Die fabelhafte Welt der Mathematik: Fünf faszinierende Fakten über Pi
Die Kreiszahl Pi begeistert nicht nur Mathematikerinnen und Mathematiker. Die symbolträchtige Kreiszahl hat es auch in die Popkultur geschafft: Ihr wurden Filme, Bücher und Lieder gewidmet. Jedes Jahr feiern Menschen auf der ganzen Welt am 14. März den »Pi-Tag«, an dem Mathe-Nerds sich gerne gegenseitig Kuchen schenken (da »pie« auf Englisch »Kuchen« bedeutet).
Ich habe in der Vergangenheit der Kreiszahl schon etliche Artikel gewidmet, habe zum Beispiel erklärt, wie man sie mit einer Billardkugel berechnen kann oder wo sie in der Mandelbrotmenge auftaucht. Und tatsächlich wirft die Zahl – obwohl sie seit Tausenden von Jahren untersucht wird – noch Fragen auf: etwa, ob die Ziffern in den Nachkommastellen wirklich gleichmäßig verteilt sind. Während meiner Recherchen zu π sind mir aber auch allerlei lustige und unerwartete Fakten untergekommen, von denen ich die fünf faszinierendsten hier vorstelle.
Indiana will den Wert von Pi vereinfachen
Seit Jahrtausenden widmet sich die Menschheit der Kreiszahl. Kein Wunder, denn sie taucht auf, sobald man den Umfang oder den Flächeninhalt eines Kreises untersucht. Schnell wurde klar, dass die Zahl kompliziert ist. Sie besitzt viele Nachkommastellen, so dass sie sich offenbar nicht durch einen einfachen Bruch ausdrücken lässt. Dass Pi tatsächlich irrational ist, konnte allerdings erst der Mathematiker Johann Heinrich Lambert in den 1760er Jahren beweisen. Ab da war jedoch klar: Pi besitzt unendlich viele Nachkommastellen, die sich niemals regelmäßig wiederholen. Dennoch hätte der US-Bundesstaat Indiana Ende des 19. Jahrhunderts beinahe den Wert von Pi gesetzlich auf exakt 3,2 geändert.
Ausschlaggebend dafür war der Arzt und Hobbymathematiker Edward Goodwin, der 1892 eine unerwartete Entdeckung machte. Er fand eine Methode, um einen Kreis in ein Quadrat mit gleichem Flächeninhalt umzuwandeln – und zwar alleine mit Hilfe eines Lineals und eines Zirkels. Blöd nur, dass Ferdinand von Lindemann zehn Jahre zuvor bewiesen hatte, dass dies unmöglich ist.
Aus Goodwins vermeintlichem Durchbruch folgte unter anderem, dass Pi exakt 3,2 ist; keine weiteren Nachkommastellen nötig. Neben seinen schrägen Rechenkünsten hatte Goodwin wohl Talent dazu, andere Personen auf seine Seite zu ziehen. Denn er überzeugte 1897 den damaligen Vorsitzenden des Repräsentantenhauses von Indiana, einen Gesetzesentwurf einzureichen, um seine »neue mathematische Wahrheit« per Gesetz einzuführen. Im Gegenzug dürfe der Staat Indiana seine mathematischen Ergebnisse, die er unter Urheberrecht gestellt hatte, kostenfrei verwenden. Und tatsächlich stimmten alle Abgeordneten für den Entwurf – niemand schien sich darüber zu wundern, dass sich offenbar die ganze Welt jahrtausendelang verrechnet hatte –, der daraufhin an den Senat von Indiana ging. Doch dank der Intervention des Mathematikers Clarence Abiathar Waldo, der zufällig an diesem Tag an der Sitzung teilnahm, konnte die Abstimmung aber glücklicherweise auf unbestimmte Zeit vertagt werden. Damit hat er knapp verhindert, dass ein US-amerikanischer Bundesstaat per Gesetz den Wert von Pi auf 3,2 festlegt.
