Sex matters: Gaffa Tape für Beziehungen
Kürzlich bin ich durch eine Einkaufsstraße gelaufen. Nur ein paar hundert Meter. Aber ich habe mindestens ein Dutzend rosarote Aufforderungen gesehen, am Valentinstag meine Beziehung zu feiern. Der Juwelier will, dass ich meiner Partnerin ein schönes Schmuckstück kaufe. Auch der Kaffeeröster schlägt vor, am 14. Februar der Liebe zu gedenken. Selbst der Discounter wirbt mit romantischen Geschenken. Da habe ich mich gefragt: Wie wäre es, wenn wir unsere Beziehungen ganz unabhängig vom Valentinstag feiern?
Beziehungen sind etwas Großes. Menschen gehen eine Verbindung ein. Sie sind sich nah, erleben Sexualität und Liebe. Definitiv ein Grund zum Feiern. In jeder Beziehung gibt es unglaublich viele Momente, in denen wir schöne Dinge erleben. Doch werden wir diesen Momenten gerecht, wenn wir uns am Valentinstag etwas schenken? Wenn wir versuchen, etwas Bedeutungsvolles in einen Tag zu pressen, der nichts, aber auch gar nichts mit uns als Paar zu tun hat?
Wenn ich Klienten frage, welche besonderen Erinnerungen sie als Paar haben, erzählen sie interessanterweise meist von den kleinen Dingen. Von einem Streit, den sie beilegen konnten, weil sie einander zugehört haben. Vom Urlaub, in dem einer krank wurde und der andere jeden Tag Essen aufs Hotelzimmer brachte. Von der Autopanne und dem daraus resultierenden Abschlepperlebnis. Manche Paare sprechen in meiner Praxis zum ersten Mal über diese Momente. Sie äußern Wertschätzung füreinander und sind berührt, weil sie plötzlich merken, wie aufmerksam der Mensch an ihrer Seite sie wahrnimmt. Allein durch das Gespräch entsteht Intimität. Wenn ich frage, woran das liegt, sagen die Menschen: »weil ich gesehen werde«.
Es ist ein Grund zum Feiern, wenn der Partner etwas für uns getan hat. Der erste Schritt dazu ist, das im Alltag zu benennen und wertzuschätzen: »Nett von dir, dass du das Frühstück gemacht hast, danke!« Wertschätzung beginnt mit der Aufmerksamkeit für die kleinen Dinge. Es ist diese Form der Aufmerksamkeit, die uns zusammenhält. Sie ist das Gaffa Tape der Beziehungen. Sie schafft emotionale Verbundenheit, Nähe und Intimität.
- Die Kolumne »Sex matters«
Was ist guter Sex? Was hält mich davon ab? Und wie schaffe ich es, meine Vorstellungen umzusetzen? Diesen und weiteren Fragen widmet sich der Sexual- und Paartherapeut Carsten Müller in dieser Kolumne (hier in Bild und Ton). Seit 2013 berät er in seiner Duisburger Praxis zu Fragen rund um Sexualität und Partnerschaft. Auch Sie möchten ein Thema für die Kolumne vorschlagen? Dann schreiben Sie eine E-Mail an: Liebe@spektrum.de
- Wer kann weiterhelfen?
Die Kolumne soll dazu anregen, über eigene Bedürfnisse und Grenzen nachzudenken. Sie ersetzt weder eine ärztliche Beratung noch das persönliche Gespräch mit einem Therapeuten. Wenn man allein nicht weiterweiß, kann es helfen, mit jemandem zu sprechen, der sich auskennt. Im deutschsprachigen Raum gibt es zahlreiche Therapie- und Beratungsangebote – hier eine Auswahl:
Eine Übersicht über Beratungsstellen geben die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und die Organisation pro familia. Mit Sextra bieten Teams von pro familia Beratung per Onlineformular und Mail. Therapeutenlisten – geordnet nach Name oder Postleitzahl – führen etwa die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung, die Deutsche Gesellschaft für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft sowie das Institut für Sexualtherapie. Jugendliche finden Hilfe auf sexundso.de.
