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Freistetters Formelwelt: Warum die Erde grüner wird

Dieser Trend klingt erst mal nach einer guten Nachricht. Aber bei näherer Betrachtung stellt sich das als zwiespältiges Phänomen dar.
Grüner Artenreichtum
Mehr Grünfläche ist ein gutes Zeichen für den Planeten – oder?
Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Unsere Erde wird oft auch »der Blaue Planet« genannt. Betrachtet man sie aus dem Weltall, dann fällt tatsächlich die blaue Farbe der Ozeane ins Auge. Immerhin sind gut zwei Drittel der Erdoberfläche von Wasser bedeck – es sollte daher nicht überraschen, wenn wir auf einem blauen Planet leben. Doch wenn wir uns auf die Landoberfläche konzentrieren, dann kommen zwei weitere Farben ins Spiel: Grün und Braun.

Die Vegetation, die wir fast überall auf der Erde finden, steuert die Grüntöne zum Gesamtbild bei. Wüsten beziehungsweise weniger dicht bewachsene Regionen sind für das Braun verantwortlich. Echte Wissenschaft ist allerdings mehr als nur Beobachtung. Wenn wir wissen wollen, wie grün die Erde tatsächlich ist, brauchen wir eine Formel, mit der sich das quantifizieren lässt. Dazu können wir mit dieser einfachen Gleichung beginnen:

\[ \text{LAI} = \frac{A_L}{A_G}\]

»LAI« steht für den »leaf area index« oder auf Deutsch Blattflächenindex. Seine Definition ist einfach: Man berechnet die Fläche der Blätter einer Pflanze pro Fläche des Bodens. Liegt der LAI irgendwo zwischen 0 und 1, dann folgt daraus, dass die Fläche der Blätter nicht ausreicht, um eine Einheitsbodenfläche zu bedecken. Bei einer Buche beträgt der LAI zum Beispiel ungefähr 5. Das bedeutet, dass ein Quadratmeter Boden von insgesamt 5 Quadratmetern an Blättern (in verschiedenen Höhen) überdeckt wird. Noch größer ist der Wert bei Bäumen im tropischen Regenwald, bei Nutzpflanzen wie Mais ist der LAI kleiner als 1.

Solche Zahlen sind interessant, wenn man wissen will, wie viel Fotosynthese eine Pflanze durchführen oder wie viel Regen den Boden erreichen kann. Der LAI lässt sich aber auch global bestimmen, zum Beispiel durch Satellitenmessungen. Da Pflanzen für die Fotosynthese kein Infrarotlicht verwenden, wird es reflektiert; so kann man mit den entsprechenden Instrumenten und mathematischen Methoden aus der Menge der von der Erdoberfläche reflektierten Infrarotstrahlung die Bedeckung durch Blätter berechnen.

Dabei hat sich in den letzten Jahrzehnten ein Trend zum Grün gezeigt. Messungen mit den NASA-Satelliten Terra und Aqua zeigen zwischen den Jahren 2000 und 2018, dass der LAI in vielen Regionen (vor allem der Nordhalbkugel) größer wird und nur in wenigen Bereichen der Tropen sinkt.

Schuld ist der Klimawandel

Verantwortlich dafür ist einerseits die Erwärmung der Erde durch den menschengemachten Klimawandel. In den nördlichen Regionen verlängert sich dadurch der Wachstumszyklus und es können mehr Pflanzen (und Blätter) gebildet werden. Verursacht wird die Erderwärmung bekanntlich vor allem durch das Treibhausgas CO2, das die Pflanzen wiederum für ihr Wachstum brauchen. Auf den ersten Blick klingt das alles sehr optimistisch: Mehr CO2 bringt mehr Wärme und beides zusammen mehr Pflanzenwachstum, wodurch wieder mehr CO2 aus der Atmosphäre gebunden wird.

So einfach ist die Sache aber leider dann doch nicht. Neuere Messungen haben gezeigt, dass sich der grüne Trend verlangsamt. Vor allem in den Tropen, wo der LAI jetzt schon zurückgeht. Dort wird die Erde brauner, denn Wärme und CO2 sind nicht die einzigen Faktoren, die das Pflanzenwachstum bestimmen. Es braucht auch die richtige Menge an Wasser beziehungsweise die Abwesenheit von Dürren oder Überschwemmungen. Solche Extremwetterereignisse werden jedoch durch die Klimakrise vor allem in den Tropen immer häufiger. Die großräumigen Wettermuster ändern sich, und das hat Auswirkungen auf das Pflanzenwachstum. Von dem CO2, das wir in Zukunft vermutlich und leider immer noch in viel zu großen Mengen in die Atmosphäre blasen, wird dann weniger von Pflanzen gebunden werden können. Das treibt die Erwärmung zusätzlich an und macht das extreme Wetter noch extremer. Von allein wird sich dieses Problem nicht lösen.

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