Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn die Pharmaforschung für die Emanzipation verantwortlich wäre?
Jahrhundertelang wurden Frauen als Menschen zweiter Klasse angesehen und hatten lediglich die Freiheit zu entscheiden, ob es Fisch oder Fleisch zum Mittagessen gibt. Mein Opa verstand unter Gleichberechtigung das Recht, eine Freundin zu haben, weil seine Frau ja auch eine besitzt. Noch vor wenigen Jahrzehnten hatten Frauen deutlich weniger Rechte als Männer und waren gefangen in dem ihnen zugedachten Rollenbild. Erst 1957 wurde die Frau dem Mann in der Ehe rechtlich gleichgestellt, seit 1977 darf sie ohne Einverständnis des Ehemannes erwerbstätig werden, seit zehn Jahren sogar in der Bundeswehr.
Den vielleicht größten Beitrag zur Emanzipation der Frau haben wir jedoch nicht der Politik oder Alice Schwarzer zu verdanken, sondern der Pharmaforschung: Die Erfindung der Antibabypille hat die gesellschaftliche Befreiung der Frau enorm beschleunigt. Vorher war Verhütung extrem unsicher. Meine Oma hat noch die Temperaturmethode praktiziert. Wenn's im Schlafzimmer weniger als 17 Grad Celsius hatte, lief gar nichts. Bei 18 Grad Celsius wurde sie mit 17 schwanger, musste heiraten und ihre unkonventionellen Träume begraben: ihr eigenes Geld zu verdienen.
Die Pille hat alles verändert. Am 18. August 1960 brachte sie der amerikanische Pharmakonzern Searle auf den Markt, kein Jahr später zog die Schering AG in Deutschland mit einem Konkurrenzprodukt nach. Die Ärzte durften es zunächst nur verheirateten Frauen verschreiben, die schon Kinder hatten, doch der Erfolg war nicht aufzuhalten: Bereits Mitte der 1960er Jahre nahm jede sechste Frau unter 30 Jahren die Pille. Das britische Wirtschaftsmagazin »The Economist« konstatiert, die Antibabypille habe das 20. Jahrhundert entscheidend geprägt. Mehr noch als die Teflonpfanne. Dank dieser Erfindungen muss man heute nichts mehr anbrennen lassen.
Die Pille veränderte nicht nur die Art und Weise der Familienplanung, sondern gab zum ersten Mal in der Geschichte den Frauen die Freiheit, über die eigene Zukunft entscheiden zu können. Die Rollenklischees gerieten ins Wanken – mit weit reichenden Folgen für alle anderen Bereiche der Gesellschaft. Die Zahl berufstätiger Frauen stieg an, viele entschieden sich deutlich später und viel bewusster für Kinder, und die Kinderzahl pro Familie nahm ab, was sich im so genannten Pillenknick bemerkbar machte. Auch die Zahl der Studentinnen schnellte spektakulär in die Höhe, da die Frauen wussten, dass sie ihre Ausbildung abschließen und sich beruflich etablieren konnten, ohne heiraten oder wie eine Nonne leben zu müssen.
Ein Aspekt, der für uns Männer noch nie Toppriorität hatte. Während eine Frau für ein Baby ganze neun Monate braucht, ist der Mann in der Regel nach knapp neun Minuten fertig. Und vor Erfindung der Blutanalyse konnte er sogar noch locker behaupten: »Ich war's nicht!« Angeblich arbeitet zurzeit ein großer Pharmakonzern fieberhaft an der »Pille danach« für den Mann: Sie soll die Blutgruppe ändern.
Da die Antibabypille offensichtlich bildungsfördernd ist, müssten die Frauen eigentlich steuerliche Vorteile davon haben. »Haben sie auch«, erklärte mir mein Steuerberater. »Aber nur, wenn sie sie vergessen, zu nehmen.«
Alles in allem löste die Pille nicht nur eine gesellschaftliche, sondern auch eine sexuelle Revolution aus. Die männlich dominierte Gesellschaft registrierte vollkommen überrascht, dass Frauen Wesen mit sexuellen Bedürfnissen sind. Und seit sie keine Angst mehr haben mussten, schwanger zu werden, waren sie auch nicht mehr gezwungen, den erstbesten Schürzenjäger zu heiraten. Das hat vieles verändert. Nicht nur zwischen den Beinen, sondern auch im Kopf. Wenn die Frau früher vor der Ehe eine einzige Affäre hatte, galt sie als Flittchen, heute gilt sie fast schon als verklemmt. Immerhin konnte sie damals die spießige Gesellschaft oder die Kirche für ihre Misere verantwortlich machen. Wer heute keinen Sex vor der Ehe hat, muss sich eingestehen: »Vielleicht liegt's ja auch an mir …«
In den letzten hundert Jahren hat sich in punkto Emanzipation viel getan. Frauenwahlrecht, Zugang zu Bildung, Gleichberechtigung in Beruf und Partnerschaft und durch die Pille auch die Gleichberechtigung im Bett. Und trotzdem sind wir – egal ob Mann oder Frau – noch immer gefangen in traditionellen Rollenbildern. Als meine Nachbarin vor einiger Zeit ein kleines Mädchen adoptiert hat, war der erste Kommentar ihrer Freundin: »Gott sei Dank, sie ist hübsch!« Anscheinend ist hübsch zu sein für manche bei Mädchen immer noch wichtiger, als intelligent zu sein. Wohlgemerkt: Der Spruch kam von einer Frau!
Die gesellschaftliche Befreiung der Frau ist noch lange nicht vollständig erreicht. Einzelne Feministinnen behaupten angeblich, die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern werde erst dann vollendet sein, wenn Frauen heimlich vor der Männerumkleide herumhängen, um ihnen beim Umziehen zuzusehen.
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