Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn wir ähnlich ungebildet wären wie die Amerikaner?
Wenn man in den USA erwähnt, dass man aus Deutschland kommt und dort Physik studiert hat, dann sind Amerikaner immer total beeindruckt. Meist erzählen sie einem dann, dass sie ja auch deutsche Vorfahren haben. Einen Cousin von einem Schwippschwager, der einen Schwiegervater hat, dessen Urgroßmutter mit einem Mann verheiratet war, der aus Düsseldorf kommt.
Naturwissenschaftler aus »good old Germany« haben in Amerika einen super Ruf. Dieses Renommee stammt im Wesentlichen aus dem 19. Jahrhundert. In dieser Zeit war Deutschland das wissenschaftliche Zentrum der Welt. In Berlin strömten Tausende von Zuhörern zu den öffentlichen Vorträgen von Alexander von Humboldt. In den Labors der Charité entdeckte Robert Koch den Tuberkelbazillus und den Milzbranderreger. Rudolf Virchow begründete die moderne Pathologie und die Hygiene. Max Planck, Albert Einstein und Hermann von Helmholtz gaben sich in der Preußischen Akademie der Wissenschaften die Klinke in die Hand, und die Mathematiker der Universität Göttingen waren in der Welt praktisch konkurrenzlos.
Was heute fast keinem mehr bewusst ist: Damals war die Sprache der Wissenschaft nicht Englisch, sondern Deutsch. Jede mathematische, medizinische oder naturwissenschaftliche Veröffentlichung, jedes Fachbuch wurde zu dieser Zeit in deutscher Sprache verfasst. Wer vor 120 Jahren bildungsmäßig auf der Höhe der Zeit sein wollte, musste Deutsch lernen.
Inzwischen hat sich das ziemlich verändert. In dem aktuellen »Shanghai-Ranking« der weltweit besten Universitäten nehmen amerikanische Unis die ersten zehn Plätze ein. Die erste deutsche kommt auf Platz 47, die Universität Heidelberg. Aber dafür haben wir immerhin die meisten Soziologiestudentinnen-Unterstrich-Studenten-Unterstrich-Sternchen im 37. Semester.
Seit 1901 hat die USA in den Kategorien Physik, Chemie, Medizin und Wirtschaft mehr als die Hälfte aller vergebenen Nobelpreise abgeräumt. Darüber hinaus hat Amerika auch einen überdurchschnittlich hohen prozentualen Anteil an jungen Leuten, die eine Hochschule besuchen. Laut OECD-Bildungsbericht von 2014 lag die USA mit einem Bevölkerungsanteil von 43,1 Prozent Hochschulabsolventen auf Platz 5. Platz 1 ging an Russland mit 53,5 Prozent; Deutschland liegt mit 28 Prozent weit hinten.
Gemessen am Bruttosozialprodukt investiert Deutschland mit etwa fünf Prozent etwa genauso viel Geld in Bildung wie die USA. Dennoch haben amerikanische Spitzenunis deutlich mehr Budget zur Verfügung, da sie sich hauptsächlich über nichtstaatliches Fundraising finanzieren. Wohlhabende Privatleute, Unternehmen und Stiftungen pumpen zusätzlich zum Staat Milliarden Dollar in den Bildungsbereich. Stanford, Yale oder Princeton sind keine Areale, auf denen einfach nur ein paar Hörsäle, Bibliotheken und Labors stehen – es sind komplette Städte. Das Vermögen der Harvard University entspricht etwa dem Bruttoinlandsprodukt von Lettland. Und das ist kein Witz.
Natürlich ist die Qualität amerikanischer Bildungseinrichtungen extrem heterogen. In Deutschland ist die erste Frage: Was hast du studiert? In den USA fragt man eher: Wo hast du studiert? Denn die Wahl der Hochschule ist von entscheidender Bedeutung. Ich möchte nicht diskriminierend sein, aber wenn Sie auf der Grand Canyon University of Phoenix als Bachelor in Grill-Management und Gewürzklöppeln abgehen, dann haben Sie auf dem Arbeitsmarkt gegen einen frisch gebackenen Molekularbiologen vom MIT in Boston keine so guten Karten.
Als Deutscher ist es leicht, sich über die angeblich so ungebildeten Amerikaner lustig zu machen, weil die nicht wissen, wo genau auf der Landkarte die Ukraine liegt oder dass Griechenland nicht die Hauptstadt von Paris ist. Andererseits: Kennen Sie die Hauptstadt von Arkansas? Können Sie neben Peking und Schanghai noch drei oder vier andere Millionenstädte in China nennen? Wurde Michael Kohlhaas von Heinrich von Kleist geschrieben oder war es umgekehrt?
Wir feixen über die Unbildung der Amerikaner und lachen uns kaputt, wenn wir hören, dass die Bewohner im Mittleren Westen glauben, die Erde wäre nur 7000 Jahre alt. Aber gleichzeitig erklären wir stolz, dass wir die Anna-Lena natürlich nicht impfen lassen werden, weil das schließlich nicht bewiesen ist. Und Lebensmittel, in denen Gene drin sind, kommen sowieso nicht auf den Tisch! Und wir fühlen uns gut mit diesen Widersprüchen. Ich kenne Heilpraktiker, die gehen auf Ärztekonzerte, und in der VHS wird der Kurs »atomfreie Physik« mit Nebenfach »Stoßlüften« angeboten.
Bildungspolitisch gesehen ist Amerika sicherlich kein Vorzeigeland. Ganz im Gegenteil. Die Initiative »No Child Left Behind«, die von George W. Bush ins Leben gerufen wurde, um das allgemeine Bildungsniveau an Schulen zu heben, ist krachend gescheitert. Das bedeutet jedoch noch lange nicht, dass wir uns in Deutschland über die schlechte Bildungspolitik der Amerikaner moralisch erheben sollten. Ein kurzer Blick in unsere maroden Schulen reicht aus.
Vince Ebert geht mit seinem Kabarettprogramm »Zukunft is the Future« bis Ende Mai 2019 in die letzte Runde. Tickets und Termine finden Sie unter www.vince-ebert.de.
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