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Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn Individualisten die Faireren wären?

Fairness wird weltweit unterschiedlich interpretiert. Es macht einen Unterschied, in welcher Gesellschaftsform die Menschen leben.
Der Kabarettist Vince Ebert

Was denken Sie, in welchen Systemen verhalten sich die Menschen wohl fairer und kooperativer? In sozialistischen Gesellschaften, die das Gruppenwohl in den Vordergrund stellen, oder in kapitalistischen, die dem Individuum größere Freiräume einräumen? Dazu hilft es, sich näher mit der Sendung »Wer wird Millionär« zu beschäftigen. Als man die Trefferwahrscheinlichkeit des Publikumsjokers in unterschiedlichen Ländern analysierte, kam man zu einem erstaunlichen Ergebnis. In den USA beantwortete das Publikum die Jokerfrage in 90 Prozent der Fälle richtig. In Russland jedoch stellte man verblüfft fest, dass das Publikum viel öfter danebenlag. Allerdings nicht, weil die Russen dümmer waren. Das russische Studiopublikum gab ABSICHTLICH falsche Antworten, weil sie dem Kandidaten den Sieg nicht gönnten. Der Russlandexperte Geoffrey Hosking vom Londoner University College erklärte dieses Verhalten folgendermaßen: Jahrhundertelang ist die russische Gesellschaft durch das Prinzip der gemeinschaftlichen Verantwortung verwaltet worden. Alle arbeiteten zusammen, jeder lernte von klein auf, dass in der Gemeinschaft jeder für jeden da war. Dieses an sich kluge Prinzip scheitert jedoch, wenn jemand aus der Gemeinschaft heraussticht. Menschen, die von der Norm abweichen, werden in einer solchen Gesellschaft als Gefahr wahrgenommen. Wer in Russland besonders reich wurde, hatte bestimmt nichts Gutes vor und gefährdete im Zweifel die Gemeinschaft. Das russische Studiopublikum sieht den Publikumsjoker also als den Versuch des Kandidaten, sich auf ihre Kosten zu bereichern. Amerikaner dagegen sehen die Sache offensichtlich ganz anders. Sie sehen Reichtum mehr als Folge von persönlicher Tatkraft und Tüchtigkeit an. Die Idee, dass es jeder schaffen kann: vom Tellerwäscher zum Geschirrspüler.

Der weit verbreitete Glaube, dass individualistische Gesellschaften bei den Menschen tendenziell schlechte Charaktereigenschaften wie Rücksichtslosigkeit oder Egoismus fördern, ist nicht so recht belegbar. Oft ist es sogar umgekehrt. Befinden sich Menschen in einem Kollektiv, schwindet mitunter sogar das Verantwortungsgefühl des Einzelnen. In einem bekannten Experiment der US-Psychologen Bibb Latané und John Darley schlugen drei von vier Passanten Alarm, als sie Rauch unter einer Tür austreten sahen. Aber nur, wenn sie allein waren. Befanden sie sich inmitten einer Gruppe, reagierten nur 38 Prozent der Fußgänger. »Die anderen werden schon was tun«, sagen wir uns gerne.

Wer zahlt?

In einem weiteren Experiment lud ein Professor aus Tübingen seine Studenten in ein Restaurant ein, zahlte die Getränke und sagte: Das Essen zahlt jeder selbst. Als Folge davon bestellte jeder das preiswerteste Gericht. Ein paar Wochen später wiederholte er das Ganze nur mit einem Unterschied: Diesmal schlug er vor, das Essen auf alle umzulegen. Nun orderten die Studenten deutlich teurere Gerichte. Logisch, denn warum soll man sich zurückhalten, wenn die Last auf alle verteilt wird? Aus diesem Grund scheitert womöglich unser Wohlfahrtsstaat.

Der Ökonomie-Nobelpreisträger Milton Friedman hat bereits 1980 in seiner Publikation »Free to Choose« gezeigt, dass es nur vier grundsätzliche Wege gibt, Geld auszugeben:

  1. Gib dein Geld für dich aus.
  2. Gib dein Geld für andere Leute aus.
  3. Gib das Geld anderer Leute für dich aus.
  4. Gib das Geld anderer Leute für andere aus.

Wenn man Geld für sich ausgibt, dann sucht man nach dem höchsten Wert für den niedrigsten Preis (10 Tage Mallorca im 4-Sterne-Hotel für 199 Euro). Wenn man sein Geld für andere Leute ausgibt, achtet man zwar immer noch auf den Preis, aber man weiß oft nicht, ob es den anderen interessiert. Daher bekommt der Schwager die hässliche Billigkrawatte zu Weihnachten. Wenn man das Geld von anderen Leuten ausgibt, fällt es schwer, der Versuchung zu widerstehen, auf den Preis zu achten. »Schatz, die neue Handtasche von Luis Vuitton MUSSTE ich einfach haben! Bist du jetzt böse?« Und wenn man das Geld von anderen Leuten für andere ausgibt, fallen alle Hemmungen. »Wir haben da noch einen Steuerüberschuss von fünf Millionen Euro. Mit dem Geld könnten wir doch eigentlich McKinsey beauftragen, damit die für 4,8 Millionen Euro eine Studie erstellen, die uns dann sagt, was man mit den fünf Millionen Euro hätte Sinnvolles anfangen können.«

Mehr über den Diplom-Physiker, Kabarettisten und Bestsellerautor finden Sie unter www.vince-ebert.de

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