Hirschhausens Hirnschmalz: Wie genial ist der Wahn?
Wir lieben Genies. Es ist so herrlich entlastend, wenn man selbst keines ist! Gerade weil kein Goethe, Schiller oder Rilke in mir steckt, muss ich mir mit der Wortwahl nicht so viel Mühe geben und darf auch mal SMS mit Emoticons verschicken. Wir ergötzen uns, wenn wir die Werke von Genies nicht verstehen, an unnützem Wissen wie: Einstein wurde vom Militärdienst befreit wegen seiner Schweißfüße. Das macht uns Fußvolk die Relativitätstheorie zwar auch nicht klarer. Aber immerhin war ihr Erfinder ein Mensch und hatte sein Päckchen zu tragen – in Sandalen.
Wie wird man ein Genie? Man muss dazu geboren sein, sagen die einen. Stimmt. Wenn man nicht geboren wurde, sieht es schlecht aus mit dem Ruhm. Eine andere Voraussetzung für luftige Geisteshöhen sei die Nähe zum Wahn, zur seelischen Labilität, zum Ständig-am-Abgrund-Stehen. Wen die Muse küsst, der ist auch immer ein bisschen verrückt. Am meisten die Musiker. Und ganz speziell Robert Schumann. Über dessen Leben und Diagnosen spekulierten Geisteswissenschaftler ebenso wie Fachärzte für Geschlechtskrankheiten. Was hatte er bloß? Und was wäre er geworden, wenn er nichts gehabt hätte?
Gerade weil Schumann der Komponist der Romantik ist, möchte ich an seinem Beispiel der Romantisierung von Depression, Wahn und neurologisch wirksamen Infektionskrankheiten widersprechen. So wenig, wie psychisch Kranke eher zu Gewalt neigen (obwohl jede Gewalttat erstmal mit »psychisch krank« in Verbindung gebracht wird), so wenig sind Depressive oder Bipolare besonders kreativ. Wer zur Manie neigt, produziert im Überschwang zwar viel, aber die Qualität der Einfälle leidet unter der mangelnden Konzentration doch sehr. Ja, Schumann schuf großartige Werke in guten Phasen – aber nicht weil, sondern obwohl er zur Depression neigte. 1833 geriet Schumann in eine Krise mit Wahn- und Suizidgedanken, die er rückblickend als »fürchterlichste Melancholie« beschrieb. Ein Arzt prophezeite, die Krise lasse sich durch Heirat überwinden. 1834 verlobte sich Schumann mit einer Frau, von der er dachte, sie werde ihn »retten«. Tat sie aber nicht. In der Ehe sind Menschen nur glücklich, wenn sie es auch ohne Ehe wären!
Zur Schwermut kam erschwerend eine Infektion mit Treponema pallidum hinzu, einem fiesen Bakterium, das man viel leichter überträgt als loswird. Es nistet sich im Nervensystem ein und kann noch lange nach der kurzen Freude am Sex enormes Leid verursachen.
Zu Schumanns Zeit war die Syphilis weit verbreitet, aber in Unkenntnis der wahren Ursache bestand die Therapie aus Wechselbädern, Einläufen und Tinkturen. Und nicht die blaue Blume der Romantik sollte rettende Kräfte entfalten, sondern erst die Entdeckung des Penizillins aus einem bläulichen Schimmelpilz 1928. Schumann selbst vermutete, dass das Komponieren bei ihm therapeutisch gewirkt habe. Manchmal stimmt das. Oft auch nicht. Ich wünsche jedem einen Draht zur Musik, ohne Begleiterkrankungen. Wie schön, dass wir Schumann hören können, ohne in seiner Haut stecken zu müssen. Bei aller Romantik sind mir die Fortschritte in der Behandlung seelischer Störungen doch sehr lieb – nur die Musik von damals gefällt mir besser.
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