Der Feynman-Punkt
Eine beliebte Herausforderung bei den Feierlichkeiten des Pi-Tags besteht darin, so viele Nachkommastellen wie möglich auswendig zu lernen und aufzusagen. Der Guinnessbuch-Rekordhalter ist Rajveer Meena, der 2015 während etwa zehn Stunden unglaubliche 70 000 Nachkommastellen fehlerfrei aufsagte. Neun Jahre zuvor hat Akira Haraguchi sogar 100 000 Nachkommastellen rezitiert, doch das Ereignis erfüllte offenbar nicht die Anforderungen des Guinnessbuchs.
Ein weitaus überschaubareres (und doch ehrgeiziges) Ziel hatte einer Erzählung zufolge der renommierte Physiker Richard Feynman: Er wollte die ersten 762 Nachkommastellen der Kreiszahl auswendig lernen. Denn an dieser Stelle taucht erstmals ein bemerkenswertes Muster auf, sechs aufeinanderfolgende Neunen. Angeblich wollte Feynman die Nachkommastellen bis dorthin aufsagen und dann mit »… 999999 und so weiter« enden. Daher wird diese Stelle in π inzwischen als »Feynman-Punkt« bezeichnet.
Doch wie so häufig scheint auch hier das stiglersche Gesetz einzutreten, das besagt, dass keine wissenschaftliche Erkenntnis nach ihrem wahren Entdecker benannt wird. Tatsächlich lässt sich kein Hinweis darauf finden, dass Feynman jemals vorhatte, die 762 Nachkommastellen von π auswendig zu lernen. Stattdessen scheint der Gedanke von seinem Kollegen Douglas Hofstadter zu stammen, der in seinem 1988 erschienenen Buch »Metamagicum« schrieb: »Als irrer Schüler habe ich einmal 380 Ziffern von π auswendig gelernt. In meinem unbefriedigten Ehrgeiz wollte ich jenen Punkt erreichen – in der Dezimalausbreitung die 762. Stelle – wo es mit 999999 weitergeht, so dass ich die π-Konstante laut hätte aufsagen können, bis ich zu diesen sechs Neunern gekommen wäre, um dann mit einem verschmitzten ›und so weiter‹ aufhören zu können.«
Eine neue Textform
Beim Auswendiglernen der Nachkommastellen von Pi greifen viele Expertinnen und Experten auf Eselsbrücken zurück. Dafür kann man beispielsweise die Länge der Wörter eines Satzes passend zu den in π auftauchenden Ziffern wählen. Eines meiner liebsten Beispiele dafür ist im Englischen: »Yes, I need a drink alcoholic of course«, was die ersten acht Ziffern von Pi liefert (3, 1, 4, 1, 5, 9, 2 und 6). Eingefleischte Pi-Nerds gingen über solche einfachen Eselsbrücken hinaus und haben eine neue Text- und Versform namens »Pilish« begründet. Ein Beispiel für ein Pilish-Gedicht wurde 1960 von Joseph Shipley erdacht und erfasst die ersten 31 Stellen von π:
But a time I spent wandering in bloomy night;
Yon tower, tinkling chimewise, loftily opportune.
Out, up, and together came sudden to Sunday rite,
The one solemnly off to correct plenilune.
Der Mathematiker Mike Keith trieb das Ganze in seinem 2010 erschienenen Roman »Not A Wake« auf die Spitze: Das Werk folgt der Pilish-Textform und umfasst die ersten 10 000 Nachkommastellen von Pi. Die Mathe-Community feierte es, auch wenn die Meinungen über den Inhalt des Buchs auseinandergehen. So lobt ein Leser: »Dies ist ein einzigartiges und kreatives Werk. Jedes Kapitel präsentiert eine andere literarische Form – sogar ein Haiku! Bald vergaß ich den ›pilish‹-Zwang und las einfach zum Vergnügen. Es geht um Philosophie, Politik, Religion – und um Zombies«, während ein anderer schreibt: »Interessantes Buch. Tolles Konzept. Aber nicht sicher, was ich lese lol«.