Die Wissenschaft geht sogar noch einen Schritt weiter. Mehr Intimität erleichtert die sexuelle Kommunikation. Das führt zu einem erfüllten Sexualleben, und das führt wiederum zu mehr Intimität. Hier entstehe eine positive Rückkopplungsschleife, schreiben die Autoren einer Metaanalyse von 48 Studien zur sexuellen Kommunikation von Paaren.
Beziehungen sind so einzigartig, dass jede ihren eigenen Feiertag verdient. Jedes Paar hat vieles gemeinsam gestaltet, erlebt und bewältigt, hat seine kleinen und großen Heldenreisen. Vielleicht ist es die erste Woche des Verliebtseins, an die wir immer wieder gerne zurückdenken. Vielleicht gab es etwas Trauriges, Herausforderndes, und wir haben uns gegenseitig unterstützt. So etwas vergisst man nie. Das verbindet. Das sind die Momente, die wir feiern sollten. Das ist gelebte Beziehungsgeschichte, an die wir uns auch jenseits von kapitalistischen Liebesfesten erinnern dürfen.
Feiern, was uns verbindet
Denn warum sollten wir unsere Beziehungsmomente feiern, wenn es der Kalender vorschreibt? Welchen Mehrwert haben zum Beispiel Beziehungsjubiläen? Für mich sehr wenig. Wenn wir nur feiern, weil es ein Jahrestag ist, wird es eine blöde Party. Wäre es nicht viel schöner, wenn wir uns als Paar feiern würden? Lass uns auf das schauen, was uns ganz stark verbindet, und daraus Feste machen. Die können wir dann feiern, wenn wir Lust dazu haben. Der Mehrwert, den wir dadurch erfahren, heißt Wertschätzung. Wir sind es uns wert, uns an genau diese einzigartigen Momente der Beziehung zu erinnern. Wir sind es uns wert, uns öfter zu feiern als nur am Hochzeitstag oder am Valentinstag.
Wenn wir dem Menschen an unserer Seite bei einer individuellen Feier ein Geschenk machen wollen, dann muss das übrigens nichts Teures sein. Menschen neigen dazu, viel Geld auszugeben, wenn sie etwas Besonderes suchen. Besonders wird es jedoch nicht, weil es viel kostet, sondern dann, wenn es mit Bedacht ausgewählt wurde. Es gibt diese Geschenke, die dem anderen sagen: Ich sehe dich, in deiner ganz eigenen Art. Ich weiß, dass du diese vegane Meersalz-Schokolade besonders magst, und weil ich heute beim Einkaufen an dich gedacht habe, bringe ich sie dir mit. Die Tafel Schokolade hat vielleicht nur 2,99 Euro gekostet, aber sie zeigt dir, dass du auch dann in meinem Kopf bist, wenn wir gerade nicht zusammen sind.
Mein Vorschlag: Lasst uns einen eigenen Kalender machen. Darin spielen nur unsere individuellen Paarmomente eine Rolle. Suchen wir in unseren Erinnerungen nach den Erlebnissen, die uns wirklich etwas bedeuten. Damit meine ich nicht, dass es romantische Höhepunkte sein müssen. Schauen wir einfach, was uns verbindet! Gemeinsam krank zu sein, kann sehr verbindend sein, wenn man sich umeinander kümmert. Das gemeinsame Aufräumen nach einer richtig schönen Party, weil man sich gegenseitig unterstützt. Auch der blöde Streit und die Diskussion danach, weil man dadurch noch enger zusammengerückt ist. Solche Erlebnisse sind die individuellen Momente, die es zu feiern lohnt. Heute. Morgen. Oder einfach dann, wenn das Gefühl sagt: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt.
Und jetzt sind Sie dran: Feierwürdige Momente
Blicken Sie auf das vergangene Beziehungsjahr. Finden Sie vier feierwürdige Momente und schreiben Sie sie auf. Finden Sie einen für den Frühling, einen für den Sommer, einen für den Herbst und einen für den Winter. Und dann suchen Sie sich aus, wann Sie Ihre Beziehung feiern möchten.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben