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Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn uns Wahlprogramme egal wären?

Wir glauben nur zu gerne, was wir glauben wollen, wenn uns die Quelle sympathisch ist und unser Herz anspricht. Der Wissenschaftskabarettist Vince Ebert macht sich Gedanken, warum das so ist.
Der Kabarettist Vince Ebert

Vor einigen Jahren machte der Psychologe Alexander Todorov von der Princeton University einen bemerkenswerten Test: Er zeigte seinen Studenten einen kurzen Augenblick Porträtfotos von jeweils zwei ihnen unbekannten Männern und forderte sie dann auf, spontan zu entscheiden, welche der beiden Personen in ihren Augen kompetenter wirke. Was die Studenten nicht wussten: Bei den Paarungen handelte es sich um reale Politiker, die bei unterschiedlichen Wahlen gegeneinander antraten. Das verstörende Ergebnis: In 70 Prozent aller Fälle entsprachen die Entscheidungen der Studenten dem tatsächlichen Wahlgewinner! Nicht weil er möglicherweise kompetenter als sein Gegner war, sondern weil er den Wählern lediglich kompetenter erschien.

Selbst bei so etwas Wichtigem wie einer politischen Wahl spielen für uns Rationalität und logische Argumente offenbar eine untergeordnete Rolle. Vernunft kann uns davor bewahren, als kompletter Idiot dazustehen, aber sie wird uns nicht davon abhalten, unsere Stimme einer Flachpfeife mit tollem Haarschnitt zu geben.

Der Grund: Evolutionsbiologisch ist unser Gehirn nicht primär für die Wahrheitsfindung konstruiert. Genau genommen ist unserem Gehirn die Wahrheit vollkommen wurscht. Es hat sich nicht entwickelt, um herauszufinden, ob die Erde eine Scheibe, eine Kugel oder ein Rotationsellipsoid ist, sondern um in einer überschaubaren Gruppe von 30, 40 Menschen inmitten von Bäumen, Felsen und Säbelzahntigern überleben zu können – und nicht in einer Welt mit Handytarifen, Körperfettwaagen oder mobilen Brezelverkäufern, die in Kassel-Wilhelmshöhe zusteigen.

Zwar können wir inzwischen alle Informationen, Hintergründe und Daten in Windeseile abrufen und sind dadurch theoretisch in der Lage, die meisten unserer Einstellungen, Meinungen und Ansichten mit Hilfe objektiver Fakten zu überprüfen. Doch tatsächlich vertrauen wir nach wie vor bei den meisten Dingen dem intuitiven Steinzeitmenschen in uns. Der rationale Individualist, der in der Steinzeit sein eigenes Ding machte, ist im Zweifel vom Säbelzahntiger gefressen worden. Von dem stammen wir nicht ab. Wir stammen von denen ab, die abends in der Höhle am Lagerfeuer saßen und mit großen Augen einem Typen zuhörten, der mit einem Tierschädel auf dem Kopf herumgetanzt ist und dabei abstruse Zauberformeln gesungen hat. Heute ist dieser Brauch als Fronleichnamsprozession bekannt.

Dadurch glauben wir nicht unbedingt das, was wahr ist, sondern das, was sich wahr anfühlt. Wenn zum Beispiel Statistik gegen Geschichten antritt, verlieren die Zahlen. Persönliche Erfahrungen schlagen die robustesten Doppelblindstudien. Da können Sie noch so wissenschaftliche, seriöse, randomisierte, placebokontrollierte Metastudien anführen, sobald einer am Tisch sagt: »Isch hab meim Hund letzte Woch' Annika D30 gegebbe, un seitdem is sein Durchfall wie weggeblase ...«, erntet er anerkennendes Kopfnicken. Das klappt allerdings nur, wenn er sympathisch und vertrauenserweckend ist. Als RWE-Manager sollten Sie es auf jeden Fall vermeiden, bei Anne Will in die Runde zu rufen: »Also die Neurodermitis von unserem Jan-Niklas ist deutlich besser geworden, seit ich ihn einmal pro Woche ins Abklingbecken von Biblis tauche ...«

Zahlen und Statistiken liefern zwar wertvolle Erkenntnisse, aber sie überzeugen uns eher wenig. Spektakuläre, zu Herzen gehende Einzelfälle oder Anekdoten liefern keinen grundsätzlichen Erkenntniswert, aber sie überzeugen die Menschen. Das ist sogar statistisch nachgewiesen. Aber Statistik wiederum überzeugt die Leute ja nicht.

Bei den meisten unserer Ansichten pfeifen wir auf Fakten, wir glauben einfach. Und wir glauben vornehmlich das, was emotional besetzt ist oder was sich gut anfühlt. Wäre es nicht schön, wenn sich mit billigen Zuckerkügelchen Krankheiten heilen ließen? Wenn wir essen könnten, so viel wir wollen und trotzdem nicht dick werden? Wenn wir mit Sonne und Wind eine ganze Industrienation versorgen könnten? Das wäre doch super! Deshalb fallen wir auf jeden Quatsch rein, der zu gut ist, um wahr zu sein und halten auch dann mit voller Überzeugung an Dingen fest, die realistisch betrachtet ziemlich schräg sind. »Waaas? Du hast allen Ernstes 20 000 Euro für eine Ausbildung zum Forellenflüsterer ausgegeben? Wiiiee? Zehn Jahre mit diesem Arschloch, und du bringst es nicht fertig, dich zu trennen? Häää? 300 Milliarden Euro Hilfsgelder, und Athen ist immer noch pleite?«

Es sind nicht Unwissen oder mangelnde Intelligenz, die so viele Menschen Irrtümern, Mythen oder Populisten hinterherhängen lassen. Es ist unser emotional geprägter Steinzeitmensch, der uns so oft in die Bredouille bringt. Nicht das, was wir wissen, bereitet uns Schwierigkeiten, sondern das, was wir so gerne glauben wollen. Kinder zum Beispiel glauben nicht deswegen an den Weihnachtsmann, weil sie naiv oder dumm sind. Sie glauben daran, weil sie ihre Informationen von Quellen haben, denen sie vertrauen: ihren Eltern. Welche vertrauensvollen Quellen haben Sie?

Vince Ebert ist Diplomphysiker und Kabarettist. In seinen Bühnenprogrammen, Vorträgen und Büchern vermittelt er naturwissenschaftliche Themen mit den Gesetzen des Humors in deutscher und seit Neuestem auch in englischer Sprache. Mehr Infos und alle Termine unter https://www.vince-ebert.de.

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