Warkus' Welt: Was Handy und Bandsäge philosophisch eint
Nehmen wir an, Sie haben einen Termin in einer fremden Stadt. Man hat Ihnen keine Wegbeschreibung gegeben, sondern nur eine Adresse und den Hinweis, dass Ihr Ziel ein ganzes Stück außerhalb des Stadtzentrums liegt. Wie kommen Sie dorthin?
Wenn Sie wie mehr als 80 Prozent der deutschen Bevölkerung ein Smartphone besitzen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Sie die Aufgabe in irgendeiner Form mit dessen Hilfe lösen. Ich würde es auch so tun. Gleichzeitig sind meine Fähigkeiten, mich auf althergebrachte Weise in einer Stadt zu orientieren – mit Stadtplan, anhand von Straßenschildern oder Landmarken – inzwischen recht stark eingerostet. Hätte mein 20 Jahre jüngeres Ich schon ein Smartphone gehabt, wäre ich in dieser Disziplin vielleicht noch mehr aufgeschmissen.
In anderen Bereichen hat sich der Alltag durch Technik ähnlich stark verändert. Wie viele Telefonnummern kennen Sie auswendig? Ich habe noch die Nummern von Freunden aus der Grundschule im Kopf, dafür aber die von absolut niemandem mehr, den ich nach Anschaffung meines ersten Handys kennen gelernt habe.
Man könnte auf die Idee kommen, dass sich die Technik in gewisser Weise zwischen uns und die Welt schiebt. Folgt man den amerikanischen Philosophen Hubert Dreyfus und Sean Kelly (»Alles, was leuchtet«, 2011), dann verliert die Welt dadurch, dass wir unseren Weg mit einem Navigationssystem finden, etwas, was die beiden »Bedeutung« nennen: Wir müssen die Zeichen in unserer Umgebung, denen man entnehmen kann, wo sich etwas befindet, nicht mehr verstehen. Eine extreme Karikatur dieses Gedankens kann man sich in der Folge »Dot and Bubble« der Sciencefiction-Serie »Doctor Who« anschauen: Menschen, die ihre Umgebung so wenig zu deuten wissen, dass sie ohne Navigationssystem nicht einmal mehr von der Bürotür zu ihrem Schreibtisch gelangen. Wenn Dreyfus und Kelly von Bedeutung sprechen, dann schwingt dabei auch die Vorstellung mit, dass das Verständnis solcher Zeichen ein Sinn stiftendes – ein bedeutsames – Element des Lebens sein könnte.
Diese Art der Technikkritik ist populär und verbreitet, insbesondere, wenn es um Smartphones geht. Interessanterweise wurden in der Vergangenheit allerdings schon wesentlich simplere technische Hilfsmittel auf ähnliche Art und Weise kritisiert. Dreyfus und Kelly zitieren in ihrem Buch den englischen Stellmacher und Schriftsteller George Sturt (1863–1927), der die Holzbearbeitung mit Handwerkzeugen der »unbarmherzigen Einfalt« der Bandsäge gegenüberstellt: Wer mit der maschinellen Säge arbeitet, braucht nichts mehr über die Struktur und die Eigenarten des Werkstücks zu wissen, weil sie sich über alle Widerstände hinwegsetzt. Das Holz wird durch die Bandsäge ähnlich bedeutungslos, wie es die Stadt oder die Landschaft durch das Navigationssystem wird.
Wo endet die Kette?
Für mich stellen sich hier vor allem zwei Fragen. Die erste natürlich: Stimmt das überhaupt? Kann die Welt um mich herum nicht auch bedeutungsvoll sein, obwohl ich ihre Bedeutungen nicht benötige, um meinen Weg zu finden? Gibt mir diese Entlastung nicht auch etwas? Ich erinnere mich an eine lange Autofahrt im vergangenen Sommer, bei der mein Navigationssystem mich unerwarteterweise auf wunderschönen Landstraßen durchs Weserbergland schickte. Ich hatte keine Ahnung, wo ich war – und habe dies vielleicht gerade deswegen so genossen, weil ich mir gar keine Gedanken über meine Wegfindung in der unbekannten Gegend machen musste.
Die zweite Frage: Wenn ich akzeptiere, dass es einen Verlust darstellt, mit dem Handy zu navigieren oder mit der Bandsäge zu sägen – wie weit zurück lässt sich diese Kette fortsetzen? Setzt sich nicht jedes Werkzeug, das nicht völlig primitiv ist, dem Vorwurf aus, dass es bestimmte Kenntnisse überflüssig macht und die Welt sozusagen vereinfacht und einebnet?
Kritisches, wenn nicht gar pessimistisches Nachdenken über Technik hat eine große philosophische Tradition, auf die ich hier nur ein Schlaglicht werfe. Lediglich ein schmaler Grat trennt sie dabei von Nostalgie und Abwertung der gesamten technischen Kultur. Aber offensichtlich lohnt es sich, über das Thema nachzudenken: Inwieweit sind wir Menschen durch die spezifische Art und Weise, wie wir mit der Welt interagieren, bestimmt? Und werden wir zu anderen Menschen, wenn sich diese Interaktionsweisen durch neue Technologien ändern?
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