Freistetters Formelwelt: Warum die Richards-Gleichung mehr bringt als eine Wünschelrute
Mathematik ist natürlich überall – aber es ist immer wieder überraschend, wenn man unerwartet auf sie trifft. Kürzlich habe ich für einen anderen Artikel zum Thema "Radiästhesie" recherchiert. So nennt sich die Pseudowissenschaft, die landläufig unter dem Namen Wünschelrutengehen bekannt ist. Ihre Vertreter behaupten unter anderem, dass unterirdische Wasseradern so genannte Erdstrahlen verursachen, die für uns Menschen gesundheitsschädlich sein sollen. Diese Wasseradern wollen sie mit Wünschelruten ausfindig machen.
Die echte Wissenschaft hat bis jetzt noch keinen Hinweis auf die Existenz von Erdstrahlen entdeckt, und auch nicht dafür, dass man mit einer Wünschelrute irgendetwas anderes detektieren kann als die unbewussten Bewegungen der Person, die sie in den Händen hält (als "Carpenter-Effekt" bekannt). Und selbst die Wasseradern existieren nicht in der Form, wie die Rutengeher sich das vorstellen. Von wenigen geologischen Spezialfällen abgesehen fließt das Wasser nicht durch den Boden wie durch unterirdische "Leitungen". Es sickert vielmehr durch ausreichend poröses Gestein, und genau hier bin ich auf überraschend komplexe Mathematik gestoßen:
Das ist die Richards-Gleichung. Eine partielle Differenzialgleichung 2. Ordnung. Sie beschreibt die Sickerströmung einer Flüssigkeit durch ein poröses Medium: Öl, das durch Sand sickert zum Beispiel, oder eben auch Grundwasser in durchlässigem Gestein. θ ist in diesem Fall dann der Wassergehalt (der Boden muss ja nicht völlig gesättigt sein). Mit k wird die hydraulische Leitfähigkeit beschrieben, diese Zahl hängt also von der Porosität des Materials ab. z ist die Tiefe und h das so genannte "Matrixpotenzial", das der Menge an Arbeit entspricht, die nötig ist, um dem Boden unter bestimmten äußeren Bedingungen eine bestimmte Menge an Wasser zu entziehen. Es beschreibt somit im Wesentlichen die Adhäsions- und Kapillarkräfte.
Die ∂ (partielle Ableitung) zeigen an, dass man an der Veränderungsrate dieser Größen interessiert ist. Auf der rechten Seite der Gleichung betrachtet man die Variation in Bezug auf z – die Tiefe unter der Oberfläche –, und auf der linken Seite erhält man als Resultat die Veränderung des Wassergehalts im Lauf der Zeit t.
Obwohl es eigentlich "nur" um sickerndes Wasser geht, ist das ziemlich heftige Mathematik. Man kann diese Gleichung auch nicht direkt lösen, also keine Formel finden, die einem in Abhängigkeit aller Variablen für jeden Zeitpunkt die Sickerströmung angibt. Man kann die Gleichung nur mit aufwändigen numerischen Verfahren näherungsweise lösen. Und die Sache wird noch komplexer, wenn man berücksichtigt, dass sich Wasser ja in drei Dimensionen ausbreiten kann, man folglich – vereinfacht gesagt – für jede Richtung eine eigene Gleichung braucht und alle drei miteinander kombinieren muss.
Ich beneide die Hydrogeologen nicht um diese schwierige Arbeit. Aber es ist gut, dass sie sie tun, denn dieses Thema hat zahlreiche wichtige Anwendungsfälle. Wie breiten sich zum Beispiel Verunreinigungen von Mülldeponien im Boden aus, und wie interagieren sie mit dem Grundwasser? Wie stark wird Süßwasser in der Nähe von Küsten durch Salzwasser aus den Meeren kontaminiert? Wie hängt die Ausbreitung von Düngemittelrückständen von der Art und Beschaffenheit der Böden ab, und wohin fließt der Dreck am Ende?
Das alles sind äußerst relevante Fragen, und die komplizierte Mathematik ist dringend notwendig, um Antworten zu finden. Da können die Rutengeher noch so optimistisch mit einem verbogenen Stück Draht oder einem Stück Holz durch die Gegend wandern und "Wasseradern" verfolgen: Ohne die Beschäftigung mit komplexen Differenzialgleichungen werden sie kaum etwas Brauchbares über das Grundwasser herausfinden!
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