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Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn uns der Klimaschutz egal wäre?

Verzichten Sie dieses Jahr auf Ihre Flugreise? Oder auf die Kanaren-Kreuzfahrt? Der Wissenschaftskabarettist Vince Ebert über Anspruch und Wirklichkeit.
Der Kabarettist Vince Ebert

Wenn man Leute auf der Straße fragt: »Wie oft in der Woche haben Sie Sex?«, dann bekommt man alles, nur keine ehrliche und verlässliche Antwort. Männer übertreiben bei dieser Frage gerne, um als toller Hecht dazustehen. Frauen dagegen untertreiben eher, um nicht als Flittchen zu gelten. In der Meinungsforschung ist dieses Phänomen seit ewigen Zeiten bekannt. In Umfragen geben wir gerne das an, was uns in einem guten Licht erscheinen lässt. Oder was eben gerade sozial erwünscht ist. »Wählen Sie die AfD?« – »Nein, natürlich nicht!« – »Spenden Sie ab und an für einen guten Zweck?« – »Aber ja doch!« – »Was ist Ihrer Meinung nach das größte Problem der Menschheit?« – »Ganz klar: der Klimawandel!«

Erlauben Sie mir an der Stelle eine ganz und gar unwissenschaftliche Aussage: Ich habe das Gefühl, den meisten Leuten ist der Klimawandel vollkommen gleichgültig. Denn wenn es nicht so wäre, würden sie sich ja komplett anders verhalten. Wenn ihnen das Klima wirklich so am Herzen läge, wie sie behaupten, dann würden sie nicht mehr in Urlaub fliegen. Sie würden ihren Zweitwagen verkaufen, in eine kleinere Wohnung ziehen oder den Arbeitsplatz wechseln, damit sie nicht mehr pendeln müssten. Sie würden den Großteil ihrer Elektrogeräte entsorgen, im Winter nur noch ein Zimmer beheizen und ihren Internetkonsum auf das absolut Nötigste beschränken. All das würden sie tun, wenn sie den Klimawandel wirklich als das größte Problem der Menschheit ansehen würden.

Tun sie aber nicht. In einer repräsentativen Umfrage in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey fragte »Spiegel Online« 5000 Deutsche: »Hat die aktuelle Klimadebatte Auswirkungen auf Ihre Urlaubspläne dieses Jahr?« Und 71,1 Prozent antwortete ganz klar mit einem entschiedenen Nein. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen.

Ich jedenfalls kenne keinen einzigen Menschen in meinem weiteren Bekanntenkreis, der auch nur im Ansatz sein Leben in diese Richtung verändert hat. Ganz im Gegenteil. Diejenigen im Freundeskreis, die vorgeben, sich angeblich so große Sorgen über unser Klima zu machen, haben meist den größten ökologischen Fußabdruck in der Runde.

Ich gebe zu: Ich bin da auch kein Heiliger. Neulich erst war ich mit meinem Diesel Grillkohle holen. In einer Plastiktüte. Und beim Losfahren habe ich zu Hause sogar das Licht brennen lassen. Machen viele. Die Dunkelziffer ist sehr hoch.

Ich kenne Musiker, die backstage aus Klimaschutzgründen die Kaffeemaschine mit Plastikpads verboten haben, aber am Ende jedes Konzertes ein paar hundert Kilo Plastikkonfetti auf ihre Fans herunterregnen lassen. Ich kenne Geschäftsleute, die in Villen leben, große Limousinen fahren, in Fünf-Sterne-Hotels nächtigen, bei Lufthansa Senator-Status haben und gleichzeitig auf jeder Klimakonferenz zu Verzicht und Mäßigung aufrufen. Und so weiter.

Je länger und je aufgeregter das Klimathema in der Öffentlichkeit breitgetreten wird, umso stärker wird mein Gefühl, dass die allermeisten in der Klimafrage überhaupt gar keine Lösungen wollen. Wir wollen uns mit unserer Entrüstung und unserer vorgespielten Angst einfach nur gut fühlen. Das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, ist uns viel wichtiger, als tatsächlich etwas Richtiges zu tun. Vielleicht ist das auch typisch deutsch. Wir arbeiten uns ja gerne an unlösbaren Problemen ab und machen dann den Rest der Welt dafür verantwortlich.

Indem wir Betroffenheit simulieren, machen wir uns wichtig. Deswegen fordern wir trotzig, dass die Politiker doch jetzt endlich mal was tun sollen, verdammt noch mal!!! Aber natürlich nichts, was uns persönlich betreffen könnte. Wir fordern Offshore-Windparks und gründen im Gegenzug eine Bürgerinitiative, wenn die Starkstromtrasse vor unserem Haus entlangläuft. Wir demonstrieren gegen den Flughafenausbau, aber die Kurztrips nach London müssen schon noch drin sein. Wir wollen iPhones, Netflix, jeden Morgen warm duschen und Strom aus der Steckdose – doch wenn RWE den Hambacher Forst roden möchte: nein. Verbrennungsmotoren, Diesel und Feinstaub sind die Pest, aber Vatis neuer Cayenne ist schon auch geil.

Wir wollen Party feiern, aber keinen Kater haben. Und vor allem wollen wir nicht schuld sein. Wir alle möchten so gerne die Welt retten, aber wenn Mutti zum Müllruntertragen ruft, ist keiner da.

Mehr über den Kabarettisten, Autor, Moderator und Physiker unter www.vince-ebert.de.

Hinweis: Der Text wurde am 12. August 2019 leicht angepasst.

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