Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn 99,99 % Sicherheit nur 50 % bedeuten würden?
»Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast«, lautet ein bekannter Slogan der Bundesagentur für Arbeit. Dass tatsächlich so viele Menschen Statistiken misstrauen, liegt jedoch nicht am Fach, sondern daran, dass die meisten keine Ahnung davon haben.
Häufigster Fehler ist die Verwechslung von Korrelationen und Kausalitäten. Oder anders gesagt: Verursachen Zahnspangen Pubertät? Nein, das tun sie nicht. Zahnspangen und Pubertät sind miteinander korreliert. Beide Ereignisse treten gleichzeitig auf. Und das ist ziemlich tückisch. Denn nur, weil zwei Ereignisse gleichzeitig auftreten, heißt das noch lange nicht, dass das eine die Ursache des anderen ist: Videospiele und Gewalttätigkeit, Storchenpopulationen und Geburtenhäufigkeit, Mülltrennungs- und Scheidungsraten. Mit ein bisschen Geschick kann man zwischen fast allem eine Korrelation herstellen: In den USA gibt es eine signifikante Häufung von Blutkrebs in der Nähe von katholischen Gotteshäusern. Als Gerhard Schröder Kanzler war, fand man heraus, dass an Tagen, an denen er sich einen Anzug kaufte, deutlich mehr Arbeitslose Suizid begingen.
Bedauerlicherweise ist die Statistik ein fruchtbarer Boden für Fehlinterpretationen. Die Mutter des Mathematikers Johannes Kepler wurde wegen Hexerei verhaftet, weil ihr Besuch bei einer Nachbarin unglücklicherweise mit dem Ausbruch einer schweren Krankheit zusammenfiel.
Wenn Sie jetzt übrigens etwas unsicher sind, ob Sie sich gut oder schlecht mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung auskennen, hier ein kleines Beispiel aus dem alltäglichen Leben: Angenommen, Sie sind eine attraktive, emanzipierte Frau, gehen auf das Sommerfest Ihres Unternehmens, haben Spaß und vernaschen nachts um drei den schnuckeligen Schnauzbart aus der Lohnbuchhaltung. Weil Sie die Pille nehmen, denken Sie sich: »Kein Problem, was soll schon groß passieren?« Ein paar Wochen später machen Sie trotzdem einen Schwangerschaftstest, der zu 99,99 Prozent sicher ist, und das Testergebnis lautet: Bingo! Positiv! Der schnuckelige Schnauzbart aus der Buchhaltung hat sich irgendwie durchgemogelt …
Wie hoch ist nun die Wahrscheinlichkeit, dass Sie tatsächlich schwanger sind? 99,99 Prozent? Um diese Frage zu beantworten, müssen Sie zunächst wissen, wie sicher die Pille ist. Ziemlich sicher, aber ein kleines Restrisiko bleibt.
In Zahlen bedeutet das: Von 100 000 Frauen, die ein Jahr lang die Pille nehmen, werden etwa zehn trotzdem schwanger. Wenn diese zehn Frauen einen Schwangerschaftstest machen, werden 99,99 Prozent dieser Frauen auch das richtige Testergebnis bekommen. Alle zehn Frauen erhalten also die korrekte Diagnose: schwanger! Viel interessanter ist die große Gruppe der Nichtschwangeren. Wenn alle 99 990 Nichtschwangeren eine Schwangerschaftstest machen, der zu 99,99 Prozent sicher ist, dann werden 0,01 Prozent dieser Gruppe fälschlicherweise auch die Diagnose »schwanger« bekommen. Und das sind interessanterweise auch zehn Frauen.
Ich fasse also kurz zusammen: Wenn 100 000 Frauen, die die Pille nehmen, einen Schwangerschaftstest machen, dann bekommen 20 davon die Diagnose »schwanger«. Aber nur zehn davon sind es auch wirklich. Verrückt, oder? Ein Test, der zu 99,99 Prozent sicher ist, liefert ein Ergebnis von 50 : 50.
Und genau das ist einer Bekannten von mir passiert. Sie hatte ein positives Testergebnis, ist zur Schwangerschaftsgymnastik gegangen, hat sogar schon Babysachen gekauft, und irgendwann fiel ihr auf: »Ich hatte seit zwei Jahren gar keinen Sex!«
All das zeigt: Statistik erweist sich als ein hochkompliziertes Unterfangen, in dem man Dutzende von Fehlern machen kann: »Nahezu 100 Prozent aller Deutschen sind weiblich und kriminell. Das zeigte eine repräsentative Untersuchung in einem Wuppertaler Frauengefängnis.« Wenn ich den Drogenkonsum in Deutschland untersuchen möchte, dann wird eine Befragung von 100 Versicherungsangestellten ein anderes Ergebnis erzielen als die von 100 Rockstars. Wendet man Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie allerdings richtig an, sind sie wertvolle Instrumente, um Gesetzmäßigkeiten von Zufällen zu unterscheiden. Darauf beruht praktisch unsere gesamte Welterkenntnis. Wie oft fällt ein Apfel zu Boden und wie oft in den Himmel?
Mehr über Statistiken, Zufälle und andere spannende Dinge in Vince Eberts Bestseller »Unberechenbar. Warum das Leben zu komplex ist, um es perfekt zu planen« oder unter www.vince-ebert.de.
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