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Warkus' Welt: Rousseaus Garten

Der Slogan »Zurück zur Natur« wird Jean-Jacques Rousseau zugeschrieben. Tatsächlich allerdings war das etwas anders gemeint. Gärten und Parks wurden trotzdem von seinem Denken inspiriert.
Blick über einen mit Statuen gesäumten Weg auf einen großen Brunnen.
Geometrisch angelegte Parks mit Brunnen, Sichtachsen und leicht bekleideten Statuen sind typisch für Barockgärten.

Ich lebe in Thüringen, das angeblich die höchste Schlösserdichte Europas hat. Man kann hier quasi keinen Schritt vor die Tür machen, ohne ein Schloss zu besichtigen, und wenn man ein Schloss besichtigt, dann spaziert man eigentlich auch immer durch irgendwelche Parks und Gärten.

Sie werden wahrscheinlich ungefähr wissen, dass man bei Schlossgärten ganz grob zwei Arten unterscheiden kann. Zum einen die barocken mit den exakt gestutzten Buchsbäumen, den symmetrischen, geometrischen Ornamenten aus Blumenbeeten und den schnurgeraden Alleen. Zum anderen, deutlich später, die englischen Gärten, die asymmetrisch und »natürlicher« gestaltet sind, mit Baumhainen, Hügeln, Lichtungen, Wasserflächen und kleinen Ziergebäuden dazwischen.

Nach meiner Erfahrung hört man praktisch bei jeder Erläuterung eines größeren Schlossparks, der Unterschied dieser beiden Arten von Gärten sage etwas darüber aus, dass sich die Einstellung des Zeitgeistes zur Natur geändert habe. Das komme in dem Ausspruch »Zurück zur Natur« des berühmten Philosophen Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) pointiert zum Ausdruck.

Leider ist diese beliebte Darstellung nicht ganz richtig. Der Slogan »Zurück zur Natur« hat keinen identifizierbaren Urheber und stammt schon gar nicht von Rousseau. Damit ist auch nicht gemeint, der Mensch solle zu einem »primitiven« Leben zurückkehren: Rousseau hat es ganz explizit abgelehnt, die Menschen »zurück in die Wälder« zu schicken, damit sie dort wieder »mit den Bären leben« – das auszuprobieren, wollte er seinen Gegnern überlassen. Ihm ging es darum, einen Zustand der Gleichheit herzustellen, der für ihn sozusagen eine Erfordernis der Naturgesetze war und von dem nicht einmal ganz klar ist, ob es ihn jemals gegeben hat. Zudem entstehen die ersten Landschaftsgärten in England bereits zu einer Zeit, als Rousseau noch ein Schuljunge ist.

Rousseaus Erbe

Dennoch ist die Entwicklung des Landschaftsparks eng mit Rousseaus Denken verknüpft: In seinem sensationell erfolgreichen Briefroman »Julie oder die Neue Heloise« (1761) beschreibt er ausführlich einen fiktiven Garten, der viele Merkmale des englischen Gartens zeigt und stellenweise eher noch über ihn hinausgeht. Wichtig ist dabei vor allem, dass der Garten, obwohl er aufwändig angelegt und gepflegt ist, »die Hand des Gärtners nicht zeigt«. Er ist eine Ideallandschaft, die quasi »natürlicher als die Natur« ist, wo man zum Beispiel unter Bäumen auf einem Teppich aus feinem Moos dahinschreitet und dabei von einem Baldachin aus eigens in die Äste gepflanzten Ranken und Winden vor der Sonne geschützt wird. Dieser idyllische Garten ist ein Ort, durch den zu spazieren Seelenfrieden bringt und tugendhafte Gedanken ermöglicht.

Rousseaus Roman war die direkte Inspiration für Marquis René Louis de Girardin, der im nordfranzösischen Ermenonville einen viel besuchten und vielfach imitierten Garten schuf, der heute als Rousseau-Garten bekannt ist. Die französischen Parks entwickelten die englischen Gärten weiter. Da die Planung städtischer Parks und Grünanlagen sich aus der Tradition der Schlossgärten heraus entwickelt hat, sind damit letztlich auch öffentliche Parks (wie etwa der Central Park in New York) indirekt von Rousseaus Ideen inspiriert.

Ich habe hier nur eine kleine Facette davon besprechen können. So sind die englischen Parks Mitte des 18. Jahrhunderts auch dadurch geprägt, dass zu diesem Zeitpunkt in Großbritannien neue ästhetische Theorien populär werden, in denen zum Beispiel das Erhabene eine größere Rolle spielt; und zu allen Zeiten gibt es eine enge Verbindung zwischen Landschaftsmalerei und Gartenarchitektur. Parks und Gärten sind somit ein gutes Beispiel dafür, wie Philosophie (oder theoretisches Denken allgemein) sich mit kultureller Praxis verzahnt. Dass bis heute Landschaftsparks klischeehaft als gute Orte zum »Philosophieren« gelten, ist kein Wunder, sondern mehr oder minder Absicht.

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