Klimawandel: Meinung: Klimaschutz - leicht gemacht
Seit Montag verhandeln wieder Delegierte aus aller Welt in Paris auf dem Weltklimagipfel COP21 über ein hehres Ziel: Sie wollen die Erde vor einem aus dem Ruder laufenden Klimawandel bewahren und dazu alle Nationen in einem Abkommen vereinen. Im Mittelpunkt steht das Kohlendioxid, das wir Menschen im Übermaß produzieren. Am Rande debattieren die Vertreterinnen und Vertreter der Staatengemeinschaft aber auch noch über ein Regelwerk, das für den Planeten vielleicht noch wichtiger ist – und das für uns vielleicht schon die halbe Miete wäre, um die Erderwärmung zumindest einzudämmen: den globalen Schutz der Wälder, vor allem der tropischen Regenwälder. Die riesigen noch baumbestandenen Gebiete in Amazonien, dem Kongobecken oder Neuguinea agieren gegenwärtig als gewaltige Kohlenstoffsenken, weil ihre Vegetation das Kohlendioxid aufnimmt und als Holz oder in Torfböden speichert.
Ihr konsequenter Schutz könnte zusammen mit gezielter natürlicher Wiederbewaldung degradierter Rodungsflächen die Erderwärmung bremsen. Darauf weist zumindest eine Studie von Richard A. Houghton und Alexander Nassikas vom Woods Hole Research Center sowie Brett Byers vom Rainforest Trust hin, die gerade in "Nature Climate Change" erschien. Sie erwarten, dass es uns nicht gelingen wird, die Emissionen aus verbrannten fossilen Energieträgern im nächsten Jahrzehnt überhaupt und bis 2050 sogar um 80 Prozent zu verringern. Und damit würden wir auch das angepeilte so genannte Zwei-Grad-Ziel verpassen – das errechnete Ausmaß an Erwärmung, das unsere Gesellschaft womöglich gerade noch verkraftet.
So weit, so berechtigt pessimistisch. Denn schon vergangene Klimakonferenzen scheiterten daran, verbindliche Obergrenzen für den CO2-Ausstoß festzulegen und dabei politische und emissionsstarke Schwergewichte wie die USA, China oder Indien einzubinden. Selbst viele Staaten wie Kanada oder Japan, die ursprünglich das Kyoto-Protokoll ratifiziert hatten und ihre Emissionen eindämmen sollten, scheiterten daran und zogen sich deshalb teilweise völlig daraus zurück. Die Welt verschleudert also fröhlich weiter Erdöl und Kohle, und die Emissionen verharren auf hohem Niveau, selbst wenn sie in manchen Jahren wie etwa 2014 zumindest nicht noch weiter steigen.
Deshalb betonen die Wissenschaftler den großen Wert der tropischen Regenwälder, die nebenbei auch einen gewaltigen Anteil der globalen Artenvielfalt beheimaten: Würde die Weltgemeinschaft endlich den Kahlschlag dieses Ökosystems beenden, durch Holzfäller beeinträchtigte Wälder sich erholen lassen und entwaldete, aber nicht genutzte Gebiete mit einheimischen Bäumen wieder aufforsten, könnten langfristig drei bis vier Milliarden Tonnen Kohlendioxid pro Jahr der Atmosphäre zusätzlich entzogen werden. Dagegen rechnen die Autoren damit, dass sich unter den heutigen Bedingungen bis 2050 jährlich durchschnittlich mehr als sieben Milliarden Tonnen CO2 zusätzlich in der Atmosphäre anreichern würden. Das Klimasystem würde also nur halb so stark belastet, die Aufheizung damit eingedämmt werden.
Schwieriges Interessengemenge
Doch statt die Regenwälder endlich konsequent zu schützen, passiert das Gegenteil: In Brasilien nahm die Abholzung im letzten Jahr wieder um 16 Prozent zu (wenngleich die gerodete Fläche von rund 5400 Quadratkilometern verglichen mit der Zeit um die Jahrtausendwende immer noch relativ klein ist), Indonesien wurde von den schlimmsten Wald- und Buschbränden der letzten Jahre heimgesucht und selbst aus Neuguinea wurde eine heftige Feuersaison gemeldet, obwohl die Insel bislang als letztes Refugium der Regenwälder im indopazifischen Raum galt.
