Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn sich in der Zukunft gar nicht so viel verändern würde?
Vor 300 Jahren hat man fast einen ganzen Tag gebraucht, um eine Strecke von zehn Kilometern zurückzulegen. Vor zirka 100 Jahren haben wir dann das Auto entwickelt, mit dem man die Strecke bequem in zehn Minuten zurücklegen konnte. Und heute stellen wir so viele Autos her, dass man für die zehn Kilometer wieder einen ganzen Tag braucht.
Vielleicht hat Google ja auch deswegen das selbstfahrende Auto entwickelt. Das könnte sich dann morgens um sechs vollkommen selbstständig in den Stau stellen, damit wir zwei Stunden länger schlafen können, um später mit der S-Bahn nachzukommen.
Wenn wir über das Leben in der Zukunft nachdenken, unterschätzen wir fast immer, dass sich eine Menge Dinge höchstwahrscheinlich nicht verändern werden. Verhaltensweisen, Produkte oder Werkzeuge, die evolutionsgeschichtlich buchstäblich in unserer DNA eingebrannt sind.
Während Sie diesen Artikel lesen, trinken Sie womöglich ein Glas Wein (erfunden vor zirka 6000 Jahren) und spießen mit einer Gabel – eine von den alten Römern entwickelte Killer-App – eine Olive auf. Dabei sitzen Sie auf einem Stuhl – einem Gegenstand, den bereits ägyptische Pharaonen kannten. Im Hintergrund läuft gedämpfte Musik (seit etwa 35 000 Jahren), beispielsweise eine alte Aufnahme von Johannes Heesters (zirka 34 000 Jahre alt). Plötzlich betritt Ihre Frau mit einem raffinierten Wickelkleid (einem Prototyp, der vor 30 000 Jahren designt wurde) das Haus (12 000 Jahre) und fordert Sie mit verführerischem Blick zu einer Tätigkeit auf, die in der Evolution seit 900 Millionen Jahren bekannt ist. Und für einige Leser liegt das letzte Mal auch genauso lange zurück.
In ferner Zukunft mag es vielleicht Warp-Antriebe, Quantencomputer oder Teppichböden geben, die ihre Farbe an unsere Emotionen anpassen – deutlich anders wird unser tägliches Leben wahrscheinlich trotzdem nicht ablaufen.
Es ist uns schlichtweg unheimlich, wenn ein künstliches Wesen zu menschlich wird
Warum wohl hat sich das Bildtelefon nie so richtig durchgesetzt? Selbst bei Skype haben die meisten von uns die Kamera deaktiviert (verliebte Pärchen und Sex-Chats ausgenommen). Der Witz an der Sache ist: Ein Telefonat dient nicht zur Erzeugung von Nähe, sondern von Distanz. Telefonieren ist deswegen so toll, weil man in seinem alten Glanzjogger in einer versifften Sozialwohnung sitzen und der Omi am anderen Ende der Leitung eine todsichere Anlagestrategie für einen Bio-Supermarkt in Rumänien aufschwatzen kann.
Natürlich eröffnet uns moderne Technik phänomenale Möglichkeiten. Zum Beispiel gibt es inzwischen eine Menge junge Japanerinnen, die lieber heute als morgen ihren Freund gegen einen kultivierten, mitfühlenden Roboter austauschen würden. Selbst dann, wenn sie wüssten, dass das Verhalten des Roboters lediglich durch eine simple Software einstudiert wäre. Andererseits: Einstudierte Antworten geben viele Männer auch. Aber eben deutlich schlechter.
Die meisten von uns wollen allerdings nicht wirklich einen menschlich aussehenden Avatar, der den Geschirrspüler ausräumt oder uns morgens den Kaffee ans Bett bringt. Es ist uns schlichtweg unheimlich, wenn ein künstliches Wesen zu menschlich wird.
Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch wirklich gewünscht. Über diese Möglichkeit erfahren wir in den vielen Sciencefiction-Geschichten und Zukunftsbüchern komischerweise recht wenig. Kein Zukunftsguru legt dar, dass das Leben in 100 Jahren auch nicht grundsätzlich anders aussehen wird als heute.
Doch diese Möglichkeit besteht durchaus. Denn unsere fundamentalen Bedürfnisse haben sich seit der Steinzeit nicht wesentlich verändert. Zum Beispiel gab es schon immer soziale Netzwerke. In meiner Heimat, dem bayerischen Odenwald, heißt das nicht "Facebook", sondern "Stammtisch". Wie genau unsere Zukunft aussehen wird, das wissen wir nicht. Natürlich wird sich einiges ändern. Vieles wird allerdings auch gleich bleiben. Vielleicht ja sogar das meiste.
So gesehen ist es durchaus möglich, dass sich das selbstfahrende Auto niemals durchsetzen wird: weil das, was wir am Autofahren so toll finden, Freiheit und Selbstbestimmung ist. Und für diesen Akt der Autonomie nehmen wir sogar Tausende von Verkehrstoten pro Jahr in Kauf. Viele wollen einfach eigenständig entscheiden, gegen welchen Baum sie rauschen. Wer sich dagegen lieber sicher und entspannt chauffieren lassen möchte, nimmt den Bus. Aber "einen fahren lassen" ist halt auch nicht besonders cool …
Wenn Sie mehr über den Wissenschaftskabarettisten und Bestsellerautor wissen möchten, besuchen Sie ihn auf seiner Homepage www.vince-ebert.de oder auf Facebook unter facebook.com/Vince.Ebert
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