Freistetters Formelwelt: Was Schwarze Löcher wirklich seltsam macht
Nach meinen öffentlichen Vorträgen beantworte ich gerne die Fragen des Publikums. Unabhängig vom Thema des Vortrags kann ich mir sicher sein, dass ich mindestens eine Frage über Schwarze Löcher bekomme. Verständlicherweise, denn diese Himmelskörper sind ebenso faszinierend wie mysteriös. Sie sind ein Standardelement in der Sciencefiction-Literatur, an der Grenze zwischen seriöser wissenschaftlicher Forschung und spektakulären Hypothesen angesiedelt. Schwarze Löcher stehen im Fokus des öffentlichen Interesses, sind aber gleichzeitig ohne umfassende Kenntnisse der Mathematik kaum zu verstehen (und selbst dann nicht immer). Es ist also kein Wunder, dass es da sehr oft zu Missverständnissen kommt.
Am häufigsten treffe ich dabei auf das falsche Bild des Schwarzen Lochs als "Staubsauger", der alles gnadenlos ansaugt, verschluckt und nie wieder entkommen lässt. Um zu verstehen, warum es falsch ist, muss man sich mit dieser Formel beschäftigen:
Sie beschreibt den Schwarzschild-Radius rs, der für den vereinfachten Fall eines nicht rotierenden Schwarzen Lochs mit seinem "Ereignishorizont" identisch ist. Diese Grenze hängt nur von der Masse M des Schwarzen Lochs ab (das "G" in der Formel ist die Gravitationskonstante und "c" die Lichtgeschwindigkeit).
Der Ereignishorizont ist, vereinfacht gesagt, die Grenze, ab der ein Schwarzes Loch anfängt, seltsam zu werden. Ist man weit genug davon entfernt, dann passiert einem nichts. Würde man zum Beispiel die Sonne durch ein Schwarzes Loch gleicher Masse ersetzen, dann würden wir (abgesehen von der plötzlichen Dunkelheit und Kälte) nichts davon merken. So wie zuvor um die Sonne würde die Erde nun auf der gleichen Bahn um das Schwarze Loch kreisen. Sie würde vor allem nicht "eingesaugt" werden. Dafür gibt es keinen Grund, denn die Masse hat sich ja nicht geändert, und die Erde spürt genau die gleiche Anziehungskraft wie zuvor.
Die Stärke der Anziehungskraft wird aber nicht nur durch die Masse beeinflusst, sondern auch durch den Abstand. Je näher wir zum Beispiel der Sonne kommen, desto stärker spüren wir ihre Gravitationskraft. Die gesamte Masse der Sonne ist in einer Kugel mit einem Radius von etwa 700 000 Kilometern verteilt. Näher können wir dieser Masse also nicht kommen, und selbst wenn wir direkt an den Rand der Sonne rücken, liegt ein Teil ihrer Masse immer noch 1,4 Millionen Kilometer von uns entfernt am gegenüberliegenden Rand.
Um aus der Sonne ein Schwarzes Loch zu machen, muss man ihre Masse verdichten. Mit der Formel für den Ereignishorizont lässt sich berechnen, wie weit man sie komprimieren muss: Ein Schwarzes Loch mit der Masse der Sonne hätte einen Schwarzschild-Radius von nur noch drei Kilometern. So einer Mini-Sonne (die aber immer noch ihre gesamte Masse besitzt) können wir uns nun also viel weiter annähern, weshalb wir auch eine viel stärkere Gravitationskraft spüren. Direkt am Ereignishorizont ist sie so stark, dass wir die Lichtgeschwindigkeit überschreiten müssten, wenn wir uns wieder entfernen wollen. Das aber ist unmöglich: Wir sind gefangen und können nicht entkommen.
Ein Schwarzes Loch "saugt" also nicht – doch seine auf einen extrem geringen Raum komprimierte Masse sorgt dafür, dass man sich seiner gesamten Masse bis an den Ereignishorizont nähern kann. Solange man einen ausreichend großen Abstand einhält, kann einem das Schwarze Loch hingegen nichts anhaben.
Schwarze Löcher stecken noch voller weiterer schwer verständlicher und höchst faszinierender Phänomene. Um sie abschließend zu verstehen, sind nicht nur sehr viel komplexere Formeln nötig, sondern vermutlich ein ganz neues Verständnis von Mathematik, Physik und Astronomie.
Schreiben Sie uns!
3 Beiträge anzeigen