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Warkus' Welt: Ein Doktortitel macht noch keinen Philosophen

Im Gegensatz zu vielen anderen Berufsbezeichnungen ist bei Philosophinnen und Philosophen heiß umstritten, wer sich wann so nennen darf. Die Debatte zeigt, was Menschen in dem Fach sehen, meint unser Kolumnist.
Ein Doktorhut sitzt oben auf einem Stapel alt aussehender Bücher.
Ein akademischer Titel oder das gewisse Etwas: Was braucht es, um ein »echter« Philosoph zu sein?

Die Älteren von Ihnen werden sich noch erinnern: Bis 1999 durften sich in Deutschland auch Menschen ohne einschlägiges Studium und Weiterbildung auf dem Gebiet der Psychotherapie »Psychotherapeut« nennen. Dies wurde allgemein als ein Problem empfunden und nach langem Hin und Her gesetzlich verboten. Seitdem ist »Psychotherapeut« eine geschützte Berufsbezeichnung wie etwa »Architekt« oder »Rechtsanwalt«. Es ist sehr genau definiert, wer sich so nennen darf und welche Arten von Psychotherapeuten es gibt.

»Philosoph« beziehungsweise »Philosophin« ist hingegen keine geschützte Bezeichnung. Das bräuchte eigentlich niemanden weiter zu stören. Philosophinnen üben nach landläufiger Auffassung keinen Heilberuf aus. Sie entwerfen keine Häuser und tun auch sonst allem Anschein nach nichts Praktisches, bei dem man viel kaputt machen könnte. Viele andere Tätigkeitsbezeichnungen – etwa Germanist, Physikerin oder Pädagoge – sind ebenfalls nicht geschützt und das scheint nur selten jemanden zu ärgern. Ab und an gibt es vielleicht ein wenig Gegrummel, wenn bestimmte Bezeichnungen zum Beispiel aus Marketinggründen überzogen scheinen. Ich habe beispielsweise mal kleinere Diskussionen darüber mitbekommen, wer sich wann und mit welchem Recht »Evolutionsbiologin« nennen darf.

Bei dem Wort Philosoph hingegen scheint die Frage, wer sich in Ermangelung einer offiziellen Regelung so nennen darf, die Gemüter erheblich zu erhitzen. Das habe ich persönlich erlebt und auch medial gibt es immer wieder Debatten darüber, zum Beispiel, wenn es um die Personalie Richard David Precht geht, bei dem es viele stört, dass er in der Regel als Philosoph vorgestellt wird, obwohl er seinen Doktor nicht in Philosophie gemacht hat. Eine Twitter-Umfrage der Journalistin Margarete Stokowski zur Frage, ob »Leute, die einen Uni-Abschluss in Philosophie haben«, Philosophin oder Philosoph genannt werden könnten, sammelte vor einigen Jahren binnen eines Tages 4250 Stimmen ein (und das Ergebnis war übrigens ein knappes Nein). Ebenfalls auf Twitter stellte die Germanistikprofessorin Andrea Geier 2020 die Überlegung in den Raum, Philosophieprofessorinnen und -professoren sollten vielleicht besser nicht als Philosophen, sondern als »Philosophiewissenschaftler« bezeichnet werden. (Precht, Stokowski und Geier haben übrigens alle drei – neben anderen Fächern – Philosophie studiert.)

Wie man es macht, ist es falsch

Was ist nun das potenziell Anstößige daran, wenn sich jemand Philosoph nennt? Mir scheint es hier zwei unterschiedliche Konstellationen zu geben, in denen sich Unmut einstellt:

Im ersten Fall geht es darum, dass jemand den Status des Philosophen beansprucht oder zu beanspruchen scheint, obwohl er keine hinreichenden akademischen Qualifikationsnachweise vorlegen kann. Zu meinen Studienzeiten sagten wir scherzhaft, Philosoph dürfe man sich ab der bestandenen Zwischenprüfung nennen. Heute scheint mir häufig das Fehlen einer einschlägigen Promotion bemängelt zu werden, zum Beispiel bei Precht oder Rüdiger Safranski, die beide literaturwissenschaftliche Doktorarbeiten geschrieben haben. Teilweise wird darüber hinaus auch verlangt, jemand müsse aktiv zu dem Thema forschen, also an einem philosophischen Institut arbeiten und/oder einschlägige Fachpublikationen haben, um sich Philosophin nennen zu können.

Im zweiten Fall wird hingegen bemängelt, dass jemand den Status der Philosophin beansprucht oder zu beanspruchen scheint, gerade weil er oder sie hinreichende akademische Qualifikationsnachweise hat, aber eben angeblich nur diese. Hierum geht es auch bei der vorgeschlagenen Unterscheidung zwischen Philosoph und Philosophiewissenschaftler: Sie unterstellt, dass Philosophie etwas anderes ist als »nur« akademisches Forschen über Philosophie.

Doch was macht einen Philosophen dann aus, wenn es nicht die fachwissenschaftliche Tätigkeit ist? Es gibt eine populäre, aber durchaus bis in die höchsten Etagen des Medienbetriebes verbreitete Vorstellung, dass »richtige« Philosophie noch etwas anderes sein müsse, etwas Kreatives, »Magisches«, was der Tätigkeit an einem philosophischen Hochschulinstitut nicht notwendigerweise innewohne. Diese Vorstellung ist deswegen so wirkungsvoll, weil sie von mehreren Seiten kräftig befeuert wird: einmal durch die Erinnerung an große historische Figuren wie etwa Diogenes und Sokrates, die im Dienste der Philosophie Armut oder gar den Tod in Kauf nahmen. Doch auch durch die landläufige Redensart vom »Philosophieren« als unverbindliches Nachdenken, was ja jeder nach entsprechender Inspiration zum Beispiel durch ein gutes Glas Wein könne. Und durch die beliebte, aber nicht ganz treffende Behauptung, viele, wenn nicht gar die meisten großen klassischen Texte der Philosophie seien nicht im akademischen Betrieb entstanden.

Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

Diese beiden Formen des Vorwurfs nehmen Menschen, die sich mit Philosophie beschäftigen, sauber in die Zange. Nahezu jedem, der sich Philosoph nennt, kann man das eine oder das andere vorwerfen. Warum gibt man die Bezeichnung dann nicht ganz auf oder zumindest die Streitigkeiten darüber, wie sie zu verwenden ist?

Meine Vermutung dazu ist eigentlich ganz schmeichelhaft für unser Fach: Obwohl das philosophische Wissen in der breiten Öffentlichkeit in Deutschland wenig ausgeprägt ist, herrscht die Überzeugung, dass Philosophie etwas Wichtiges und Aufregendes ist. Jemand, der bereits in seiner Selbstbezeichnung die Vereinsfarben des Fachs hochhält, muss also jemand Besonderes sein oder zumindest etwas Besonderes können, was nicht nur seines- oder ihresgleichen interessiert. Ich persönlich betrachte das Wissen um dieses Interesse als Verpflichtung, mir stets Mühe damit zu geben, schlechten Klischees entgegenzutreten. Ob das funktioniert beziehungsweise ob ich die Bezeichnung Philosoph wirklich verdiene, müssen andere beurteilen.

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