In vielen Fällen stecken hinter den Abholzungen und Rodungen jedoch keine armen Kleinbauern, die verzweifelt Land gewinnen wollen, um ihre Familien zu ernähren. Das galt früher, in den 1970er und 1980er Jahren, als Umsiedlungsprogramme in Brasilien und Indonesien gezielt versuchten, den Regenwald für Bevölkerungsschichten zu erschließen, die aus überbevölkerten Landesteilen abwandern sollten. Heute treiben dagegen oft nationale und internationale Agrarriesen, Bergbaufirmen oder staatliche Infrastrukturprogramme die Entwaldung voran: Auf riesigen Flächen holzen sie den Wald ab, um beispielsweise Sojabohnen, Ölpalmen oder Akazien anzupflanzen – das Geld für diese Arbeiten holen sie dabei oft mit dem Verkauf eingeschlagener Edelhölzer wieder herein. Brasilien treibt die Erschließung Amazoniens mit weiteren Staudämmen und Straßen voran, selbst wenn diese ökologisch und ökonomisch unverantwortlich sind, wie das Beispiel Belo Monte am Rio Xingu zeigt. Der südamerikanische Wald- und Wirtschaftsriese debattiert zudem darüber, Gesetze zum Waldschutz zu lockern und Naturschutzgebiete oder Indianerreservate für die Nutzung freizugeben, wenn sich darin Rohstoffe verbergen oder diese der "Landesentwicklung" im Weg stehen. Die bisherigen Erfolge würden damit konterkariert.
Gibt es eine Lösung?
Diese Probleme schätzen auch Houghton, Nassikas und Byers sehr hoch ein – in Indonesien setzen sich viele Unternehmen wiederholt über Recht und Gesetz hinweg, um Regenwälder für Nutzland zu zerstören. Befürchten müssen sie anschließend nur selten etwas, da ihr politischer und wirtschaftlicher Einfluss zu gering und die Zivilgesellschaft noch zu schwach ist. Ähnliche Zustände herrschen in Peru, das ebenfalls noch ausgedehnte Wälder besitzt, wo aber Naturschützer um ihr Leben fürchten müssen, wenn sie sich bestimmten Interessen widersetzen.
Und umdenken müssen auch die Konsumenten in den Industriestaaten, die nicht nur zu den wichtigsten Kohlendioxidproduzenten gehören, sondern ebenso zu den bedeutendsten Abnehmern von Gold, Holz, Soja, Fleisch oder Palmöl aus dem Raubbau zählen. Die Mitgliedsländer der Europäischen Union etwa führen 25 Prozent des Sojas, 18 Prozent des Palmöls, 15 Prozent des Rindfleisches und 31 Prozent des Leders ein, die weltweit aus widerrechtlich zerstörten Regenwäldern stammen. Die EU ist damit global gesehen der größte und wichtigste Akteur im Handel mit Konsumgütern, für die wertvolle Naturflächen am Gesetz vorbei zerstört wurden. Dominiert wird der Handel von fünf Nationen: Italien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden, über deren Häfen ein Großteil der Einfuhren erfolgt. Sie verbrauchen fast zwei Drittel dieser Güter, wobei die Schwerpunkte von Staat zu Staat unterschiedlich sind. Gleichzeitig fühlen sich Staaten wie die Bundesrepublik als Vorreiter im Klimaschutz.
Dabei gibt es Instrumente, mit denen es lukrativer wird, Wälder zu schützen, statt sie zu zerstören. Und eines davon wird auch in Paris wieder verhandelt: REDD+ (Reduced Emissions from Deforestation and forest Degradation) soll die Emissionen aus der Abholzung reduzieren helfen, indem – verkürzt gesagt – waldreiche Nationen Kompensationen erhalten, wenn sie ihre Ökosysteme bewahren, statt sie für kurzfristige Interessen zu opfern. Bei den Vorverhandlungen in Bonn konnten sich die Delegierten immerhin schon mal auf ein Regelwerk einigen, wie Wälder und Aufforstung die CO2-Bilanzen verbessern können. Ob in Paris schließlich ein endgültiger Durchbruch erzielt werden kann, bleibt abzuwarten. Eines sollte den Abgeordneten jedoch klar sein: Billiger lässt sich das Klima nicht schützen als mit Hilfe der Bäume in den Tropen.
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