Freistetters Formelwelt: Was Rosen mit Mathematik und Astronomie zu tun haben

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Seit ich in einer Wohnung mit einem kleinen Garten wohne, besitze ich auch einige Rosensträucher. Sie waren schon dort, als ich eingezogen bin, und auch wenn ich durchaus Spaß an Gartenarbeit habe, stellt mich der jährliche Rosenschnitt immer wieder vor Herausforderungen. Ich kann mir nie merken, wann genau ich die Rosen zurückschneiden muss, welche Teile ich abschneiden soll und welche nicht. Netterweise blühen die Blumen trotzdem jedes Jahr wieder. Viel weniger komplex, zumindest aus meiner Sicht, ist dagegen die Mathematik der Rosenkurven:
Diese geometrische Kurve wird auch »Rosette« genannt und kann durch eine simple Formel in Polarkoordinaten dargestellt werden. In der einfachsten Form ist n eine natürliche Zahl und a ein positiver Parameter, der die Größe der entstehenden Figur bestimmt. Jede (mathematische) Rose hat eine durch die Zahl n vorgegebene Anzahl an »Blüten«. Für n = 1 erhält man natürlich nur einen Kreis, doch schon bei n = 2 entsteht ein so genanntes Quadrifolium, also eine vierblättrige Rosette. Bei n = 3 gibt es drei Blütenblätter, für n = 4 erhält man eine achtblättrige Rosette, und so weiter.
Wenn n ungerade ist, entsteht eine Rose mit n Blättern, bei geradem n sind es 2n Blätter. Verwendet man den Sinus anstatt des Kosinus, dann wird die Figur einfach nur um 90/n Grad gedreht. Man kann für n auch rationale und sogar irrationale Zahlen einsetzen, im letzteren Fall erhält man eine Kurve, die sich nie schließt, aber unendlich viele Blätter bildet.
Vom Spirografen zum »rose engine«
Wer wie ich in den 1980er Jahren aufgewachsen ist, hat vielleicht einen »Spirografen« besessen. Das ist ein Spielzeug, bei dem man unterschiedlich große Plastikzahnräder in einen passenden Zahnkranz legt. In den Zahnrädern befinden sich Löcher an verschiedenen Positionen, durch die man einen Stift stecken kann. Bewegt man dann mit dem Stift das Zahnrad, lassen sich jede Menge beeindruckende geometrische Kurven zeichnen, unter anderem auch die verschiedenen Rosetten. Mein Spirograf hat nur kurz funktioniert, dann sind nach und nach die einzelnen Zahnräder verloren gegangen. Wenn man die Technik aber professionell nutzt, lassen sich damit erstaunliche Kunstwerke schaffen. Ähnliche Muster, wie sie ein Spirograf erzeugt, konnte man vor allem früher auf vielen Geldscheinen sehen. Dort waren so genannte Guilloche-Muster lange Zeit ein wichtiges Sicherheitsmerkmal. Die Maschine, die sie erzeugt, heißt (auf Englisch) »rose engine«.
Rosetten-Kurven können aber auch ganz ohne Spirograf und »rose engines« entstehen. Wenn man die Bahnen der Himmelskörper beobachtet, dann gilt zwar in erster Näherung immer noch das, was Johannes Kepler im 17. Jahrhundert als Erster mathematisch erklärt hat: Planeten bewegen sich auf elliptischen Bahnen um die Sonne. Allerdings verändern sich die Bahnellipsen im Lauf der Zeit. Sie wackeln im Raum hin und her, werden größer und kleiner, mehr oder weniger elliptisch. Grund dafür sind einerseits die gravitativen Störungen der anderen Himmelskörper. Andererseits wissen wir, dass Albert Einsteins allgemeine Relativitätstheorie eine viel genauere Beschreibung der Gravitation darstellt. Sie sagt für die Bahnellipsen von Himmelskörpern eine »Periheldrehung« voraus. Das bedeutet, dass der sonnennächste Punkt der Umlaufbahn nicht fix bleibt, sondern sich um die Sonne herum bewegt. Oder anders gesagt: Der Planet zeichnet im Lauf der Zeit eine Rosette um die Sonne herum. Wir können das in unserem Sonnensystem beim sonnennahen Merkur am besten beobachten, doch auch weit entfernt, beim Stern S2, der sich um das supermassereiche Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße bewegt. Wie der Stift in einem Spirografen malt er eine unsichtbare Rosette ins All, die mindestens so schön ist wie jede blühende Rose.
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