Freistetters Formelwelt: Wie heiß kann es höchstens werden?
Wasser kocht bei 100 Grad Celsius. Schmelzen tut es schon viel früher, nämlich bei 0 Grad; ab da wird das feste Eis zu einer Flüssigkeit. Metalle muss man ein wenig mehr erhitzen, wenn man sie zum Schmelzen bringen will.
Mit einer Kerzenflamme, die immerhin mehr als 1000 Grad heiß werden kann, lässt sich Blei zum Beispiel leicht verflüssigen. Dafür genügen schon 327 Grad, wie man sich an Silvester überzeugen konnte, bevor das Bleischmelzen verboten wurde. Eisen lässt sich mit einer Kerzenflamme dagegen nur schwer schmelzen – und will man etwa Wolfram verflüssigen, braucht man eine Temperatur von über 3400 Grad. Bei all diesen Vorgängen ändert das Material aber nur seinen Aggregatzustand: Das flüssige Blei ist immer noch Blei; die Atome, aus denen es besteht, haben bloß ihre Bindung untereinander verändert und nicht ihre Struktur.
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Um das zu ändern, braucht es sehr viel höhere Temperaturen und damit mehr Energie, die sich rein chemisch nicht aufbringen lässt. Wenn Atomkerne jedoch mit ausreichend hoher Geschwindigkeit und unter den richtigen Bedingungen zusammenstoßen, können sie verschmelzen oder auseinanderbrechen. Dann verlieren sie ihre ursprünglichen chemischen Eigenschaften und bilden neue Elemente.
Die Grenze des Machbaren ist damit aber noch nicht erreicht. Atomkerne bestehen aus Protonen und Neutronen – durch Fusion oder Spaltung verändert sich lediglich deren Anzahl im Kern. Erst wenn die Temperatur erreicht wird, die durch diese Formel beschrieben wird, passiert etwas Neues:
Die nach dem deutschen Physiker Rolf Hagedorn benannte Temperatur kann man, etwas vereinfacht, als »Schmelzpunkt der Materie« bezeichnen. Dabei handelt sich eben um den Schmelzpunkt aller Materie: Es ist die Temperatur, bei der Neutronen und Protonen »schmelzen«. Die Hagedorn-Temperatur (die sich durch den Kehrwert der Reichweite der starken Kernkraft rh nähern lässt) liegt bei zirka 1,7 Billionen Kelvin.
Ein Löffelchen Quark-Suppe
Wenn sie erreicht wird, werden Protonen und Neutronen natürlich nicht flüssig. Die Bausteine des Atomkerns bestehen selbst aus Quarks, die nach heutigem Kenntnisstand Elementarteilchen sind. Die starke Kernkraft bindet Quarks aneinander, wodurch sie unter normalen Bedingungen nicht als einzelne, freie Teilchen existieren können – es sei denn, die Hagedorn-Temperatur wird überschritten.
Dann lösen sich Protonen und Neutronen auf, und die Quarks existieren zusammen mit den Gluonen – den Teilchen, die die starke Kernkraft vermitteln – in einem Materiezustand, der Quark-Gluon-Plasma genannt wird. Man geht davon aus, dass das Universum kurz nach dem Urknall von so einer »Quark-Suppe« (wie der Zustand in der Wissenschaft oft scherzhaft genannt wird) erfüllt war. Erst als es sich ein paar Sekundenbruchteile später ein wenig abgekühlt hatte, konnten sich die Quarks demnach zu Protonen und Neutronen verbinden.
Um so einen Zustand künstlich zu erzeugen, muss man in Teilchenbeschleunigern schwere Atomkerne mit fast Lichtgeschwindigkeit aufeinanderschleudern. Für einen extrem kurzen Zeitraum ist dann so viel Energie vorhanden, dass sich ein Quark-Gluon-Plasma bildet.
Die Hagedorn-Temperatur ist übrigens nicht die höchstmögliche Temperatur. Selbst ein Quark-Gluon-Plasma lässt sich noch weiter aufheizen. Doch hier verlassen wir langsam den Bereich, der mit dem aktuellen Wissensstand beschreibbar ist. Weder unsere Physik noch unsere Mathematik genügen, um solche extremen Zustände korrekt zu beschreiben. Natürlich wird hier weiter geforscht, und irgendwann wissen wir hoffentlich, wie heiß es wirklich werden kann. Und dann werden wir auch verstehen, wie das Universum angefangen hat.
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