Fußnote 2).
Schnüff – 'tschulligung – ich muss mir gerade mal eine Zähre aus dem Auge wischen. Ich bin so sentimental ...
Ovids Geschichte von der Alkyone – was für eine Steilvorlage für die abschließende anatomische Betrachtung der eisvogelbunten Iris, deren strahlende Schönheit erst vor dem rabenschwarzen Hintergrund der Pupille und im mövenweißen Rahmen der Sklera – das ist die weiße Augenhaut – so richtig zu Geltung kommt.
Und vielgestaltig wie der Morpheus ist sie auch noch, die Iris. Die Muster, die man ihn ihr sieht, sind individuell wie ein Fingerabdruck, das kennen Sie ja: Irisscanner, Biometrie. In der Großaufnahme des Auges sehen Sie, dass die Iris eine strahlige, radiäre Musterung trägt, und Sie sehen auch, weswegen man sie auch noch den "Augenstern" nennt. Die Strahlen sind Blutgefäße. Das Blut in ihrem Innern sieht man nicht, denn sie tragen eine relativ dicke Ummantelung aus Bindegewebe. Und das, was uns als gezackter Stern imponiert, sind ringförmig verlaufende Gefäße. Circulus arteriosus iridis sagen die Anatomen dazu. Zum Stern wird er bei der Miosis – sie erinnern sich, das war die helladaptierte, enge Pupille. Beim mydriatischen Auge wird er zum Ring.
So.
Und jetzt mag ich nicht mehr, und Sie wahrscheinlich auch nicht. Es gäb' jetzt noch endlos viel über die Muskeln der Iris, den Sphincter und den Dilatator und über deren nervöse Kontrolle zu erzählen – aber ich muss jetzt erstmal fleißig Ovid lesen, um irgendwelche Anknüpfungspunkte zu finden.
Wahrscheinlich gibt's dann aber als Nächstes eine Geschichte über die Tränendrüse. Ich bin doch – sagte ich es schon? – so sentimental.
Helmut Wicht ist promovierter Biologe und Privatdozent für Anatomie an der Dr. Senckenbergischen Anatomie der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Fußnoten:
(1) Adaptation: Anpassung des Auges an unterschiedliche Lichtverhältnisse; Onomatopöie: Lautmalerei
(2) Die Eisvögel heißen wissenschaftlich "Alcedinidae". Nach Alkyone. Die Möven heißen "Laridae". Das heißt einfach nur "Möven", da ist der Keyx nicht mit drin. Ist auch gut so. "Alkyone" – das ist ein schöner Name, das hat Klang und Schmelz. "Keyx" – das klingt unseren Ohren ziemlich scharf und schneidend. Wie ein Mövenschrei.
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