Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn finanzielle Ungleichheit nichts mit Politik zu tun hätte?
Neulich fragte ich einen befreundeten Zahnarzt: Was würdest du tun, wenn du im Jahr 200 000 Euro zu Verfügung hättest? Seine Antwort: Ich müsste mich schon sehr einschränken.
In Deutschland besitzen rund 20 Prozent der Bevölkerung über 85 Prozent des Gesamtvermögens. Diese Tendenz zeigt sich in fast allen Ländern. Mal besitzt das reichste Zehntel 90 Prozent des Vermögens, ein anderes Mal sind es 5 Prozent, denen 80 Prozent gehören. Einzig Venezuela fällt aus dem Raster. Dort besitzen durch jahrzehntelange Misswirtschaft alle Bevölkerungsschichten gleichmäßig nichts.
Das Grundprinzip jedoch scheint nahezu überall und immer das gleiche zu sein: Reichtum fließt auf magische Art und Weise einem kleinen Bruchteil der Bevölkerung zu, während in den meisten Ländern etwa ein Fünftel der Gesellschaft arm oder arbeitslos ist. In Europa gibt es auf Grund der sozialen Absicherungssysteme mehr Arbeitslose und weniger "working poor", in den USA ist es umgekehrt. Auch hier scheint es sich um ein merkwürdig stabiles Grundprinzip zu handeln. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Letztes Jahr auf Sylt sah ich einen Bettler, der hatte ein Kreditkartenlesegerät dabei.
Die Frage nach der Ursache für die ungleiche Vermögensverteilung stellen sich Wirtschaftswissenschaftler und Politiker schon immer. Wenn Sie einen Linken fragen, so wird er Ihnen erzählen, dass die soziale Ungerechtigkeit auf den ausbeuterischen Turbokapitalismus zurückzuführen ist. Dieses System erlaube es einer Hand voll mächtiger Großkapitalisten, willkürlich über die breite Masse der Besitzlosen zu herrschen. Deswegen ist der Linke auch für konsequente Umverteilung. "Lass uns die Reichen enteignen und mit dem Geld etwas sozial Gerechtes machen: Wir dübeln ein Musical-Theater in die Uckermark!" Oder noch absurder: einen Großflughafen in die Mark Brandenburg.
Das konservative Lager dagegen argumentiert, dass sich reiche Menschen ihren Wohlstand durch Zähigkeit, Mut und Intelligenz erarbeiten haben. Wer es nicht schafft, ist eben selbst schuld an seiner Misere. Deswegen ärgert man sich in diesen Kreisen über die Umverteilung der Roten grün, wählt schwarz, neuerdings auch blau. Ziemlich bunte Hunde, die Konservativen.
Das gemeinsame Element beider Ansichten – und praktisch aller politischen Debatten über das Thema – ist der Sieg einer persönlichen Überzeugung über die bestehende Realität. Man versucht sozusagen eine bereits vorhandene Meinung im Nachhinein zu rechtfertigen.
Als Physiker frage ich mich natürlich, ob die Naturwissenschaft nicht zum Finden einer Antwort beitragen kann. Gibt es berechenbare Mechanismen für die ungleiche Vermögensverteilung? Dazu haben im Jahr 2000 zwei französische Physiker eine Computersimulation durchgeführt. Sie erzeugten ein künstliches Netzwerk von mehreren hundert identischen Personen, die beliebig miteinander Geschäfte machen konnten. Dabei legten sie folgende einfache Regeln fest: Alle Personen starteten mit dem gleichen Geldbetrag. Außerdem waren zwei Arten von Geschäften erlaubt. Erstens: Alltagstransaktionen, bei denen einer etwas vom anderen kauft beziehungsweise an ihn verkauft. Hier vermehrt sich das Geld des einen um den gleichen Betrag, um den sich das Geld des anderen vermindert. Zweitens: Investitionen, wie beispielsweise Aktiengeschäfte, bei denen man seinen eingesetzten Betrag entweder vermehren oder vermindern konnte. Die Gewinn- und Verlustrate statteten die Wissenschaftler mit einem idealen Zufallsgenerator aus. Dadurch wird jeder Aktiendeal sozusagen zu einem Glücksspiel mit 50 Prozent Erfolgsquote (und liegt somit erstaunlich nahe an der Realität).
Gespickt mit diesen simplen Regeln ließen die Forscher dann ihre Simulation loslaufen und beobachteten eine erstaunliche Entwicklung: Schon nach kurzer Zeit verteilte sich das Geld immer ungleicher. Und zwar in einem ganz ähnlichen Verhältnis, wie es in den meisten realen Volkswirtschaften zu beobachten ist.
Das ist ziemlich verrückt, oder? Die schiefe Verteilung zwischen Reich und Arm liegt anscheinend weder daran, dass ein bestimmtes Wirtschaftssystem die Reichen bevorzugt und die Armen benachteiligt, noch liegt es daran, dass die einen intelligenter und fleißiger sind, die anderen fauler und dümmer. Ganz im Gegenteil: Sie tritt auch dann auf, wenn alle handelnden Personen vollkommen gleich sind und Gewinn und Verlust sämtlicher Transaktionen nur durch puren Zufall gesteuert werden.
Wenn also wieder einmal Sahra Wagenknecht und Roger Köppel bei Anne Will zu cholerischen Irren mit Schnappatmung mutieren, dann denken Sie daran: Ungleiche Wohlstandsverteilung hat offenbar rein gar nichts damit zu tun, was konservative, liberale oder linke Politiker gerne glauben. Wenden Sie sich dazu lieber an einen Physiker Ihres Vertrauens …
Mehr über den Wissenschaftskabarettisten und Bestsellerautor finden Sie unter www.vince-ebert.de.
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