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Warkus' Welt: Das Problem mit der Bildung

Bildung sei Deutschlands wichtigste Ressource, heißt es immer wieder. Dabei ist nicht mal so ganz klar, was das eigentlich ist. Doch auf eine Idee stößt man immer wieder, erklärt Matthias Warkus.
Ein altes Hardcover-Buch lehnt aufgeklappt an einem Laptop.

Im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung taucht die Zeichenfolge »Bildung« 136-mal auf (häufiger als fast alles außer »Klima« und »Arbeit«). In der Bundesrepublik sind wir es – spätestens seit Georg Pichts Warnung vor der »Bildungskatastrophe« 1964 – gewohnt, dass Politik und ihre mediale Diskussion ständig um Bildung kreisen. Grund genug, die typisch philosophische Frage zu stellen: Was ist Bildung eigentlich?

Es wird Sie nicht überraschen, dass Bildung ein philosophisches Konzept ist – zumindest in der gängigen Hinsicht, in der sie von Ausbildung und Erziehung abgegrenzt wird. Dass diese Abgrenzung üblich ist, leuchtet intuitiv ein: Man kann gut erzogen sein, also auf Grund äußerer Einwirkung in der Kindheit und Jugend freundlich, höflich, rücksichtsvoll, einfühlsam und so weiter, ohne einen Funken Bildung zu haben. Genauso kann man ohne Bildung gut ausgebildet sein, also beispielsweise komplizierte handwerkliche Techniken oder die Konventionen eines anspruchsvollen Büroberufs beherrschen.

Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

Was ist dann aber Bildung? Wer in Deutschland von ihr spricht, beruft sich in der Regel irgendwie auf ein Verständnis von ihr, wie es um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert herum vorlag. Es streckt seine Wurzeln durch die Epoche der Aufklärung hindurch bis in den Humanismus der Renaissance, bekam seinen letzten Schliff aber durch Literaten der Klassik und Romantik sowie Philosophen, die wir heute Vertreter des deutschen Idealismus nennen.

Der Kern ist dabei, grob gesagt: Der Mensch ist noch nicht fertig, wenn er laufen, sprechen, sich die Schuhe zubinden, lesen, schreiben und Nudeln mit Tomatensauce kochen kann. Was ihn als Menschen im Innersten ausmacht – seine Fähigkeit, wahrzunehmen, zu empfinden, zu denken, sich frei zu entscheiden, Freude am Leben zu haben, unter anderen Menschen verantwortlich zu handeln, sich eigenständig auszudrücken, also seine Menschlichkeit und Einzigartigkeit –, muss sich entwickeln und dazu gepflegt werden wie eine Pflanze.

Der Mensch ist unfertig

Während ein Baum sich nun aber nicht selbst gießen, düngen, hochbinden und zurückschneiden kann, kann es der Mensch auf entscheidende Weise nur selbst, da seine spezifischen Fähigkeiten gerade mit seinem Verhältnis zu sich selbst zu tun haben (also: reflexiv sind). Bildung ist sozusagen ein Sich-Erschaffen des Individuums und seines Verhältnisses zu sich selbst: ein Prozess, bei dem der Mensch das, was er schon (aber nur irgendwie) ist, erst verwirklicht.

Auch wenn das Individuum diesen Prozess an sich selbst ausführt, geschieht dieser nicht im luftleeren Raum – sogar eine Pflanze, die sich selbst gießen und düngen könnte, bräuchte immer noch Wasser und Dünger. Bildung ist daher eine Art Stoffwechsel zwischen Mensch und Welt, bei dem es unter anderem eine Rolle spielt, welche Stoffe man da wechselt: woran man sich bildet. Der klassische Vorschlag dafür, was man dafür am besten hernimmt, ist dabei: Kunst, insbesondere Literatur.

Dieser Vorschlag erfreut sich bis heute größter Beliebtheit; vor allem konservative Intellektuelle setzen Bildung bis heute mit Belesenheit gleich. Es gibt allerdings durchaus das Argument, dass Bildung sich an weniger konventionellen Gegenständen genauso vollziehen kann, dass es beispielsweise auch im klassischen Sinn das Selbst bilden kann, intensiv als Fan einer mittelmäßig spielenden Bundesligamannschaft zu leben, ist dies doch ebenfalls eine Auseinandersetzung mit Schönheit, Moral und Drama.

Wie sehr »Bildung« im Koalitionsvertrag nun mit diesem Bildungsbegriff zu tun hat, möchte ich hier nicht beurteilen. Man kann aber davon ausgehen, dass alle einschlägigen Diskussionen in Deutschland immer zumindest mit einem schwachen Nachglühen dieses Begriffs unterlegt sind – und sei es in der Form, dass man, ob berechtigt oder nicht, bedauert, man könnte ihn aus welchem Grund auch immer nicht so sehr berücksichtigen, wie man es eigentlich müsste. Die belesene, kreative, aber dabei harmonisch ausgewogene Künstlerpersönlichkeit ist zumindest zwischen den Zeilen bis heute ein beliebtes Idealbild.

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