Warkus' Welt: Warum Klimaveränderungen und Wetterereignisse keine Billardkugeln sind
Die Hochwasserereignisse Mitte Juli 2021 waren, das ist inzwischen leider klar, die schwerste Naturkatastrophe in Deutschland seit der Sturmflut von 1962. Aus verschiedenen Gründen wurde fast vom ersten Augenblick an diskutiert, welche Art von kausaler Beziehung es zwischen der globalen Klimaerwärmung und der Schwere der Katastrophe gab.
Ob »der Klimawandel schuld war«, soll nicht das Thema dieser Kolumne sein, denn das ist keine philosophische Frage. Die Art der Verursachung, die dabei diskutiert wird, ist philosophisch jedoch durchaus interessant.
Traditionell gibt es in der Philosophie vielschichtige Begriffe von Kausalität, mit dem Aufschwung der Naturwissenschaften hat sich aber ein eindimensionaler Blick auf Ursache und Wirkung durchgesetzt. Sein Paradigma, das Beispiel, das in keiner Einführung ins Thema fehlen darf, ist in der Regel der Stoß von zwei Billardkugeln: Zuerst bewegt sich die eine, dann bewegt sich die andere. Ohne die Bewegung der ersten Kugel wäre die zweite in Ruhe geblieben. Die erste Bewegung hat die zweite verursacht.
Es ist klar, dass eine Klimaveränderung ein Wetterereignis nicht so verursacht, wie eine Billardkugel eine andere stößt. Und genauso wenig haben bestimmte überschaubare menschliche Handlungen die Klimaveränderung verursacht. Wenn das so wäre, dann gäbe es eine klare Kausalkette: Person A verursacht Klimaveränderung B; Klimaveränderung B verursacht Wetterereignis C; Wetterereignis C verursacht Tote D.
In der Regel geht man in Naturwissenschaft und Philosophie davon aus, dass Verursachung in solchen Kausalketten transitiv ist (das heißt: Wenn E die Ursache von F ist und F die Ursache von G, dann ist E auch die Ursache von G). Das bedeutet: In der oben beschriebenen Kette wäre das Handeln von Person A die Ursache der Toten D und eventuell ein Fall für die Staatsanwaltschaft.
Aber, wie inzwischen auch in vielen Medienbeiträgen zur Diskussion festgehalten wurde: Es gab natürlich keinen direkten Zusammenhang dieser Art. Ein häufig bemühter Vergleich, der in der Presse in der Regel dem Klimaforscher Stefan Rahmstorf zugeschrieben wird, lautet: Man könne ja auch nicht im Einzelfall sagen, ob wirklich das Rauchen einen an Lungenkrebs verstorbenen Raucher umgebracht habe. Man kann nur sagen, dass es, hätte er nicht geraucht, sehr viel unwahrscheinlicher gewesen wäre, dass er an Lungenkrebs verstorben wäre.
Was wäre wenn?
Wie Sie im Lauf dieser Kolumne sicher bemerkt haben, erfordert Reden über Kausalität nahezu immer das Reden über Kontrafaktisches – darüber, was hätte sein können. Hätte es auch ein katastrophales Hochwasser an der Ahr gegeben, wenn Deutschland bereits 2002 den Ausstieg aus dem Kohlestrom beschlossen hätte? Vielleicht. Wer kann es wissen? In jedem Fall geht es, wenn wir seriös über den Zusammenhang zwischen Klima und Wetterereignissen reden, immer nur um Wahrscheinlichkeiten und nie um Zwangsläufigkeiten.
Dennoch handelt es sich, wenn wir über wirkliche, praktische Vorgänge in der Welt um uns herum sprechen, selbst bei den zwangsläufigsten Verursachungen immer nur um (sehr hohe) Wahrscheinlichkeiten. Wenn ich den Lichtschalter im Badezimmer drücke, geht das Licht an; allerdings ist es mir in den letzten vier Jahren schon zweimal passiert, dass es eben nicht anging, weil die Birne, die ich eingeschraubt hatte, sich in die ewigen Elektronenjagdgründe verabschiedet hatte.
Selbst bei den zwangsläufigsten Verursachungen handelt es sich immer nur um Wahrscheinlichkeiten
Daher ist es auch kein Wunder, dass es probabilistische Begriffe von Verursachung gibt. Ein berühmter ist zum Beispiel der Machtbegriff von Max Weber: Macht ist die Chance, eine andere Person zu zwingen, gegen ihren Willen zu handeln. Wenn man Regierungen für stochastische Phänomene wie ein zunehmendes Risiko von Kriminalität verantwortlich macht, warum dann nicht auch für Klimaphänomene?
Ich glaube, es ist nun relativ klar, dass es völlig ungerechtfertigt wäre, zu fordern, irgendwelche einzelnen Politiker wegen der Fluttoten vor Gericht zu stellen. Sofern es jedoch tatsächlich eine Verbindung zwischen Klima und Wetterereignissen gibt (und der Konsens zeigt in diese Richtung, auch wenn das Phänomen ungeheuer komplex ist), dann ist es selbstverständlich geboten, die an den Vorgängen in solchen Ketten von sich beeinflussenden Wahrscheinlichkeiten Beteiligten nicht aus der Verantwortung zu entlassen. Wer nun aber wie viel Verantwortung wofür trägt und was daraus folgen soll, ist nicht tagesaktuell und einfach zu entscheiden, und schon gar nicht in griffigen Texten, die Klicks produzieren.
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