Pi im Prozess gegen O. J. Simpson
150 Millionen Menschen sahen am 3. Oktober 1995 live dabei zu, wie der US-amerikanische Footballstar und Schauspieler O. J. Simpson freigesprochen wurde. Es war das Ende eines achtmonatigen Mordprozesses, der erstmals im Fernsehen übertragen wurde. Obwohl es einige Beweise gab, die dafür sprachen, dass Simpson seine Ehefrau und ihren Freund getötet hatte, entschieden die Geschworenen für seine Freilassung.
Ein vermeintlicher Beweis waren Blutspuren des Angeklagten, welche die Polizei am Tatort sichergestellt hatte. Die Verteidigung hatte die Vermutung geäußert, dass das Blut Spuren von Gerinnungshemmern aufweisen könnte, die zur Aufbewahrung von Blutproben verwendet werden – ein angeblicher Beweis dafür, dass die Polizei die Beweise platziert habe. Vor Gericht musste sich der Toxikologe Robert Martz, der keine Gerinnungshemmer nachweisen konnte, einem Kreuzverhör des Verteidigers Robert Blasier stellen. Dieser wollte Martz' Expertise in Frage stellen – und nutzte dafür unter anderem die Kreiszahl Pi.
Blasier: Können Sie die Fläche eines Kreises mit einem Durchmesser von fünf Millimetern berechnen?
Martz: Ich meine, ich könnte es. Ich weiß nicht ... Mathe ... Ich weiß nicht ... Ich weiß nicht, was es ist.
Blasier: Nun, wie lautet die Formel für die Fläche eines Kreises?
Martz: Pi r zum Quadrat.
Blasier: Was ist Pi?
Martz: Junge, Sie stellen mich wirklich auf die Probe. 2,12 oder 2,17.
Blasier: Ist es für einen Wissenschaftler nicht wichtig zu wissen, was Pi ist?
Martz: Ich habe Pi nicht mehr benutzt, seit ich in der High School war.
Blasier: Versuchen wir mal 3,12.
Martz: Das ist es also? Es gibt einen einfacheren Weg, das zu tun ...
Blasier: Versuchen wir es mit 3,14 (...)
Glücklicherweise scheint diese merkwürdige Befragung die Geschworenen nicht stark beeinflusst zu haben. »Sie machten sich während Blasiers scharfer Vernehmung kaum Notizen«, schrieb die Presse damals. »Meistens schienen sie sich zu langweilen, starrten ins Leere und wurden durch das kleinste Geräusch im Gerichtssaal abgelenkt.«
Der Name Pi
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich niemals über den Namen der Kreiszahl nachgedacht habe. Von Klein auf lernt man, dass »Pi« das Verhältnis von Umfang zu Durchmesser angibt – und das habe ich so hingenommen. Schließlich stellt man ja auch nicht in Frage, dass das Wort »drei« der 3 entspricht.
Tatsächlich trug π lange Zeit einen anderen Namen: »quantitas in quam cum multiflicetur diameter, proveniet circumferencia«, also »die Größe, die, wenn man den Durchmesser mit ihr multipliziert, den Umfang ergibt«. Ganz schön umständlich. Und für die Zahl an sich nutzte man in Berechnungen meist eine Näherung wie 22⁄7 oder 355⁄113, auch wenn schon lange klar ist, dass das nicht dem exakten Wert entspricht.
Der Mathematiklehrer William Jones (1675–1749) störte sich jedoch daran: »Das genaue Verhältnis zwischen Durchmesser und Umfang lässt sich nie in Zahlen ausdrücken«, schrieb er in seinem Buch »Synopsis«, mehrere Jahrzehnte bevor Lammert bewies, dass Pi tatsächlich irrational ist. Daher wählte Jones im Jahr 1706 erstmals ein abstraktes Symbol, einen griechischen Buchstaben, um die Zahl zu bezeichnen. Da sowohl das Wort »periphery« (so wurde damals der Umfang eines Kreises genannt) als auch »perimeter« (Durchmesser) aus dem Griechischen stammt und mit π beginnt, entschied sich Jones für den Namen Pi, der sich weltweit durchgesetzt hat und bis heute gilt. Gerade für den englischsprachigen Raum ist das wegen der Assoziation mit dem Kuchen natürlich toll. Ob Jones das bedacht hatte, wage ich allerdings zu bezweifeln.
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