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Warkus’ Welt: Das Problem mit den guten Vorsätzen

Mehr Sport treiben, ein paar Pfunde verlieren, nicht mehr so schnell aus der Ruhe geraten: Viele nehmen sich zum Jahreswechsel etwas vor. Doch warum hapert es oft an der Umsetzung? Über die Antwort auf diese Frage diskutieren auch Philosophen.
Jahreswechsel 2018 - 2019

Haben Sie Vorsätze für 2019? Ich selbst habe keine und weiß auch von niemandem, der welche hätte. Dennoch ist es beliebt, sich zum Jahresanfang etwas vorzunehmen oder zumindest zu versuchen, umzusetzen, was man sich längst vorgenommen hat. So verzeichnen Fitnessstudios zum Beispiel im Januar mehr Neuanmeldungen als in anderen Monaten (die Schätzungen rangieren zwischen 20 und 60 Prozent); für Abnehmprogramme und Gesundheitskurse gilt dasselbe.

Doch auch, wenn viele versuchen, sich zu Neujahr zu »bessern«: Nicht alle guten Vorsätze werden am Ende verwirklicht. Ob das Klischee zutrifft, dass Fitnessketten und Sportvereine vor allem an jenen Mitgliedern verdienen, die sich anmelden und dann doch nicht trainieren, weiß ich nicht. Klar ist aber: Wenn wir immer alles umsetzen würden, was wir wollen und können, bräuchte es gar keine Vorsätze zu bestimmten Stichtagen. Wir würden einfach tun, was wir uns vornehmen.

Wie kommt es nun, dass ein Mensch etwas tut (etwa zu Hause im Sessel sitzen bleiben), obwohl er eigentlich etwas ganz anderes tun möchte (trainieren, ins Theater gehen, lange vernachlässigte Freunde treffen)? Oder allgemeiner formuliert: Wie kann jemand, der urteilt, dass eine Handlung A eigentlich klar in seinem Interesse liegt, eine andere Handlung B jedoch nicht, dennoch B statt A machen? Wie wir im Rahmen dieser Kolumne schon häufiger festgestellt haben, fängt dort, wo das Wort »eigentlich« ins Spiel kommt, oft die Philosophie an. Und in der Tat: Die Frage, was es heißt, etwas eigentlich zu wollen und doch nicht zu tun, beschäftigte bereits antike Philosophen wie Platon und Aristoteles.

Wer nicht nach seinem Entschluss handelt, will vielleicht gar nicht das, was er zu tun beschlossen hat. Er hat gewissermaßen hinter seinem eigenen Rücken die Finger gekreuzt, als er den Vorsatz fasste

Eine Möglichkeit, das »eigentlich« zu deuten, ist zu bezweifeln, dass derjenige, der gegen seinen Entschluss handelt, wirklich über alles nötige Wissen verfügt. Wer genau weiß, was das Beste für ihn ist, wird niemals etwas anderes tun – wer sich anders verhält, ist schlicht unterinformiert. Es gibt eigentlich keine Willensschwäche, sondern nur falsche Beurteilungen von Handlungsoptionen (so bei Platon, im »Protagoras«). Oder es könnte noch schlimmer sein: So ist zum Beispiel der US-amerikanische Philosoph Michael Bratman von der Stanford University zu dem Schluss gekommen, dass es keinen Sinn mache, anzunehmen, dass ein Urteil darüber, dass eine Handlung besser sei als eine andere, überhaupt irgendwie handlungsleitend sein müsse.

Meinen wir unsere Vorsätze nicht ernst?

Ebenso wie das Wissen kann man auch die Ernsthaftigkeit eines Handlungsentschlusses anzweifeln. Wer nicht nach seinem Entschluss handelt, will vielleicht gar nicht das, was er zu tun beschlossen hat. Er hat gewissermaßen hinter seinem eigenen Rücken die Finger gekreuzt, als er den Vorsatz fasste.

Eine dritte Option ist es schließlich, anzuerkennen, dass der Willensschwache tatsächlich die Optionen richtig beurteilt und auch einen ernsthaften Entschluss gefällt hat, aber von irgendetwas in ihm selbst abgehalten wird, dann auch entsprechend zu handeln. Dieses Etwas könnte zum Beispiel rohe Begierde, der niedere Trieb sein. (Nur: Dummerweise handeln wir oft sehr rational und zivilisiert, wenn wir uns von dem abhalten lassen, was wir uns vorgenommen haben, und ganz und gar nicht roh oder nieder.) Es könnte auch eine Art inneres Beharrungsvermögen auf unsere Gewohnheiten sein – hierfür sprechen psychologische Erkenntnisse, und große Teile des Selbstoptimierungskults in unserer Gesellschaft kreisen um das Schaffen und Pflegen guter Gewohnheiten.

Die Theorie, dass allgemeine gewohnheitsmäßige Handlungsprägung (Habitus) und tatsächliches Handeln zwei Paar Schuhe sind, findet sich schon bei dem Philosophen, Kirchenlehrer (und Heiligen) Thomas von Aquin (zirka 1225–1274). Vielleicht ist die Verehrung, die wir in den modernen Industriegesellschaften Menschen entgegenbringen, die so diszipliniert scheinen, dass sie in der Lage sind, ganz ohne Vorsätze oder Selbstvorwürfe zu leben – Instagram-Fitnessmodels, Achtsamkeitsfeen, yogagestählte Silicon-Valley-Unternehmer –, gar nicht so unreligiös, wie sie scheint. In der verbreiteten Wahrnehmung, dass wir alle ständig hinter unseren Möglichkeiten zurückbleiben, steckt sicher mehr als nur nüchterne Einschätzung, sondern sie ist eine (auch kulturell und religiös geprägte) Verarbeitung einer menschlichen Grunderfahrung: dass wir schwach gegen uns selbst und bei aller Mühe nicht in der Lage sind, immer das Richtige zu tun.

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