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Warkus‘ Welt: Begriffe mit Familienähnlichkeit

Was haben »Call of Duty« und »Mein linker, linker Platz ist frei« gemeinsam? Nicht viel? Warum bezeichnet man dann beide als Spiele? Ein philosophischer Kniff hilft, das zu klären.
Kind sitzt auf einem Stuhl

Spielen Sie gerne? Oder zumindest ab und zu? Vermutlich ist die Antwort auf diese Frage Ja, wenn man sich zum Beispiel klarmacht, dass jeweils deutlich über 30 Millionen Deutsche wenigstens ab und an Gesellschafts- oder Computerspiele und mehr als 20 Millionen zumindest gelegentlich Lotto spielen. Und mit den über 13 Millionen minderjährigen Kindern spielen vermutlich auch zig Millionen Erwachsene hin und wieder.

Was haben diese ganzen Spiele gemeinsam? Ist es sinnvoll, Call of Duty, die Glücksspirale, Monopoly, Käsekästchen und »Mein linker, linker Platz ist frei« in eine Schublade zu stecken? Philosophisch könnte man auch fragen: Lassen sich all diese Freizeitbeschäftigungen auf einen gemeinsamen, definierten Begriff »Spiel« bringen?

Die traditionelle, so genannte hierarchische oder taxonomische Art des Definierens von Begriffen geht mindestens bis auf Aristoteles zurück. Sie arbeitet mit der Angabe von nächsthöherer Gattung (»genus proximum«) und eigentümlichem Unterschied (spezifischer Differenz, »differentia specifica«). Die nächsthöhere Gattung gibt eine Grundgesamtheit an, die bereits bekannt ist. Der eigentümliche Unterschied ist eine Eigenschaft, die innerhalb der Grundgesamtheit all jene Gegenstände gemeinsam haben, die unter den Begriff fallen (und keine anderen).

Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

So lässt sich »Rechteck« definieren als Viereck (nächsthöhere Gattung), bei dem alle Winkel rechte Winkel sind (eigentümlicher Unterschied). Es ist durchaus möglich, dieselbe Menge von Individuen unter verschiedene Definitionen zu bringen – ein Rechteck könnte man zum Beispiel auch als ein Parallelogramm mit gleich langen Diagonalen definieren.

Etwas, was alle Spiele eint, gibt es nicht

Das Problem damit, eine solche Definition für den Begriff »Spiel« zu finden, ist, dass sich zwar möglicherweise eine nächsthöhere Gattung angeben lässt (etwa »Tätigkeit«), aber keine spezifische Differenz: Es gibt kein Merkmal, das allen Spielen gemeinsam ist. Zwar haben Call of Duty, Monopoly, Käsekästchen und die Glücksspirale beispielsweise gemeinsam, dass man in gewisser Weise gewinnen und verlieren kann. Doch bei »Mein linker, linker Platz ist frei« gibt es keine Gewinner oder Verlierer. Man könnte vermuten, dass so etwas wie Regeln die Gemeinsamkeit sind; viele Kinderspiele (wie einige Rollenspiele oder mit einem Flummi zu spielen) haben allerdings keine Regeln. Nicht alle Spiele brauchen Spielmaterial, und nicht alle brauchen Mitspieler. Es gibt wirklich nichts, was ihnen allen gemeinsam wäre.

Wenn man jedoch von der Philosophie fordert, dass sie unser alltägliches Reden und Handeln sauber fassen soll, dann sollte das auch für den Begriff des Spiels gelten. Ein berühmter Vorschlag dafür kommt von Ludwig Wittgenstein (in seinen »Philosophischen Untersuchungen«, die 1953 postum erschienen). Er argumentiert, dass bei Begriffen wie »Spiel« (oder auch »Sprache«) nicht alle darunterfallenden Beispiele eine gemeinsame Eigenschaft haben, sondern dass jeweils nur Teilmengen gemeinsame Eigenschaften haben und untereinander durch Überschneidung in Verbindung stehen. Eine Metapher, die Wittgenstein dafür nennt, ist die eines Fadens, in dem keine Faser auf ganzer Länge durchläuft, die aber dennoch zusammenhalten, da sie sich überlappen.

Ist man bereit, Begriffe auf Basis von Familienähnlichkeit zu akzeptieren, muss man damit leben, dass diese sich nicht völlig »trennscharf« definieren lassen, sondern stets nur näherungsweise. Man gewinnt damit jedoch die Möglichkeit, philosophisch über komplexe und bedeutsame Phänomene unserer Welt und unseres täglichen Lebens zu reden, die sich auf traditionelle Weise gar nicht fassen lassen. Neben Spiel und Sprache zählen zu den Begriffen, die sich vermutlich am besten über Familienähnlichkeiten beschreiben lassen, beispielsweise Jazz und Design: Es gibt keine Eigenschaft, die alle Jazzmusikstücke – und nur diese – gemeinsam haben, genauso wenig, wie dies bei allen Designobjekten der Fall ist. Doch es lassen sich verschiedene Aspekte finden, die von vielen Exemplaren im jeweiligen Begriffsfeld geteilt werden und die zusammen ein ziemlich genaues »Familienporträt« ergeben.

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