Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn Lügendetektoren nutzlos wären?
Jeder kennt den Lügendetektor aus Hollywoodfilmen: Das Opfer wird in einen kahlen Raum geführt und mit dem Finger an ein abstruses Gerät angeschlossen. Eine kühle Wissenschaftlerin mit weißem Kittel und strenger Brille sitzt dem Opfer gegenüber und starrt gebannt auf einen weißen Bogen Papier, auf dem hektisch eine Nadel zittert. Zunächst stellt die Dame nur ein paar harmlose Fragen: »Wie lautet Ihr Name?«, »Wann wurden Sie geboren?«, »Welcher Wochentag ist heute?« Dann plötzlich – wie aus dem Nichts – die entscheidende Frage: »Finden Sie mich eigentlich zu dick?« Beim Opfer bricht Panik aus. Der Pulsschlag erhöht sich, Blutdruck und Atemfrequenz steigen an, auf der Stirn bilden sich kleine Schweißperlen, und die Hände werden feucht. »Ähh …, also ich finde … Sie sehen … toll aus …« Doch der Lügendetektor lügt nicht: Die zitternde Nadel durchschlägt die obere Begrenzung. Ertappt!
Eine erste Vorform des Lügendetektors kam bereits 1913 zum Einsatz, nachdem der italienische Psychologe Vittorio Benussi mit einem Apparat Atmung und Puls von Menschen aufzeichnete, um zu erfahren, ob sie lügen. Zwei Jahre später analysierte der Psychologe William Marston noch zusätzlich die Blutdruckwerte von Probanden. Die Idee setzte sich schnell durch und schon bald gründete das US-Verteidigungsministerium sein eigenes Lügendetektor-Institut. Mit beeindruckenden Ergebnissen: Sagt der Proband die Wahrheit, schlägt der Zeiger des Signalgerätes nach oben aus. Oder nach unten. Oder er bleibt in der Mitte. Und jetzt kommt der Hammer: Bei einer Lüge ist es genau umgekehrt!
Ein klassischer Lügendetektor misst den kontinuierlichen Verlauf all dieser Parameter, da man annimmt, dass jeder Mensch beim Lügen gestresst oder nervös reagiert, was sich dann in der elektrischen Leitfähigkeit der Haut oder des Herzschlags auswirkt. Inzwischen weiß man, dass die aufgezeichneten Veränderungen keine hinreichenden Beweise dafür sind, ob jemand lügt oder nicht, sondern lediglich Auskunft über den »Aktivierungsgrad« in diesem Moment geben.
Wissenschaftler nennen den Lügendetektor daher auch sicherheitshalber lieber Polygraf oder Biosignalgerät. Professionelle Lügenbarone können ihre körperlichen Reaktionen entsprechend beeinflussen, so meisterte zum Beispiel der CIA-Doppelagent Aldrich Ames souverän jahrzehntelang alle Tests der CIA. Genauso wie der Serienmörder Gary Ridgway: Beim ihm lag es an seiner soziopathischen Persönlichkeit, dass die Testergebnisse wenig aussagekräftig waren. Menschen wie Ames oder Ridgeway empfinden in der Regel keine Reue in Hinblick auf ihre Taten. Wenn sie lügen, reagiert ihr vegetatives Nervensystem praktisch nicht.
2003 gab die U.S. National Academy of Science einen vernichtenden Bericht über die Zuverlässigkeit des konventionellen Lügendetektors heraus, in dem alle Möglichkeiten aufgeführt waren, wie die Apparate überlistet und unschuldige Menschen als Lügner gebrandmarkt werden können. Das Gerät ist sogar so unsicher, dass die Zahl der Menschen, die fälschlicherweise der Lüge bezichtigt werden, wesentlich höher ist, als die Zahl der echten, ertappten Lügner.
Doch es gibt Hoffnung. Vor einigen Jahren fand Daniel Langleben von der University of Pennsylvania heraus, dass sich Lügner von Menschen, die die Wahrheit sagen, im Gehirnscan unterscheiden. Wenn einem das Gehirn eine Lüge auftischt, muss es zunächst damit aufhören, die Wahrheit zu sagen, um dann eine Täuschung zu erfinden. Lügner müssen sich also eine schlüssige Alternativgeschichte im Kopf ausdenken und parallel dazu die Wahrheit im Hinterkopf behalten. All das bedeutet zweifellos mehr Gehirnaktivität. Und die kann man mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie messen.
Untersuchungen haben gezeigt, dass beim Schwindeln besonders der Stirnhirnlappen aktiv ist – ein Bereich, in dem anspruchsvolles Denken konzentriert ist. Erhöhte Aktivitäten fand man weiterhin im Schläfenlappen und im limbischen System, wo Gefühle verarbeitet werden. Außerdem treten ungewöhnliche Aktivitäten im anterioren zingulären Gyrus auf, der für Konfliktlösungen und Reaktionsunterdrückung zuständig ist. Ein Hirnareal, das schon beim Aussprechen des Worts extrem viel Energie verbraucht. Anders gesagt: Lügen haben keine kurzen Beine, machen aber einen dicken Kopf.
Natürlich ist die Forschung vom »Gehirnlesen« noch weit entfernt. Unter Neurowissenschaftlern wird die Aussagekraft der Hirnscans heftig diskutiert, und selbst Langleben drückt sich sehr vorsichtig aus: »Es scheint keine eindeutige Signatur der Lüge im Gehirn und kein spezifisches Lügenareal zu geben».
Dennoch sind Lügendetektoren, die auf dieser Technik basieren, wesentlich zuverlässiger als die altmodischen Zitterbilder, da selbst die coolsten Lügner über die Veränderung ihrer Gehirnmuster keinerlei Kontrolle haben. Allwissend ist diese Methode selbstverständlich nicht, so haben Menschen mit einem besonders dichten Netzwerk von Nervenzellen zum Beispiel die Chance, mit ihren Lügen durchzukommen. Ihr Gehirn arbeitet schlicht und einfach effizienter, und dadurch können sie ohne größeren Energieaufwand ihre Lügengebäude aufrechterhalten.
Die Forschung zeigt: Dauerlügner sind signifikant intelligenter. Ich habe da meine Zweifel. Ein Blick in den Deutschen Bundestag genügt.
Mehr über den Wissenschaftskabarettisten und Buchautor erfahren Sie unter www.vince-ebert.de.
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