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Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn Demokratie allein nicht ausreichend wäre?

Die Bundestagswahl steht vor der Tür. Zeit für den Wissenschaftskabarettisten Vince Ebert, sich Gedanken über die Demokratie zu machen.
Der Kabarettist Vince Ebert

Es ist toll, dass wir in einem Land leben, in dem es freie und geheime Wahlen gibt. Das war lange Zeit nicht selbstverständlich. Noch vor 100 Jahren gab es weltweit nur 30 Demokratien. Heute wird laut Democracy Index in fast der Hälfte aller Länder weltweit gewählt. Okay, da sind natürlich auch Länder darunter, in denen eine Wahl etwas vollkommen anderes bedeutet als bei uns: Uganda, Italien, Bayern. Doch grundsätzlich geht es aufwärts – selbst im arabischen Raum. Bei den letzten Parlamentswahlen in Ägypten haben zwar weniger als ein Drittel der Ägypter gewählt, dafür kamen Regierung und Opposition zusammengenommen auf 118 Prozent.

Eigentlich ist Demokratie keine Regierungsform, sondern ein Verfahren zur Eindämmung von Macht. Wir können die Leute einfach abwählen. Und das ist wichtig, denn Politiker sind vergleichbar mit Windeln. Man sollte sie ab und an wechseln. Und zwar aus dem gleichen Grund: Da bekommt der Begriff "Der klebt an seinem Stuhl" eine ganz konkrete Bedeutung.

Genau das ist übrigens ein Manko der deutschen Demokratie. Viele Spitzenpolitiker können wir nicht wirklich abwählen. Wer bei uns in der Liste der etablierten Parteien weit oben steht, kommt ins Parlament, gleich ob wir diese Person wollen oder nicht. Von den Abgeordneten im Parlament ist nur die Hälfte direkt gewählt, die andere Hälfte kommt über Parteilisten rein, über die oftmals noch nicht einmal die Basismitglieder der jeweiligen Partei entscheiden dürfen. Das Ganze heißt "Verhältniswahlrecht" und ist ähnlich komplex wie das Tarifsystem der Deutschen Bahn.

In England oder den USA ist das etwas einfacher. Dort gibt es das Mehrheitswahlrecht: Wer seinen Wahlkreis verliert, ist weg vom Fenster. Auch das hat natürlich Nachteile. Angenommen drei Kinder wollen Verstecken spielen und zwei Fangen – ist es dann gerecht, immer Verstecken zu spielen? Genau das ist Mehrheitswahlrecht. Die Mehrheit setzt sich durch. Im Verhältniswahlrecht dagegen diskutieren die fünf Kinder den ganzen Tag, ohne überhaupt etwas zu spielen.

Vermutlich sind wir Deutschen deswegen auch so politikverdrossen – weil so wenig vorangeht. Allein bei der Europawahl stimmen ähnlich viele Bundesbürger ab wie beim Dschungelcamp. Wahrscheinlich, weil die Kandidaten auch ähnlich charismatisch sind. Und wenn wir uns dann doch zur Wahl schleppen, nehmen wir das ganze Prozedere nicht sonderlich ernst. Bei der letzten Landtagswahl in Hessen habe ich gehört, wie einer aus der Kabine gerufen hat: "Sag mal einer STOPP …!"

Viele Bürger wünschen sich mehr Einflussmöglichkeiten wie etwa Direktwahlen oder Volksentscheide. Andere wiederum wenden ein: "Im Fall einer Volksabstimmung dürften ja dann auch die Dumpfbacken wählen!" Aber wäre das wirklich so schlimm? Vor etwa 100 Jahren hat der Wissenschaftler Francis Galton auf einer Viehauktion eine Gruppe von 800 Menschen das Gewicht eines Ochsens schätzen lassen. Jeder der Kandidaten gab unabhängig vom anderen ein Gewicht an, und daraus wurde dann der Durchschnittswert ermittelt. Verblüffenderweise entsprach dieser Wert bis auf wenige Gramm dem tatsächlichen Gewicht des Tiers. Genauso läuft es in einer Demokratie: Im Schnitt ist die große Masse vielleicht nicht sonderlich intelligent, doch was sie auf jeden Fall erkennt, sind die Ochsen.

Erfunden wurde die Demokratie vor rund 2500 Jahren im alten Griechenland. Das war damals eine Hochkultur. Das kann man sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen, oder? Fun Fact am Rande: Griechenland wurde demokratisiert, ohne dass die USA einmarschieren mussten. Trotzdem war auch im alten Griechenland nicht alles in Butter. Sokrates, der berühmteste Grieche nach Otto Rehagel, wurde von seinem eigenen Volk per Abstimmung zum Tod verurteilt, weil er den Athenern mit seinen nervtötenden Grundsatzdiskussionen auf den Geist gegangen ist.

Das zeigt: Die bloße Tatsache, dass der Wille des Volkes in einer freien Wahl zum Ausdruck kommt, heißt erst mal noch nicht viel. Demokratie bedeutet lediglich, dass zehn Füchse und ein Hase darüber abstimmen können, was es zum Abendessen gibt. Freiheit dagegen bedeutet, wenn der Hase mit einer Schrotflinte die Wahl anfechten kann.

Das entscheidende Element unserer abendländischen Kultur ist also nicht unbedingt die MITbestimmung, sondern die SELBSTbestimmung. Die Idee, dass jeder Mensch ein individuelles Wesen ist, das sich vollkommen frei entfalten darf. Der Philosoph John Stuart Mill nannte diese Idee "self-ownership". Das Eigentum an mir selbst.

Dieser revolutionäre Gedanke ist gerade mal 300 Jahre alt, er entstand in der Aufklärung: Du darfst alles tun, was andere als vollkommen schwachsinnig ansehen, solange du damit keinen schädigst. Oder wie es Immanuel Kant etwas intellektueller formuliert hat: "Habe Mut, dich deines eigenen Verstands zu bedienen – selbst dann, wenn du keinen hast."

Wenn Sie mehr über den Wissenschaftskabarettisten und Bestsellerautor wissen möchten, besuchen Sie ihn auf seiner Homepage oder auf Facebook.

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