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Warkus' Welt: Warum, warum, warum?

Nicht nur Kinder, auch Erwachsene können zu jeder Behauptung eine Begründung verlangen. So entstehen Begründungsketten, bei denen es vor allem am Ende spannend wird. Eine Kolumne.
Bunter Knoten

Man muss kein kleines Kind haben, um zu wissen: Auf jeden Satz kann man mit »Warum?« oder »Woher weißt du das?« antworten. In Erwachsenensprache gesagt: Zu jeder Behauptung lässt sich eine Begründung verlangen. Und ähnlich wie im Gespräch mit Kindern gibt es dabei auch in der Philosophie keine Ausnahmen.

Da man auch bei Begründungen immer nach dem Grund fragen kann, können Begründungen Ketten bilden: »Warum sind Robbenbabys so flauschig?« – »Damit sie es warm haben.« – »Warum?« – »Damit sie nicht erfrieren.« – »Warum?« – »Damit die Art nicht ausstirbt.« – »Warum?« – und so weiter. Solche Begründungsketten erreichen, wenn man sie lange genug fortsetzt, meist (oder sogar immer?) einen Punkt, an dem es nicht in gleicher Weise weitergeht, sondern sich etwas grundlegend ändert.

Der Philosoph Hans Albert, der 2021 seinen 100. Geburtstag feierte, hat (basierend auf früheren Beiträgen zum Beispiel aus dem 19. Jahrhundert und aus der Antike) eine einflussreiche Behauptung über diesen »Punkt, an dem sich etwas grundlegend ändert« in Begründungsketten aufgestellt. Ihm zufolge wird ein solcher Punkt tatsächlich immer erreicht. Jede Kette erfährt nach Albert eines von drei Schicksalen: Sie gerät entweder in eine Schleife (einen so genannten Zirkel), in eine unendliche Verlängerung ähnlicher Schritte (»infiniter Regress«), oder sie wird durch eine Verfügung der Form »So ist es halt« beendet (»dogmatischer Abbruch«). Auf Grund dieser drei Optionen und in Anlehnung an das Bild von Münchhausen, der sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zieht, spricht man auch davon, dass Begründungsketten ins »Münchhausen-Trilemma« führen.

Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

Das Münchhausen-Trilemma

Das Trilemma wurde und wird besonders im Zusammenhang mit erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Problemen diskutiert – also Fragen dazu, wie wir zu zuverlässiger Erkenntnis kommen können. Nehmen wir beispielsweise den Satz »Unterschiedliche Gegenstände fallen, wenn man den Luftwiderstand vernachlässigt, am gleichen Ort gleich schnell«. Woher nehmen wir die Sicherheit, dass dies stimmt?

Wenn wir den Satz damit begründen, dass wir es mit zwei beliebigen Gegenständen ausprobiert haben, kann man einwenden, dass es vielleicht mit zwei anderen Gegenständen nicht funktionieren würde. Die müsste man also auch testen, und so weiter mit allen existierenden und vielleicht zukünftig in die Welt kommenden Gegenständen. Das wäre also unser infiniter Regress.

Gehen wir nicht auf diese etwas platte Art vor, sondern sagen »Wir wissen das, weil die Physik uns lehrt, dass unter kontrollierten Umständen gleiche Ursachen zu gleichen Wirkungen führen« – dann müssen wir diesen Satz wiederum begründen. Und das ist eigentlich nur möglich, indem wir darauf hinweisen, dass es historisch eben immer wieder so gewesen ist. Wir landen also bei einer Schleife, einem Zirkel: Gleiche Ursachen führen erfahrungsgemäß zu gleichen Wirkungen, weil gleiche Ursachen erfahrungsgemäß zu gleichen Wirkungen führen.

In der Regel tun wir aber weder das eine noch das andere, sondern wir brechen unsere Begründungskette an irgendeiner Stelle mit einer Intervention ab, und zwar nicht, weil wir auf unumstößlich begründete Sicherheit gestoßen wären, sondern weil wir es einfach (»dogmatisch«) behaupten. Wir könnten etwa nach einer hinreichend langen Versuchsreihe sagen: »Das muss jetzt reichen!« Oder zu dem Satz, dass gleiche Ursachen erfahrungsgemäß zu gleichen Wirkungen führen, sagen, dass dieser sich gar keiner Begründung aussetzt, sondern eine Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt ist.

Nach der Denkschule des kritischen Rationalismus, der Hans Albert zugerechnet wird, ist es unproblematisch, dass wir mit jeder Begründungskette irgendwann an eine solche Grenze stoßen und somit niemals eine letzte sichere Begründung für irgendetwas haben können. Weil alles Wissen, das wir haben können, immer (wie wenig es auch scheint) der potenziellen Widerlegung ausgesetzt sei. Diese Vorstellung ist für Teilbereiche des menschlichen Wissens wie Natur- und Sozialwissenschaft heute auch in der Philosophie weitestgehend anerkannt. Hochumstritten ist bis heute, welchen Stellenwert Sätze, die unser Alltagsdenken derartig beherrschen, dass wir sie faktisch nicht zur Widerlegung zulassen (zum Beispiel dass 1+1=2 oder dass ein Mensch nicht zugleich an zwei Orten sein kann), in einem solchen Konzept einnehmen – beziehungsweise, ob es den Kern der Sache nicht überhaupt verfehlt, sicheres Wissen in den Begründungsbeziehungen von Sätzen zu suchen.

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