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Hirschhausens Hirnschmalz: Was redest du da?

Was wir im Schlaf reden, verrät nicht viel über unsere wahren Wünsche.
Eckart von Hirschhausen

Immer wieder gibt es Phänomene, die jeder kennt, die aber kaum ein Wissenschaftler je erforscht hat. Reden Sie im Schlaf? Wahrscheinlich. Im Kindesalter ist nächtliches Reden, Schreien und Weinen sehr häufig. Unter Erwachsenen geben zwei von drei an, immer noch gelegentlich im Schlaf zu sprechen, doch nur sechs Prozent machen es jede Woche. Wobei hier im wahrsten Sinne die Dunkelziffer hoch sein dürfte. Denn wenn keiner zuhört oder sich am nächsten Morgen beschwert, bleibt das nächtliche Palaver meist unbemerkt. Gesundheitlich betrachtet ist das Phänomen mit dem Namen ­Somniloquie harmlos. Wenn aber etwas aufgeschnappt wurde, stellt sich die bange Frage: Was habe ich denn gesagt? Stimmen die Theorien der Psychoanalytiker, dann wartet das Unbewusste den ganzen Tag nur auf seinen großen Auftritt in der Nacht, wenn das kon­trollierende Über-Ich pennt. Dann kommt alles raus, ­alles hoch, alles zu Tage – na ja, an die Bewusstseinsoberfläche zumindest –, was in uns an Sex-, Drugs- und Rock&Roll-Fantasien schlummert.

Forscher luden 232 Menschen in ein Pariser Schlaf­la­bor ein, sich für die Wissenschaft ins Bett zu legen. Alles, was des Nachts an sprachlichen Äußerungen abgesondert wurde, unterzogen die Franzosen einer genauen linguistischen Kontrolle. Von den mehr als 800 Episoden waren 60 Prozent Gemurmel, Lachen, Schreie oder schlichtweg unverständliche Worte. Jede zehnte Äußerung bestand aus Schimpfwörtern, Beleidigungen und offenbar längst schon überfälligen Abrechnungen mit irgendjemandem. Männer fluchen im Schlaf mehr als Frauen, aber auch sie hielten sich an die Sprechpausen, die entstehen, wenn das fiktive Gegenüber antwortet. Alles deutet also darauf hin, dass unser Großhirn als der Sitz der Sprache im Schlaf auf einem ziemlich hohen Niveau aktiv ist und semantisch korrekte und auf mehrere Stimmen aufgeteilte Dialoge schreiben kann.

In einer anderen Untersuchung wurden die Schläfer direkt nach dem Sprechen aus dem Schlaf gerissen und befragt, wovon sie gerade geträumt hatten. In 80 Prozent der Fälle passten Traum und Redeanteil zueinander. Sagen plappernde Schläfer immer die Wahrheit? Diese Volksweisheit ist so abwegig wie der Versuch, Betrunkenen große Geheimnisse zu entlocken.

Was mich am meisten beschäftigt: Das häufigste Wort, das die Männer äußerten, lautete schlicht: "Nein!" Auch wurde oft um Hilfe gerufen, und bei einer komplexeren Stelle schrie jemand: "Ziehen, zieh, zieh! Mann, was ist denn los? Zieh, verdammt noch mal." Woran das imaginäre Gegenüber indes ziehen sollte, blieb geheim, vielleicht einfach nur Leine. Mein persönlicher Favorit an Beleidigungen war: "Du Funktionär!"

Wenn Männer beinahe doppelt so viel im Schlaf reden wie Frauen, ist an den "Verdrängungstheorien" vielleicht doch etwas dran. Wir Jungs kommen im Wachzustand einfach nicht ausreichend zu Wort und heben uns das, was wir schon immer dem Chef, der Frau, der Politik oder sonst wem mal so richtig um die Ohren hauen wollten, auf – bis wir uns selbst aufs Ohr gehauen haben. Und dann trauen wir uns richtig was, dann müssen sich die anderen ganz warm anziehen. Man unterschätze nie einen Traummann, der "Nein" sagt. Er ist innerlich gerade aufgestanden!

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