Warkus' Welt: Ist das noch Kunst?
Ein Bild malen: Das ist Kunst. Ein Bild durch einen Aktenvernichter jagen: eher nicht – oder? Vor Kurzem hat sich ein Druck des britischen Künstlers Banksy nach der Versteigerung für einen ohnehin schon hohen Preis (etwas über eine Million Euro) mit Hilfe eines im Rahmen versteckten Aktenvernichters selbst zerstört, ein Vorgang, der auf der ganzen Welt für Aufsehen gesorgt hat und dessen Hintergründe nach wie vor nicht ganz geklärt sind. Experten gehen davon aus, dass die Arbeit in ihrer jetzt etwa zur Hälfte in Streifen zerschnittenen Form mindestens anderthalb mal so viel wert ist wie zuvor, vielleicht sogar doppelt so viel, also fast zweieinhalb Millionen Euro!
Das ist schon außergewöhnlich. Denn wenn man einen Gegenstand kauft, der sich unerwartet selbst zerstört, steht man hinterher in aller Regel mit leeren Händen da. Mein Lieblingsbeispiel dafür sind frische Pilze: Manchmal verschimmeln sie buchstäblich über Nacht, und das Frühstücksomelett muss ohne sie auskommen. Die Pilze sind weg und das Geld, das man für sie ausgegeben hat, auch. Aber Pilze sind eben keine Kunstwerke.
Doch was macht ein echtes Kunstwerk aus? In der Philosophie und den ihr nahestehenden Wissenschaften, die sich mit der Kunst beschäftigen, gibt es insgesamt drei verschiedene Ansatzpunkte, um diese Frage zu beantworten. Da sind zunächst einmal die Produktionsbedingungen: Künstlerischen Wert könnte etwas haben, weil es auf bestimmte Weise, von einer bestimmten Person, in einem bestimmten Rahmen hergestellt worden ist. Dieses Konzept ist, auch wenn viele sich dessen vermutlich nicht bewusst sind, enorm populär: beispielsweise wenn ein Werk gelobt wird, weil es von einer »genialen« Person geschaffen wurde, die zudem auch noch eine aufwändige Ausbildung an anspruchsvollen Institutionen durchlaufen hat und die lange und hart daran gearbeitet hat.
Vom Kochlöffel zum Kunstobjekt
Auf der anderen Seite können auch die Bedingungen der Rezeption, also der sinnlichen Wahrnehmung des Kunstwerks beziehungsweise der Interaktion mit ihm durch den »Endverbraucher«, herangezogen werden. Auch diese Herangehensweise ist uns nicht fremd. Wenn wir heute einen im 18. Jahrhundert von einer Bauersfrau geschnitzten Holzlöffel oder einen britischen Flugzeugmotor von 1937 bewundernd betrachten oder uns schöne Schwarzweißfotos davon in unser Büro hängen, machen wir dann nicht Dinge zu Kunstwerken, die nie als solche gedacht waren? Ist beziehungsreiche Lyrik oder komplexe zeitgenössische Musik Kunst, wenn man sie nicht mit dem nötigen Sachverstand liest und hört? Oder reicht es schon, wenn sie bestimmte Gefühle auslöst? Und wenn wir schon von Sachverstand reden: Kann ein Fußballspiel in den richtigen Augen nicht auch ein Kunstwerk sein?
Der dritte Ansatzpunkt ist die Vorstellung, dass nicht Rezeption oder Produktion für den künstlerischen Wert von etwas entscheidend sind, sondern bestimmte Eigenschaften des Kunstwerks selbst, die es aus sich selbst heraus zu Kunst machen – unabhängig davon, wer es wie geschaffen hat und rezipiert. Solche werkästhetischen Vorstellungen sind ebenso beliebt wie die genannten produktions- und rezeptionsästhetischen. Ist ein traditionelles Porträt in Öl ein Kunstwerk, weil es der gemalten Person sehr ähnlich sieht? Ist eine antike Skulptur ein Kunstwerk, weil sie bestimmte Proportionen und Regeln der Bildhauerei verwirklicht? Muss Kunst schön sein – oder im Gegenteil sogar hässlich?
Zusammenfassend kann man sagen, dass es die unterschiedlichsten Zugänge zu dem Phänomen Kunst gibt. Teilweise widersprechen sich die verschiedenen Sichtweisen diametral, teilweise ergänzen sie sich. Wie jede philosophische Theorie, die einen Allgemeinbegriff von etwas gibt, müssen sich auch Kunsttheorien daran messen lassen, ob sie das, was wir im Alltag Kunst nennen, wenigstens ungefähr erfassen. Denn offenbar kann zumindest für den Kunstmarkt auch ein halb geschredderter Druck eines vielfach reproduzierten Motivs ein wertvolles Kunstwerk sein. Das eine, das alles philosophische Denken zu Kunst gemein hat, ist die Annahme, dass es am Ende weder ausschließlich von persönlichem Gefallen noch von wirtschaftlichem Erfolg oder Popularität abhängt, ob etwas Kunst ist. Über Geschmack kann – und muss – man immer streiten.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben