Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn global besser wäre als regional?
»Wenn's geht, kauf ich auf jeden Fall regional. Natürlich wegen der Umwelt …« Mit dieser Aussage ist Ihnen der Applaus in jeder Talkshow sicher. Das Statement ist einfach zu verstehen, klar zu kommunizieren – und falsch. Okay, das ist jetzt vielleicht ein bisschen zu hart. Aber zumindest ist es nicht ganz richtig. Bei genauerer Betrachtung sind die Zusammenhänge komplexer, als es auf den ersten Blick scheint.
Tatsächlich haben regionale Lebensmittel nicht automatisch eine bessere Ökobilanz als importierte. Ganz im Gegenteil. Die britischen Ökonomen David Coley und Michael Winter untersuchten bereits im Jahr 2011 das Konzept der so genannten »Food Miles« und kamen zu dem Ergebnis, dass die Strecke, die ein Nahrungsmittel vom Erzeuger zum Konsumenten zurücklegt, ein sehr unzureichender Indikator für Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein ist. Ihrer Berechnung nach verursachen die zurückgelegten Meilen im Schnitt gerade einmal vier Prozent der Emissionen, die sie im Lauf ihres gesamten Lebenszyklus produzieren. Viel entscheidender für die Ökobilanz eines Lebensmittels ist die Art und Weise des Anbaus.
In Argentinien oder Neuseeland zum Beispiel werden Rinder und Schafe in riesigen Beständen gehalten, in exakt den richtigen Biotopen. Dadurch ist die Produktivität der Fleischerzeugung mitunter um ein Vielfaches höher als beim Biobauern um die Ecke. In Argentinien und Neuseeland muss den Tieren weder Kraft- noch Kunstfutter zugegeben werden, und überhaupt ist die gesamte Haltung auf den Weideflächen weniger energieaufwändig als bei uns.
Eine Rose, die in einem beheizten Gewächshaus in Paderborn gezogen wird, hat einen bis zu sechsmal höheren ökologischen Fußabdruck als eine Rose aus Kenia, die dort unter optimalen Bedingungen in der Sonne gedeiht. Der Wissenschaftsjournalist und Zoologe Matt Ridley legt in seinem Buch »The Rational Optimist« detailliert dar, dass bei vielen Nahrungsmitteln die Energiebilanz trotz des Transports um die halbe Welt deutlich günstiger ist als die Produktion der Produkte vor Ort. Und das gilt nahezu unabhängig von der jeweiligen Beförderungsart, ob mit Containerschiffen oder mit großen Frachtflugzeugen. Die aufgewendete Transportenergie pro kalifornischer Erdbeere, mexikanischer Walnuss oder neuseeländischem Kotelett macht nur einen kleinen Bruchteil der Gesamtenergiebilanz aus.
Auch aus ökonomischer Sicht ist das nachvollziehbar. Denn jede Art von aufgewendeter Energie, egal ob in Form von Lagerhaltung, Aufzucht oder Transport, kostet Geld. Wenn also der chilenische Honig bei uns im Supermarkt günstiger ist als der Biohonig aus der Region, dann ist das nur deswegen möglich, weil die Transportkosten (und damit ein Teil des Ressourcenaufwands) praktisch nicht ins Gewicht fallen.
Dazu kommt noch, dass Lebensmittel, die auf großen Farmen irgendwo auf der Welt angebaut werden, oftmals schon auf Grund ihrer schieren Größe energiesparender – und damit oft auch ökologischer – produziert werden können als auf einem kleinen regionalen Bauernhof, wo der Landwirt noch jeden Obstbaum mit Vornamen kennt.
Hoch industrialisierte Landwirtschaftsbetriebe mögen vielleicht nicht so recht in unser romantisches Bild von glücklichen Kühen und braun gebrannten Knechten, die vergnügt die Sense schwingen, passen, aber sie produzieren Nahrungsmittel deutlich effizienter und umweltschonender als regionale Kleinbauern, da Maschinen, Düngemittel, Pestizide und Bewässerungssysteme wesentlich dosierter und kostensparender eingesetzt werden können.
Fun Fact am Rande: Den höchsten Beitrag zur Ökobilanz eines Lebensmittels verursachen nicht selten die Endverbraucher. Wenn Sie also mit Ihrem schicken SUV 50 Kilometer zum Ökobauern Ihres Vertrauens fahren, um für das Mitgliedertreffen der regionalen Slow-Food-Bewegung 500 Gramm Rinderfilet aus nachhaltiger Zucht zu kaufen, dann verursachen Sie damit einen größeren ökologischen Fußabdruck als Ihr Nachbar, der mit dem Fahrrad zum Discounter um die Ecke fährt, um für seinen Junggesellenabschied zehn Kilo kanadische Spare Ribs, drei Packungen Tiefkühl-Pommes aus indischen Kartoffeln und ein Fünf-Liter-Fass amerikanisches Budweiser besorgt.
Wenn Sie trotzdem lieber »regional« kaufen, dann sollten Sie das natürlich gerne tun. Aber wenn Ihnen ernsthaft die Ökobilanz eines Lebensmittels am Herzen liegt, dann ist »global« oftmals die schonendere Alternative. Paradox, oder?
Mehr über den Kabarettisten, Autor, Moderator und Physiker unter www.vince-ebert.de.
Schreiben Sie uns!
3 Beiträge anzeigen