Freistetters Formelwelt: Warum man Schwarze Löcher nie auf Bildern sieht
Die Astronomie ist ohne jeden Zweifel eine zutiefst visuelle Wissenschaft. Kein Wunder: Im Gegensatz zu anderen Disziplinen können die Forschungsobjekte nicht direkt untersucht werden. Planeten, Sterne und Galaxien sind im Allgemeinen viel zu weit entfernt, als dass man mehr machen könnte als nur schauen.
Doch die Astronomie ist natürlich schon längst über das simple Schauen hinaus und sogar in der Lage, das eigentlich Unsichtbare sichtbar zu machen. Das zeigt sich besonders gut an den »Bildern«, die in der Vergangenheit von Schwarzen Löchern gemacht wurden. Sie sind eindrucksvoll; um zu verstehen, was wirklich auf ihnen abgebildet ist, braucht man aber ein wenig Mathematik, unter anderem diese Formel:
Sieht man sich die Aufnahmen an, die 2019 vom zentralen Schwarzen Loch der Galaxie M87 oder im Frühjahr 2022 vom Schwarzen Loch im Zentrum unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße, gemacht wurden, scheint die Sache klar: Eingebettet in orange-rotes Leuchten ist ein dunkler, schwarzer Bereich zu erkennen, aus dem keinerlei Licht kommt. Das muss das Schwarze Loch sein, oder? Richtig ist, dass sich das Schwarze Loch in diesem dunklen Bereich befindet. Es ist allerdings kleiner als dieser Bereich, denn in der unmittelbaren Umgebung eines Schwarzen Lochs passieren seltsame Dinge.
Wo Licht um ein Schwarzes Loch kreist
Das, was wir von außen prinzipiell als Schwarzes Loch wahrnehmen können, wird durch den Ereignishorizont begrenzt, jene Grenze, nach deren Überschreiten die Anziehungskraft so stark wird, dass man sich nur noch mit Überlichtgeschwindigkeit entfernen könnte. Die kompakte Masse eines Schwarzen Lochs verursacht aber auch eine extreme Raumkrümmung. Sie sorgt nicht nur dafür, dass Licht bei seiner Bewegung abgelenkt wird, sondern kann es auch auf regelrechte Umlaufbahnen um das Schwarze Loch zwingen. Das Licht bewegt sich dann um das Schwarze Loch herum, im Prinzip beliebig lange (auch wenn es dort keine echten stabilen Umlaufbahnen geben kann).
Die Formel oben gibt den Radius der Photonensphäre an, also genau den Bereich, in dem sich Lichtteilchen um das Schwarze Loch herum bewegen können. Die Ausdehnung der Photonensphäre hängt dabei von der Masse M des Lochs ab und dem Kerr-Parameter a, der vereinfacht gesagt die Rotation des Schwarzen Lochs beschreibt und Werte zwischen +1 und –1 annehmen kann. Für a = 0 erhält man den Fall der klassischen Schwarzschild-Lösung, die ein nicht rotierendes und nicht geladenes Schwarzes Loch beschreibt (und muss noch berücksichtigen, dass in der Formel die Werte der Gravitationskonstante und der Lichtgeschwindigkeit gleich 1 gesetzt worden sind, was in der theoretischen Physik durchaus üblich ist). Der Radius der Photonensphäre beträgt in diesem Fall das 1,5-Fache der Ausdehnung des Ereignishorizonts.
Befände man sich exakt auf der Photonensphäre und würde »hinunter« auf das Schwarze Loch blicken, dann könnte einen kein Licht mehr von dort erreichen, da es von der Gravitationskraft um das Loch herum gebogen wird. Der dunkle Bereich, der ein Schwarzes Loch umgibt, ist also größer als der eigentliche Ereignishorizont, und deswegen ist der dunkle Fleck auf den Bildern der Schwarzen Löcher auch nicht identisch mit dem Schwarzen Loch.
Abgesehen davon ist das Wort »Bild« hier ohnehin ein wenig fehl am Platz. Das, was dort für unsere Augen sichtbar dargestellt ist, sind die Intensitäten von Radiostrahlung, die unterschiedlichste Teleskope auf der ganzen Welt aufgefangen haben. Erst am Computer wurden all diese Daten zusammengeführt, um daraus zu berechnen, wie die Struktur aussehen würde, die genau diese Strahlungsintensitäten erzeugt.
Die modernen Augen der Astronomie sind also viel mächtiger als die zwei, mit denen uns die Natur ausgestattet hat. Das mathematische Auge unseres Geistes ist zu weitaus besseren Beobachtungen in der Lage.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.
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