Warkus' Welt: Die Problemzone zwischen den Tüddelchen
Wenn man sich unter dem Wort »Sprachphilosophie« überhaupt etwas vorstellen kann, dann assoziiert man damit heutzutage vermutlich am ehesten Klassiker des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts wie etwa Ludwig Wittgenstein oder J. L. Austin. Vielleicht weiß man auch, dass große Teile des heutigen Philosophiebetriebs sich direkt oder indirekt mit Sprache beschäftigen. Sprachphilosophie ist allerdings viel älter; sie geht zurück auf die Antike und erlebte im Mittelalter eine Blüte.
Aber damals war etwas Entscheidendes anders als heute: Im Hochmittelalter nutzte man keine Anführungszeichen. Ich hatte im Studium einmal ein Seminar zur Logik und Sprachphilosophie des Mittelalters, und das war mit das Erste, was der Dozent uns mitteilte. Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts setzten sich Anführungszeichen durch, wobei nicht ganz klar ist, ob es sich um die Wiederentdeckung antiker Zitatzeichen handelte oder eine mehr oder minder eigenständige Neuentwicklung.
Anführungszeichen haben den praktischen Nutzen, dass sie Missverständnisse darüber reduzieren, wo ein Zitat aus einem anderen Text anfängt und aufhört. Doch vor allem erlauben sie es uns, beim Sprechen über Sprache ohne umständliche Hilfskonstruktionen klarzustellen, wie die Bezüge liegen: welche Anordnungen von kleinen schwarzen Krakeln auf der Seite das darstellen, was gesprochen wird, und welche anderen Anordnungen das darstellen, worüber gesprochen wird. Fachsprachlich sagt man: Anführungszeichen erlauben uns, zwischen Objektsprache und Metasprache zu unterscheiden.
Der Kontext macht's
Der Unterschied zwischen diesen beiden Sprachebenen kann natürlich auch einfach aus dem Kontext klar sein oder durch andere Mittel als durch Anführungszeichen gekennzeichnet werden. Entscheidend ist, dass es eben etwas völlig anderes ist, ein Wort oder einen Satz zu gebrauchen, als ihn zu erwähnen. Das ist zum Beispiel wichtig, wenn ich meine Frau frage, was die Schauspielerin im Fernsehen da eben gesagt habe, und sie mir antwortet: »Ich will die Scheidung.« Das ruiniert unsere Ehe deswegen nicht, weil es aus dem Kontext keinen Zweifel an der Sprachebene gibt. Der gesprochene Satz »Ich will die Scheidung« bedeutete hier sozusagen: »›Ich will die Scheidung‹« – mit Anführungszeichen.
Interessant wird es aber dort, wo wir diesen Unterschied nicht zulassen oder ihn zumindest problematisch finden. Dies ist klassischerweise etwa der Fall, wenn wir obszön beleidigt werden und Hemmungen haben, den Tonfall der Beschimpfungen wörtlich zu zitieren. Beim schriftlichen Zitieren von Obszönitäten gibt es verschiedene Mittel, die zitierten Wörter zu »entschärfen«, zum Beispiel, indem man Buchstaben durch Sternchen, Punkte oder Gedankenstriche ersetzt. Aber warum soll man nun ein Wort entschärfen, das in Anführungszeichen steht? Durch diese ist die Sprachebene doch eindeutig gekennzeichnet?
Es gibt verschiedene denkbare Motivationen dafür, so beispielsweise eine Art Ekel vor der ausgeschriebenen Obszönität, die man ja auch nicht »in den Mund nehmen« möchte. Man möchte das Wort erst gar nicht reproduzieren. Denn trotz Anführungszeichen oder sonstiger Indikatoren für die Sprachebene: Um etwas wörtlich zu zitieren, muss man es eben doch aussprechen oder aufschreiben. Man muss auch nicht lange suchen, um Diskussionen aus den letzten Jahren zu finden, in denen es genau darum geht: um die Frage, ob die Verwendung bestimmter abwertender (insbesondere rassistischer) Bezeichnungen selbst in Zitaten ungerechtfertigt ist (hier ein Beispiel aus dem Jahr 2014).
Distanzieren statt zitieren
Nun kann man sich einerseits auf den Standpunkt stellen, dass ein bloßes zitiertes Wort an sich noch niemandem weh tut – aber das tut ein nicht zitiertes Wort schließlich auch nicht. Eine Beleidigung ist keine Körperverletzung. Wir akzeptieren jedoch andererseits in der Regel, dass Sprache Wirkungen haben kann; und wir kennen nicht sprachliche Zeichen wie beispielsweise die Symbole von NS-Organisationen, deren Reproduktion als problematisch empfunden wird, obwohl die bloße Präsenz von ein paar Strichen genauso wenig jemandem körperlich schadet wie ein bloßes Wort. Für grafische Darstellungen gibt es interessanterweise kein etabliertes Zeichen, das die Funktion von Anführungszeichen erfüllt, obwohl man sich problemlos vorstellen könnte, dass es so etwas gäbe.
Noch schwieriger wird es, kommt man in Phänomene wie »Rollenprosa« oder »erlebte Rede« hinein, wenn also nicht bloß etwas zitiert wird, sondern wenn jemand neuen Text produziert, der aber so verstanden werden soll, als werde er von einer gedachten Person in einer gedachten Situation geäußert. Insbesondere in der politischen Rhetorik kann die Verwendung solcher Mittel zu Skandalen führen.
Dass wir also über symbolische Mittel verfügen, um das »wirklich so gemeinte« Sprechen vom »nicht so gemeinten« Sprechen über das Sprechen zu unterscheiden, löst offensichtlich nicht alle Probleme, die dabei auftreten können. Wie bei allen kulturellen Phänomenen, die etwas mit dem Gebrauch von Zeichen zu tun haben, kann die Philosophie dabei dazu beitragen, genaue Beschreibungen der Schwierigkeiten zu liefern. Lösen kann sie sie nicht.
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