Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn man Bonussysteme abschaffen würde?
Um herauszufinden, wodurch Menschen motiviert werden, erfand man die Wirtschaftswissenschaften. Im Grunde ist Ökonomie eine Untersuchung über die Wirkung von Anreizen. Oder anders gesagt: Mit Vegetariern muss man diskutieren, nachdem sie eine Wurstfabrik geerbt haben.
Oft zeigt sich, dass der Zusammenhang zwischen erbrachter Leistung und monetärer Belohnung sehr komplex und verwirrend ist. Doppelt so viel Geld bewirkt in der Regel nicht doppelt so viel Leistung – oft passiert sogar genau das Gegenteil. In Naturwissenschaften bezeichnet man solche Systeme als »nichtlinear«. Zwei Tage Hannover sind nicht doppelt so nett wie ein Tag Hannover. Glauben Sie mir, ich hab's ausprobiert.
Doch zurück zur Ökonomie. Aus der Motivationsforschung ist bekannt, dass sich finanzielle Anreize wie zum Beispiel Bonussysteme tatsächlich sehr oft negativ auf die zu erwartende Leistung auswirken. Wenn Sie den Jungs von der Freiwilligen Feuerwehr für jeden gelöschten Brand einen fetten Geldbetrag versprechen, muss es schon mit dem Teufel zugehen, wenn nicht ein paar von ihnen auf die Idee kommen, das Geschäftsmodell ein wenig anzukurbeln.
Im Fachjargon nennt man das den »Kobra-Effekt«. Der Begriff stammt aus der britischen Kolonialherrschaft in Indien. Während dieser Zeit herrschte dort eine Schlangenplage. Der britische Gouverneur setzte daraufhin ein Kopfgeld auf jede erlegte Kobra aus. Mit dem Ergebnis, dass die Leute begannen, in ihren Hinterhöfen fleißig Schlangen zu züchten, um sie anschließend zu töten und die Prämie kassieren zu können.
Belohnungen verführen die Menschen tendenziell dazu, einfache und schnelle Lösungen zu suchen. Kein Wunder, denn unter bestimmen Umständen wirkt Geld auf genau die gleiche Weise wie eine Droge: Es wird im Lustzentrum verarbeitet, und dadurch wird das Denken verzerrt. Und noch schlimmer: Wenn man versucht, Menschen hauptsächlich mit Geld zu motivieren, löst sich mitunter deren selbstlose Motivation auf. Was glauben Sie, welche Gruppe von Blutspendern häufiger zum Aderlass geht? Diejenigen, denen man nach der Spende einen kleinen Geldbetrag in die Hand drückt, oder diejenigen, die für ihr Blut lediglich ein anerkennendes Lob vom Arzt bekommen? Interessanterweise kommen die gelobten Spender häufiger. Anscheinend wirkt in diesem Fall das Geld kontraproduktiv. Denn es verwandelt einen Akt der Wohltätigkeit in einen schmerzhaften Weg, ein bisschen Kohle zu verdienen. Zehn mickrige Euro für so etwas Kostbares wie einen halben Liter Blut ist einfach ein ziemlich schlechter Deal.
Diese Erkenntnis wurde in den Wirtschaftswissenschaften lange Zeit ignoriert. Noch bis vor wenigen Jahren ging man davon aus, dass sich unsere Motivation mit finanziellen Anreizen steigern lässt. Der erste Wissenschaftler, der konsequent an dieser These zweifelte, war Daniel Kahneman. Er verknüpfte Aspekte aus Psychologie und Ökonomie und schuf mit der Verhaltensökonomie ein neues Forschungsgebiet, für das er 2002 sogar den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt.
Dennoch werden Bonussysteme in vielen Unternehmen immer noch als das Nonplusultra angesehen. Wissenschaftlich gesehen existiert tatsächlich keine einzige seriöse Studie, die eine dauerhafte Leistungssteigerung durch finanzielle Anreizsysteme nachgewiesen hätte. Nur bei körperlich einfachen und präzise zurechenbaren Aufgaben ohne große geistige Beteiligung, wie zum Beispiel stupider Fließbandarbeit, gibt es dafür Hinweise. Aber wo in unserer heutigen Berufswelt gibt es diese Tätigkeiten noch?
Bei komplexen, kreativen und geistig anspruchsvollen Tätigkeiten ist der Zusammenhang hingegen negativ. Je schwieriger die Aufgabe, desto kontraproduktiver der Leistungsanreiz. In unserer ergebnisoffenen, unberechenbaren Welt ist vor allem Fantasie gefragt. Und die bekommt man eben nicht durch Bonussysteme. Würde man diese Systeme rigoros abschaffen, wären aller Voraussicht nach die Beschäftigten motivierter, kreativer und zufriedener.
Es ist eine Binsenweisheit, aber die wirklich interessanten Dinge im Leben sind nun mal mit Geld nicht zu erreichen. Schon Konfuzius wusste: »Man kann sein Bett so groß bauen, wie man will, und trotzdem sehr wenige Frauen dazu bringen, mit einem zu schlafen.« Oder war es doch Dieter Bohlen …?
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