Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn die Welt immer besser werden würde?
Der moderne Mensch ist etwa 300 000 Jahre alt, doch vor allem in den letzten 10 000 Jahren hat sich unsere Welt in einem Maß verändert wie niemals zuvor. Wir erfanden Ackerbau und Viehzucht, gründeten Städte und betrieben Handel. Noch im Jahr 1500 lebten gerade mal 500 Millionen Menschen auf der Erde. Damals hätten vier, fünf moderne Containerschiffe die gesamte Fracht aller Handelsschiffe der Welt an Bord nehmen können.
Mit Beginn der industriellen Revolution beschleunigte sich diese Entwicklung noch einmal. Wir erfanden die Dampfmaschine, den mechanischen Webstuhl und den Ottomotor. Gaslaternen wurden durch elektrische Glühlampen ersetzt, Kunstdünger, Mikrochips und Flugzeuge kamen auf. Alexander Fleming erfand das Penizillin, Gregory Pincus die Antibabypille. Der Agrarwissenschaftler Norman Borlaug züchtete Weizen, der den Ertrag verdreifachte, und löste die grüne Revolution aus.
Heute leben über sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten. Und das Paradoxe ist: Trotz des enormen Bevölkerungswachstums ist ein Großteil dieser Menschen heute reicher, gesünder und freier, als es Menschen jemals zuvor in der gesamten Geschichte waren.
Als ich geboren wurde, war ein 70-jähriger Mann statistisch gesehen bereits tot. Heute kauft er sich eine Harley. Mein Großvater arbeitete im Bergbau. Als er in Rente ging, war er körperlich ein Wrack. Heute sind 65-Jährige körperlich genauso fit wie 1965 ein 40-Jähriger. Es geht uns wirklich gut. So gut wie nie zuvor.
Dieser positive Trend gilt bis auf wenige Ausnahmen weltweit. Egal ob Sie sich die Entwicklung von Lebenserwartung, Impfraten, Kindersterblichkeit, Alphabetisierung, Nahrungskalorien pro Kopf oder Durchschnittseinkommen angucken. Egal welchen Indikator Sie zur Hand nehmen, alle sahen vor 50, 100 oder 200 Jahren schlechter aus. Allein in den letzten 20 Jahren hat sich weltweit die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, mehr als halbiert.
Sollten Sie an dieser Stelle skeptisch mit dem Kopf schütteln, dann empfehle ich die frei zugängliche Online-Plattform ourworldindata.org. Gegründet wurde sie von dem Ökonomen Max Roser, der an der University of Oxford lehrt. Auf der Basis von seriösen Datenquellen kann man in interaktiven Grafiken schwarz auf weiß sehen, wie phänomenal sich die Lebensverhältnisse in nahezu allen Ländern über die letzten 150 Jahre verbessert haben.
Auch wenn der tägliche Blick in die Nachrichten das Gegenteil suggeriert, aber es sieht heute besser aus auf der Welt, als es seit Beginn der Geschichtsschreibung je ausgesehen hat. Es sieht besser aus als noch vor wenigen Jahren. Sogar besser als heute Morgen um halb zehn – dank einer warmen Dusche, drei Tassen Kaffee und zwei Aspirin.
Für viele Menschen in den reichen Industrienationen klingt der Gedanke, dass unsere Zukunft vielleicht sogar noch besser werden könnte als die Gegenwart, wie eine vollkommen verrückte Utopie. Während die Bewohner in den Schwellenländern tendenziell optimistisch in die Zukunft blicken, dominiert bei uns die Angst vor dem drohenden Weltuntergang die gesellschaftliche Debatte. Insgeheim sehnen sich sogar viele nach der angeblich so »guten alten Zeit« zurück.
Unzählige Generationen vor uns haben sich abgemüht, um mehr vom Leben abzukriegen als das Allernotwendigste. Und nur einige Jahre in Wohlstand genügen, um im Erreichten nicht etwa Glück zu sehen, das man steigern kann, sondern nur noch heillose Angst vor der Zukunft zu empfinden.
Die Angst vor der Apokalypse ist freilich nichts Neues. Genau genommen ist sie ein jahrtausendealter Dauerbrenner. Und die größten Bedenkenträger tummelten sich seit jeher in unseren Breitengraden. Das ist anscheinend kein Zufall. Der Göttinger Angstforscher Borwin Bandelow entwickelte dazu eine interessante Hypothese. Schon immer mussten die nordischen Völker rechtzeitig für den Winter vorsorgen. Wer kein Brennmaterial, kein Trockenfleisch oder Salzfisch eingelagert hat, hatte ein Problem. Das heißt: Die vorausschauenden Bedenkenträger haben überlebt – die unbeschwerten Rambazamba-Typen, die sich gesagt haben »Ach komm, so schlimm wird's schon nicht werden« – die sind verhungert oder erfroren. Salopp gesagt haben wir uns unseren Wohlstand durch eine handfeste Dauerdepression erkauft. Wir sind reich, aber unglücklich. Das gilt in extremster Form für Deutschland. Seit ich denken kann, sagen die Leute, es sei fünf vor zwölf. Vielleicht aber ist es ja auch nur zwölf vor fünf …
Mehr über den Kabarettisten, Autor, Moderator und Physiker unter www.vince-ebert.de
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